Kapitel „11"

154 10 6
                                    

„Sie sollte bald aufwachen."
„Sie war eine ganze Weile in Ohnmacht! Das hätte schneller gehen können!"
„Wenigstens lebt sie noch. Sie hätte auch tot sein können."
Mein Kopf schmerzt fürchterlich. Was ist bloß passiert? Ich versuche meine Augen zu öffnen, doch bin ich zu kraftlos.
„Sieh dir ihre Werte an! Sie müsste uns jetzt eigentlich hören können!"
„Sobald sie wieder in Ordnung ist, schickt ihr sie dorthin! Verstanden?"
„Ja, Sir!"
Ich versuche aus den Worten schlau zu werden, sie irgendwie zu verstehen. Aber mein Gehirn ist zu träge dafür. Jedes einzelne Wort bereitet mir Schwierigkeiten. Ich habe das Gefühl, mein Kopf zerplatzt mir. Was ist nur geschehen? Wo bin ich und wie bin ich hierher gekommen? Ich versuche irgendwie die furchtbaren Schmerzen zu ignorieren und mich mit aller Kraft zu erinnern... Ein Bild steigt in meinem Inneren auf, schwach und kaum erkennbar. Wie eine verschwommene Kopie eines Fotos, das beim Entwickeln zu viel Licht abgenommen hat. Es glänzt, ist zu hell und hat Flecken - weiß und rot -, ist verschwommen und verwischt, doch sind zwei Gesichter erkennbar. Zwei männliche Gesichter. Ein unbekanntes mit grauem Haar und ein bekanntes mit grauen Augen. Elfenbeinfarbene Haut, braune Haare - glatt. Ein bisschen wie ich. Er hat geweint. Ich glaube, ich habe ihn noch nie zuvor weinen sehen. Ein Name streift mein Gedächtnis, geht vorbei und kommt zurück.
„Gale...", stöhne ich. Mein Hals ist Frau und es klingt wie ein wortloses Krächzen. Gale. Wo ist er? Ist er entkommen? Ist er in ihrer Gewalt? Wer war der andere Mann? War noch jemand bei ihnen? Sind sie noch hier? Fragen über Fragen. Ein unendlicher Strudel an Fragen, die meine Gedanken kreuzen und wie nach einem Tornado hinterlassen. Eine Frage steht dabei im Mittelpunkt: Was ist geschehen?
„Miss Everdeen? Sind Sie wach?", fragt eine sanfte Stimme.
Bin ich wach? Bin ich am Leben? Heiße ich so? Meine Erinnerungen scheinen in einem schwarzen Loch gesogen zu werden und dort zu verenden. Wieso fällt mir selbst der einfachste Gedanke so schwer?
„Miss Everdeen?"
Ich will ein Lautstärke Erkenntnis ausstoßen, doch irgendetwas hindert mich daran. Es ist nicht mein mir ungehöriger Körper, der die Funktion verweigert, sondern irgendetwas in meinem Unterbewusstsein. Es fühlt sich wie eine Warnung meines Körpers an, eine Sicherheitsmaßnahme. Als würde etwas in mir sagen: „Verhalte dich ruhig! Es ist gefährlich zu sprechen!" Aber warum? Welche Gefahr könnte von dieser sanften Stimme ausgehen? Die Person wirkt nicht gefährlich, angsteinflößend oder gruselig. Doch die Warnung meines unterbewussten Selbst ist stärker als meine Logik und ich höre darauf. Mein Verstand ist zur Zeit nicht funktionstüchtig und bringt keine Lösungen hervor. Was geschah?
„Miss Everdeen, können Sie mich hören?"
Ich krächze wortlos, hilflos, verständnislos.
„Miss Everdeen?", fragt die Stimme erneut. „Miss Everdeen?"
„Nein, geh weg!", stöhne ich. „Miss Everdeen." „Nein. Lass mich in Ruhe!"
Langsam spüre ich die Welt erwachen wie ein Kind aus dem Schlaf. Und das ist gar nicht gut. Ich merke jeden Muskel und jeden Nerv einzelnd in die Welt der Lebenden zurückkehren. Und der Schmerz kommt zusätzlich zurück. Ein brennender, stechender Schmerz. Ohne meine Erlaubnis flattern meine Augen auf.
„Guten Morgen, Miss Everdeen.",sagt die Frau, deren Kopf über mich gebeugt ist und alles andere verdeckt. Ihr rotbraunes Haar fällt glatt dem Schultern entlang. Die himmelblauen Augen funkeln mich freundlich an. Ihre Haut ist zart-weiß, porzellanfarben. Die Lippen sind in zwei perfekten Bögen, weich und recht schmal. Ihr ebenfalls schmales Gesicht ist natürlich, ohne irgendwelche Verunstaltungen des Kapitols.
„Wo bin ich Wer sind Sie?", bringe ich heraus.
„Schhh. Ganz ruhig. Das ist nicht von Bedeutung. Ich gehöre zu dir.", spricht sie. Ein winziges, goldenes etwas blitzt vor mir auf. Eine Art Armband mit einem unregelmäßigen, goldenen Rankenmuster. Mit Mühe nehme ich wahr, was sie mir zeigen möchte. Ein Vogel in einem Kreis aus Gold. Nach einigen Sekunden kann ich dem Vogel einen Namen zuordnen. Es ist ein Spotttölpel, gefangen in einem goldenen Ring. Ein gefangener Spotttölpel, wie ich. Ein Spotttölpel... Meine Brosche. Ich trage an meiner Begrüßt entlang und fühle nichts außer rauem Stoff.
„Wo ist sie? Sie muss hier sein, irgendwo. Hier muss es doch sein...", murmele ich und Taste überall in meiner Umgebung. „Meine Brosche..."
Das Piepen eines Apperats wird immer schneller und schlägt mit meiner Panik zusammen.
„Ganz ruhig! Alles ist gut, Peeta hat sie. Beruhige dich!", sagt sie und drückt meine Arme fest herunter.
„Peeta?", frage ich verwirrt. Der Name ist wie ein Fremdwort für mich.
„Peeta. Er liebt dich. Er war mit dir in den Hungerspielen.", erklärt die langsam und plötzlich weiß ich es wieder.
„Peeta? Ist er auch hier? Wo ist er?", rufe ich panisch. „Ist er in Sicherheit? Ist Gale bei ihm? Mum? Prim? Haymitch? Bitte, wo sind sie?" Mörder! Monster! Verräter! Mutationen!
„Beruhige dich doch endlich!", bettelt sie verzweifelt. „Er ist in Sicherheit. Sie sind alle in Sicherheit. Es geht ihnen allen gut, sie sind in Distrikt 13. Alles ist gut."
13? 13 ist zerstört... Sie sind in 13... Sie sind zerstört! Sie sind tot!
„NEIN!", kreische ich wie eine Irre.
Das braucht dich nicht zu kümmern. Mutationen sind Mörder, wollten dich töten.
„Nein, nein, nein...", flüstere ich.
Das Piepsen nimmt unglaubliche Geschwindigkeiten an...
„Ruhig! Augen zu! Liegen! Jetzt!", drängt die mich flüsternd und ich kann nur gehorchen und nichts anderes. Was bleibt mir anderes übrig? Ich habe doch eigentlich keine Wahl. Meine Augen fallen zu, mein Körper fällt zurück in die Daunen, ich versuche entspannt auszusehen, doch funktioniert es nicht richtig. Ich Tiere wie wild.
„Ihre Werte spielten plötzlich einfach verrückt! Ich weiß nicht, was passiert ist. Es ging einfach los.", sagt sie hysterisch.
„Dann tun Sie etwas! Ich will sie in einer Stunde dort sehen, verstanden?", informiert sie eine kalte Stimme. Schlangengleich.
„Aber was?", fragt sie.
„Sie sind die Ärztin!", sagt er und schneit davon.

Pausiert gefangener SpotttölpelWo Geschichten leben. Entdecke jetzt