11. - Langhaar

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"Ich will nur nach oben!", versuchte ich so ruhig wie möglich zu sagen, doch meine piepsende Stimme verriet mich wohl.

"Die Fahrstühle sind da!", sagte sie mit geruzelter Stirn und zeigte mit ihrem perfekt lackierten Finger in die andere Richtung.

"Danke!", sagte ich kalt zur Sekretärin, die mich vor ein paar Tagen einfach stehen gelassen hatte.
Ohne es zu wissen, war ich in dieses bescheuerte Büro dieser komischen Band gelaufen... warum musste ich ihr eigentlich immer über den Weg laufen? Nun war es schon das vierte Mal, dass ich sie irgendwie traf!
Suchend schaute ich mich nach den Aufzügen um. Irgendwo mussten sie doch sein! Wieso waren sie eigentlich nicht neben der Treppe?

Endlich wurde ich fündig, doch trotzdem wollte ich auf der Stelle kehrt machen. Das konnte doch nicht wahr sein. Wollte mich heute die ganze Welt veräppeln?

Von der anderen Seite des Flurs steuerte gerade jemand den Fahrstuhl an, genau wie ich. Niemand anderes als zwei Jungs, die ich erst letztens hier gesehen hatte. Der Langhaarige und der Blonde.
Wir bemerkten uns im selben Augenblicklich, beide beschleunigten ihre Schritte, ich auch.
Triuphierend drückte ich den Knopf nach oben, nur eine Millisekunde später lag eine Hand auf meiner.

"Oh nein!", murmelte der Blonde und zog seine Hand von meiner. Entgeistert starrte ich ihn an. Wenn er dachte, ich würde mir einen Fahrstuhl mit ihm teilen, hatte er sich geschnitten.

"Niall, wir nehmen einfach die Treppe!", sagte Langhaar und legte seine Hand auf die Schulter des Blonden. Kluger Junge.
"Ich werde ganz bestimmt nicht die Stiegen runterlaufen, nur weil sie nach oben will!", knurrte der eben genannte und schaute mich wütend an.

"Niall du hast deinen Kater noch nicht ausgeschlafen und dir hat die Abfuhr von Simon eben nicht gefallen, lass sie doch!", sagte er beschwichtigend und zog am Arm des Jungens. Mein Blick fiel auf ihre durchtrainierten Arme. Wow. Wie konnte man so viele Muskeln haben? Ich war mir ziemlich sicher, dass sich der Blonde schnell aus dem Klammergriff des Brünetten befreien konnte...

"Schon gut, ich bin ja schon weg!", sagte ich und hob abwehrend die Hände. Ich war am Ende meiner Kräfte - physisch und psychisch. Ich war einfach nicht mehr in der Lage, mich mit jemandem zu streiten, den ich nicht einmal kannte.

"Lass mich los!", fauchte der Blonde und für einen kurzen Moment hatte ich sogar Angst. Wenn er plötzlich ausrasten würde... ich war mir nicht sicher, ob er mir nicht auch eine reinhauen würde...

Doch mit nur einem wütenden Schnauben befreite sich der Junge aus dem Griff von Langhaar und lief in Richtung Stiegenhaus.

"Wirklich, ich wäre gegangen!", sagte ich fast lautlos und versuchte Langhaars Blick standzuhalten. Er hatte wirklich schöne Augen - so geheimnissvoll und klug, so undurchdringbar...

"Du wirst das nicht erzählen, oder?", sagte er nach einer halben Ewigkeit und zum ersten Mal blitzte ein anderes Gefühl in seinen Augen auf: Angst.

"Was erzählen?", fragte ich irritiert. Wieso sollte ich jemandem lauthals von einem verrückten Jungen und seinem Freund erzählen?

"Das! So etwas sollte nicht an die Presse gelangen!", sagte Langhaar leise, dann schaute er mich wieder mit seinen unwiderstehlichen Augen an. Oh nein, bloß nicht weich werden, Josy!, ermahnte ich mich selber.

"Wieso an die Presse?", antwortete ich noch verwirrter. Ich meine - warum sollte ich der Öffentlichkeit davon erzählen? War es so ungewöhnlich, wenn man sich mit jemandem stritt?

Bei Mia und dir schon!, wisperte ein leises Stimmchen in meinem Kopf. Verdammt, warum dachte ich jetzt an Mia? Tränen traten mir in die Augen. Oh nein, ich durfte jetzt nicht weinen, nicht vor diesem Jungen! Es würde sich alles wieder einrenken, alles würde wieder gut gehen!

Doch schon war es um mich geschehen: eine Träne rollte über meine Wange. Schnell wischte ich sie weg. Langhaar durfte auf keinen Fall sehen, dass ich weinte. Im schlimmsten Fall würde er noch meinen, ich würde wegen Blondie weinen.

"Tut mir leid, ich muss!", presste ich heraus und wollte mich an ihm vorbeidrängeln, doch zu spät.

"Moment, alles gut bei dir?", fragte er bestürzt und zog mich an der Hand zurück. Besorgt musterte er mich, dann kramte er in seiner Hosentasche nach etwas.

"Da ist es ja!", sagte er lächelnd und hielt mir ein Taschentuch hin.
Sofort musste ich lachen.

"Du bist der ziemlich einzige Junge, der so was mit sich rumschleppt!", sagte ich grinsend und nahm das Taschentuch.

"Ich bin auch nicht jeder Junge! Ich bin ganz individuell!", sagte er stolz, was mich wieder zum Lachen brachte.
Schnell trocknete ich meine Tränen.

"Es ist sozusagen mein Glückstaschentuch - wir haben hier alle darauf unterschrieben: meine Familie, meine Freunde, Fans und ich. Ich habe es so ziemlich immer dabei!", sagte Langhaar lächelnd und betrachtete den Stoff glücklich. Erschrocken drückte ich es wieder in seine Hand. Auf keinen Fall würde ich seinen Glücksbringer ruinieren, nur weil ich traurig war!

"Behalt es!", sagte Langhaar und legte es wieder in meine Hand. "Und bring es einfach irgendwann hier her, hier werden Glücksbringer öfters gefunden!", sagte er und zwinkerte mir kurz zu. Sofort musste ich wieder lächeln.
Wie schnell er mich mur aufmuntern konnte!

"Schön dich kennengelernt zu haben! Bis dann!", sagte er und hob die Hand zum Abschied. Dann ging er mit federnden Schritten zu den Treppen auf der anderen Seite des Stockes.

Verträumt schaute ich ihm nach. Er war ja nett... das Klingen des Aufzugs ließ mich aufschrecken. Schnell trat ich ein und drückte die Elf.

Geschockt musterte ich mich im Spiegel. Ich sah wahrhaftig wie ein Zombie aus - meine Haare waren platt an meinen Kopf gedrückt, die Wangen vom Laufen gerötet und von meinen Augen liefen unübersehbare schwarze Striche. So gut es ging versuchte ich mich irgendwie zurechtzumachen und wischte die verlaufene Schminke so gut es ging von meinem Gesicht.

Nachdem ich wieder halbwegs ordentlich aussah, nahm ich mein Handy aus der Tasche. Ich war mir ziemlich sicher, dass die Jungs der Band angehörten und so gab ich schnell one direction ein. Wenn mich Lucy jetzt eben gesehen hätte... vermutlich hätte sie mir vor Neid den Kopf abgerissen.

Sofort erschienen etliche Fotos von fünf, manchmal auch vier Jungs auf meinem Bildschirm. So sahen sie also aus.
Die Jungs, die mir noch einiges zu schaffen machen würden.

Magic - N.H.||slow updatesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt