Kapitel 17

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Sie nähte an einem ihrer neuen Kleider. Stich für Stich, Naht für Naht.
Auf einmal spürte sie eine fremde Anwesenheit in dem Wohnzimmer. Als Rosaleen sich umdrehte konnte sie ihren Augen nicht trauen. Dort in der Tür stand Joseph und lächelte ihr zu. Sie sprang auf und wollte zu ihm laufen, ihn umarmen, ihm sagen, wie lieb sie ihn hat. Doch sie konnte sich nicht bewegen. Ihre Füße gehorchten ihr einfach nicht! Sie streckte die Hände nach ihm aus, um ihn zu fühlen, doch er war zu weit weg. Plötzlich ertönte ein Schuss und die Gläser in dem Schrank klirrten, von dem lauten Knall. Sie konnte nichts tun, außer ihrem Mann zusehen, wie er mit schmerzverzerrtem Gesicht zu Boden sackte. Es schien ihr, als er wolle er ihre Hilfe, doch sie konnte sich nicht bewegen, war wie erstarrt. Er war so nah, so nah.
Dann sah sie eine Gestalt. Bei näherem Hinschauen erkannte sie Jacob. Er lachte hämisch und trat langsam auf sie zu.
Sie spürte ein Hand auf der Schulter. Als sie herumwirbelte, sah sie nur zwei hellbraune Augen,die zu Schlitzen zusammengezogen waren. 'Wir beobachten Sie.'
Bei den Worten wurde sein Griff um ihre Schulter schon fast schmerzhaft. Der Satz hallte in ihren Ohren wie ein Echo wieder. Dann wurde es immer leiser, immer leiser. Das letzte was sie spürte, waren Hände die nach ihrer Kette, dem Ring griffen. Sie wollte sich wehren, doch da traf sie ein harter Schlag auf ihrem Gesicht...
Schwer atmend öffnete Rosaleen die Augen. Das Nachthemd klebte an ihrem Körper und Joyces Arm lag quer über ihrem Gesicht. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn. Sie griff unter ihr Nachthemd und Erleichterung machte sich in ihr bereit, als sie das kalte Material der Kette zu fassen bekam. Behutsam legte sie Joyces Arm wieder in eine bequemere Position und erhob sich leise. Mit einem wärmenden Tuch in der Hand huschte sie in die Küche. Sie schüttete sich in ein Glas kalte Milch, legte sich das Tuch um die Schultern und begab sich auf die Veranda. Dort ließ sie sich auf den Verandastufen nieder und trank einen Schluck Milch. Um sie herum hörte sie das zirpen der Grillen und das leise plätschern einer Quelle irgendwo in der Nähe. Leicht wehte ihr der Wind die Haare ins Gesicht und sie schloss die Augen. Diesen Moment wollte sie für immer festhalten. Die Natur genießen, so wie Gott sie geschaffen hatte.
Der Alptraum steckte ihr immer noch in allen Gliedern und sie atmete einmal tief ein und wieder aus. Er war so real gewesen. So, als wäre Joseph noch da und würde sie in die Arme schließen, sobald sie nur zu ihm käme. Sie vermisste ihn so sehr. In manchen Situationen mehr als irgendwann anders. Ein Lächeln breitete sich in ihrem Gesicht aus, als sie sich sein Gesicht vorstellte. Danke Gott, dass ich noch diese Erinnerungen habe. Dass ich noch weiß, wie er aussah. Bitte, nimm sie mir nicht weg. Nicht die auch noch.
Sie hob ihren Kopf gen Himmel und betrachtete die vielen unzähligen Sterne. Sie strahlten so hell, als würde ihnen das ganze Leid, der große Kummer auf dieser Erde garnicht weh tun. Erst jetzt verstand Rosaleen wie schwer es für manche war, einen geliebten Menschen zu verlieren. Sie hatte nie so genau nachvollziehen können, warum all die leidenden Menschen so traurig waren und warum sie keinen Sinn mehr im Leben sahen.
Sie selbst hatte immer geglaubt, sie würde Kinder kriegen, den Haushalt führen und den Rest ihres Lebens mit Joseph verbringen. Mit ihm alt werden.
Doch darin hatte sie sich kräftig getäuscht. Das Leben war nicht so einfach, es spielte nicht nach ihren Regeln, sondern nach Gottes.
Sie hatte immer auf Gott vertraut und ihm ihr Leben in seine Hände gegeben. Das hatte sie nun davon. Ein zerstörtes Leben und ein Neuanfang wartete auf sie.
Sie fasste in dieser Nacht einen Entschluss.
Von nun an würde sie ihren Weg wohl lieber selber in die Hand nehmen und sich den Herausforderungen des Lebens stellen.
Rosaleen erhob sich und mit einem letzten Blick in den dunklen Himmel verschwand sie im Haus.
Ihr letzter Gedanke, als sie ins Bett schlüpfte, war: Gott, ich bin dir dankbar, dass du immer bei mir bist und mich oft tröstest. Aber mein Leben plane ich ab jetzt wohl lieber selber. Das schaff ich auch ohne deine Hilfe.

               ***

"Es tut mir leid, Rosaleen, aber ich kann heute nicht gehen. Ich fühl mich nicht besonders gut und würde mich lieber noch etwas ausruhen."
Sie saßen gemeinsam am Frühstückstisch. Verstehend nickte Rosaleen mit dem Kopf und schob Joyce ein weiteres Stück Brot mit Marmelade in den Mund.
"Machen sie es sich gemütlich. Wir werden wahrscheinlich zu Fuß gehen. Die Pferde anzuspannen und alles fertig zu machen, dauert auch nicht viel kürzer, als zur Kirche zu gehen."
Durstig trank Joyce einen Schluck Wasser und lachte Rosaleen glücklich an.
„Das Wetter ist heute wirklich schön! Ich werde vielleicht ein wenig draußen sein. Das Mittagessen machen kann ich aber schon noch." Man sah es Abigail an, dass sie nicht glücklich über Einwände wäre.
„Na, wie geht es dir Joyce? Da hast du aber Marmelade an deiner Nase!" Lächelnd stieg Rosaleen die Stufen zu ihrem Zimmer hoch. Es tat gut wieder das unbeschwerte Lachen ihrer Tochter zu hören. Viel zu lange hatte sie darauf verzichten müssen.
Sie öffnete ihren Haarknoten und steckte sich ihre Wellen etwas höher fest. Ein Tuch würde sie nicht brauchen und so nahm sie sich einen dunkelblauen Hut, passend zu ihrem Rock, und eilte wieder in das Wohnzimmer.
Mit Joyce an der Hand machten sie sich gemeinsam auf den Weg in die Kirche, welche am anderen Ende der Stadt lag.

    ***

Luke wusste nicht genau wieso, aber er freute sich Mrs. Laster hier zu sehen. Sie setzte sich mit ihrer Tochter zwei Reihen vor ihn auf die Bank, die nur der Gang von den Bänken auf seiner Seite trennte.
Die Orgel erfüllte die gesamte Kirche mit einem vollen Klang.
Mrs. Laster sah ganz anders aus, mit den ordentlichen Sachen und dem blauen Hut. Ihre Haare trug sie auch anders als... Luke, konzentrier dich. Du bist in einer Kirche und denkst über eine Frau nach.
Er wandte seinen Blick wieder dem Liederbuch in seinen Händen zu und stimmte mit in den Gesang ein.
Als der Gottesdienst zu Ende war, schüttelte Reverend Mason jedem Besucher an der weiß gestrichenen Tür zum Abschied die Hand und wechselte ein kurzes Wort mit Ihnen.
Nachdem er auch Mrs. Laster in der Stadt willkommen geheißen hatte, begrüßte auch Luke sie.
„Guten Tag, Mrs. Laster. Ich freue mich sie hier zu sehen." Überrascht runzelte er die Stirn, als er bemerkte, dass er Abigail heute noch garnicht gesehen hatte. „Was ist mit Abigail? Geht es ihr gut?" Aufgebracht drehte er seinen Hut in den Händen, als er die Besorgnis in Mrs. Lasters grünen Augen sah. Sie ließ ihre Tochter auf den Boden. „Es geht ihr nicht gut. Sie klagte schon gestern über Kopfschmerzen und heute ging es ihr auch nicht besser." Verstehend nickte Luke mit dem Kopf und fasste einen Beschluss. „Ich werde nach dem Mittagessen mal zu ihr gehen. Sicher freut sie sich über Besuch. Das tut sie immer." Ein Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, wenn er an Abigail dachte, wie sie ihn schon mit offenen Armen entgegen kam. Plötzlich bemerkte er, dass er Mrs. Laster selbst noch garnicht um ihr Befinden gefragt hatte. „Entschuldigen Sie Mrs. Laster. Wie geht es denn Ihnen? Finden sie sich gut in unserer Stadt zurecht?" Ein freudiger Ausdruck trat in ihre Augen. „Oh ja, Sheriff! Wie Sie wissen war ich schon in der Stadt und ich wurde von allen Bewohnern freundlich und herzlich aufgenommen. Da machen sie sich mal keine Sorgen. Der Arzt ist auch recht zufrieden mit mir. Er meint nur, ich soll mich nicht so sehr überanstrengen. Aber, wie soll ich mich denn hier überanstrengen? Ich bin doch diese Arbeit gewohnt und-" „Sie werden schön auf die Anweisungen des Arztes hören. Wir wollen doch alle, dass sie wieder ganz gesund werden." Scherzhaft wackelte er mit dem Zeigefinger.
Überrascht stellte er nachdem er diese Worte gesagt hatte fest, dass sie wahr waren. Es war ihm wirklich wichtig, dass sie gesund wurde. Mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen suchte er ihr Gesicht nach etwas falschem oder wenigstens nach etwas gespielt Freundlichem in ihren Augen. Doch er konnte nichts finden.
Aus einem Grund, den er nicht kannte, fühlte er sich hingezogen zu ihr. Ihre ganze Art, ihr Wesen zog ihn an.
Luke räusperte sich, als er ihren fragenden Blick sah. Da fiel ihm noch etwas ein, wieso er eigentlich mit ihr reden hatte wollen.
„Ach ja, ich habe Mr. Bradford telegrafiert. Er antwortete daraufhin, dass er morgen zurück kommen würde. Wir werden also bald eine Entscheidung treffen können. Es könnte sein, dass wir sie dann nochmal in unser Büro bitten werden. Um Näheres zu klären."
Sie verabschiedeten sich und Rosaleen machte sich mit Joyce auf den Weg, wieder zu Abigail.
Luke sah ihr noch einige Sekunden hinterher, bis er aus seiner Starre erwachte und sich auf sein Pferd schwang.

...Weil ich dich liebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt