Ich stand in der U-Bahn. Die Leute kamen und gingen, so wie immer im Leben. Ich wollte nicht zu Mala, ich wusste das ich das mit dem Kampf bereuen würde, aber ich habe mein Versprechen gegeben. Die Schule bleibt unversehrt, jedenfalls werde ich die Schule nicht zerstören. Es wäre aber nicht fair, wenn Mala sie doch zerstören würde. Ich muss an das Mädchen mit den kurzen braunen Haaren denken. Ich erinnern mich an ihre Tränen, an ihr schluchzen, erinnern mich wie verzweifelt sie war.
Sie erinnerte mich an mich selbst.
Der Grund warum ich zu Mala ging war der, dass ich sein wollte, was meine Eltern glaubten, dass ich war: ein Monster.
Eine Träne rollt über meine Wange und ich hasse mich dafür, dass ich meine Eltern immer noch liebe. Ich weiß ja nicht welcher Idiot unsere Fähigkeiten als Gabe bezeichnet hatte, aber in meinen Augen war eine Gabe etwas gutes, aber das waren unsere Fähigkeiten sicher nicht. Es war ein Fluch, eine Last. Ich würde es niemals als Gabe bezeichnen.
Die U-Bahn hielt und ich stieg aus. Ich ging hoch und spürte die warme stickige Luft, die in meiner Nähe eiskalt wurde.
Ich ging die Straße entlang und sah schon von weiten die kleinen Eisdiele. Ich setzte mich an einen der Tische und schon kam die Bedienung, ich bestellte einen Eisbecher. Ich liebte Eis und das Eis hier erinnerte mich an das Eis von früher. Als das Eis kam, aß ich es langsam. Kalt, ich liebte es. Ich ließ den Erdbeergeschmack über meine Zunge wandern. Als ich fertig war legte ich ein bisschen Geld auf den Tisch und verschwand.
Ich war wie ein Geist, die Bedienung in dieser Eisdiele war sich nicht mal sicher ob ich wirklich existiere. Ich bin mir da auch nicht mehr so sicher. Ich wusste nicht warum ich noch lebte. Aber ich lebe immer noch. Ich laufe durch New Yorks Straße, ohne Ziel. Langsam merke ich das ich in Richtung Central Park laufe. Zu dem Ort an dem ich einen weiteren Fehler begangen habe.
War das nicht mein ganzes Leben? Ein Fehler nach dem anderen?
Ich laufe an dem Empire State Building vorbei. Ich bleib stehen und sehe hoch zu der Spitze, die ich nicht sehen kann. Es waren Menschen, keine Verfluchten die dieses Gebäude gebaut hatten. Wozu gab es dann uns? Uns brauchte man nicht.
„Mizuki?“, sagte eine mir vertraute Stimme. Eine Stimme die mich früher in den Schlaf gesungen hatte. Sie sagte meinen Namen, den ich vor Jahren abgelegt hatte. Ich drehte mich um und sah ihr Gesicht. Ihre blasse Haut und ihre schwarzen Haare, ihre feinen Gesichtszüge die meinen so ähnlich waren. Das war das Gesicht aus meinen Erinnerungen, aber sie war gealtert. Ihre schwarzen Haare wurden bereits grau und ihr Gesicht war mit Falten überzogen. Ich sah Tränen in ihren Augen als sie mich erkannte. Sie rannte auf mich zu und umarmte mich sie schluchzte meinen Namen: „Mizuki!“ Mein japanischer Name. Mein Name der so wenig Sinn hatte. Wasserbaum. Er war unsinnig.
Ich roch sie, dieser vertraute Geruch, sie roch nach Kirschblüten. „Ich heiße nicht mehr Mizuki, Mama.“ flüstere ich. „Wie den dann?“ fragte sie glücklich, war sie wirklich glücklich mich zu sehen? „Yuki Hiya.“ sage ich noch leiser. „Schneekalt?“ flüstert sie die Bedeutung dieses Namens.
„Warum bist du hier?“ frage ich meine Mutter und versuche nicht zu weinen. „Ich und dein Vater haben uns getrennt nach dem du weggelaufen bist, deshalb bin ich hier her gezogen. Ich habe gehofft dich irgendwann wieder zu sehen, du hast doch immer gesagt das du die Welt sehen willst. Und hier sieht man schon ein ganzes Stück von ihr.“ Sie sah mir in die Augen und lächelte. Ich sah die Tränen die über ihre Wanden rollten. „Ihr habt mich ein Monster genannt, ihr habt mich gehasst!“, mir rollt eine Träne über die Wange und ich spüre den Schmerz in meiner Brust. Es tut immer noch weh. Eine Wunde die nie geheilt ist. „Es tut mir leid. Es tut mir so leid. So unendlich leid! Du bist kein Monster, wir haben dich nicht gehasst. Ich habe dich immer geliebt, ich habe leider erst bemerkt wie sehr, als es schon zu spät war.“ Und ich glaubte ihr, ich wollte ihr einfach glauben. Ich wollte das meine Mutter mich wieder in den Schlaf singt. Ich wollte einfach kein Monster mehr sein. Das war ich auch dem Mädchen mit den kurzen braunen Haaren schuldig, die so um ihren Freund geweint hat. „Ich will wieder bei dir sein.“ murmle ich. Meine Mutter nickt. „Das kannst du auch wieder, das konntest du die ganze Zeit. Yuki Hiya.“ Sie spricht meinen anderen Namen aus. Und ich schüttle den Kopf. „Du musst mich nicht so nennen, nenne mich einfach wieder Mizuki.“ Ich brauchte diesen Namen nicht mehr, den ich wollte nicht mehr so kalt sein wie der Schnee. Ich wollte frei sein. „Ich gehe und hole meine Sachen, okay?“, sage ich zu meiner Mutter. Sie nickt eifrig und glücklich. Sie kramt schnell ein Zettel und einen Stift aus ihrer Tasche und schrieb eine Adresse auf den Zettel auf. „Hier wohne ich, du kannst jeder Zeit kommen. Ich werde da sein.“ Sie lächelte und ich prägte es mir ein. Ich wollte es nicht vergessen. „Wenn ich heute nicht komme mache dir keine Sorgen, vielleicht komme ich auch erst morgen oder übermorgen.“ Sie nickte und lächelte und auch ich zeigte ihr mein Lächeln. Ich drückte sie ganz fest. Die Kälte viel von mir ab. Mir wurde warm. „Ich liebe dich, Mama.“ sagte ich zu ihr. Dann ging ich.
Ich lief weiter bis ich zum Central Park kam, ich ging zu der Stelle an der ich Tris getötet habe. Ich sank auf die Knie auf der Stelle in der noch Tris Blut im Gras glitzerte. Dann weinte ich. Meine Tränen waren warm genauso wie mein ganzer Körper. Ich hatte so viele Fehler gemacht. Alle Menschen, die ich getötet hatte. Und zu Mala zu gehen war dabei der größte Fehler. Den es gab jetzt kein zurück mehr, ich zog einen Zettel aus der Tasche und holte einen Stift raus. Ich schrieb einen Brief. Den fertigen Brief steckte ich in meinen Ärmel. Die Zeit war um, ich konnte nicht länger warten. Ich ging zurück zu Mala.
Als ich in ihrem Versteck angekommen bin, laufe ich die dunklen Gänge entlang. Ich spüre wie jemand an meine Seite kommt, es ist Isa. Wird sind beide verraten worden, aber ich glaube nicht das es wirklich so war wie es schien. „Mala ist ziemlich wütend das du ihren Auftrag nicht erledigt hast.“, sagte Isa. Mir war es egal. Ich werde nicht mehr lange leben, ich will weg von Mala, aber sie würde so etwas nie zu lassen. Das hier ist mein Todesgang, das Eis aus meinem Lieblingscafé ist meine Henkersmahlzeit gewesen. Es ist doch eigentlich so ein schöner Tag. Ein schöner Tag um zu sterben.
„Isa, glaubst du an ein Happy End?“ frage ich sie. Und sie guckt mich nur verdutzt an. „Ein Happy End? Was für ein Müll laberst du den da?“ „Ich glaube das auch du glücklich werden könntest. Du könntest, wenn du es zu lassen würdest. Wenn du dich selbst überwindest und vergisst was in der Vergangenheit passiert ist, kannst du es.“ „Was laberst du da?“ „Denk mal darüber nach.“ Sie blieb perplex stehen und ich lief weiter. Weiter auf das Ende zu. Ich würde mich nicht umdrehen und auch nicht zögern. Ich hatte mich entschieden. Nie wieder würde ich töten, weder für Mala noch für sonst irgendjemanden. Lieber würde ich sterben und das musste ich auch. Ich war nicht irgendjemand unter Malas Befehl gewesen. Ich war eine ihrer stärksten Kämpferinnen. Isa und ich. Keine von uns beiden würde, sie es jemals gestatten zu gehen. Aber das war in Ordnung, ich war vorbereitet auf das was kommen würde.
Schließlich stand ich vor Mala, die auf ihrem alberndem Thron saß, wie eine Königin für die sie sich hielt. Ich wusste, für mich würde das kein Happy End werden. Ich wusste ich war feige, das war ich schon immer. Als Kind bin ich von meinen Eltern weggelaufen und nun lief ich wieder weg. Ich könnte kämpfen, könnte mich auf die Seite von Malas Feinden schlagen und sie stürzen. Aber ich war zu feige dazu. Für Feiglinge gab es kein Happy End. Da dachte ich an Tris, den mutigen Jungen, der für seine Schule und seine Freunde gestorben ist. Da wurde mir klar, dass es auch für die tapferen Helden kein Happy End gab.
Mala erhob sich und aus ihrer Stimme hörte ich unterdrückten Zorn: „Mein Auftrag lautete: Vernichte die Regan School, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht. Aber das Gebäude … hat nicht mal einen Kratzer. Kannst du mir das erklären?“ „Ich steig aus.“, ich sagte die Worte wie immer mit langsamer ruhiger Stimme. Aber Mala war entsetzt: „Was?! Das kannst du nicht!“ „Ich weiß.“ sage ich. „Wieso sagst du es dann?!“, schrie Mala schon fast. Ich blickte ihr direkt in die schwarzen Augen. „Du weißt nicht wer ich bin. Du weißt auch nicht wer Isa ist. Du hast keine Ahnung von dem was in uns vorgeht. Du weißt nicht welche Person uns dazu bringen kann, dir den Rücken zu kehren, dich zu verraten. Du weißt nicht was uns hier herbrachte und deshalb wird auch Isa sich gegen dich wenden. Du kennst deine Untergebenen nicht und deshalb kannst du sie nicht kontrollieren. Du kannst dich nicht auf sie verlassen. Deshalb bist du in Wirklichkeit allein und allein kannst du nicht gewinnen. Du bist schon so gut wie tot.“ Dann plötzlich passierte etwas in mir, ich wollte nicht mehr der Feigling sein, ich wollte wenigstens versuchen zu kämpfen und so strecke ich meinen Arm aus, um einen Kampf zu beginnen, den ich nicht gewinnen würde. Aber die Regan School würde ihn beenden und Mala besiegen, dann würde auch meine Mutter in Sicherheit sein. Dabei dachte ich nur an das Lächeln meiner Mutter und ich wusste das der Mut mich nicht verlassen würde, den sie war bei mir, bis zum Schluss …
