》Kapitel 12 - Reue《

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"Alles okay bei dir?", fragte mich der Kerl besorgt.
Ich platzierte meine beiden Arme auf den Tisch und ließ meinen Kopf erschöpft auf einen nieder, um mein Gesicht vor ihm zu verbergen, damit er meine feuchten Augen nicht sah.
Als Antwort murmelte ich nur ein kaum hörbares:"Ja."

Anscheinend hatte er es gehört, denn er erwiderte schnaubend:"Verkauf mich nicht für blöd, Kleines. Ich sehe doch, dass es dir wegen deinem Freund Ash nicht gut geht. Tut mir übrigens leid für dich, was ihm widerfahren ist."
Verblüfft fragte ich mich, woher er wissen wollte, dass er ein Freund von mir gewesen war. Gestern hatten wir nämlich eindeutig den Eindruck gemacht, dass wir uns hassten und aus seiner Perspektive war es auch so gewesen.
Wahrscheinlich zählte er eins und eins zusammen, weil ich bei Ashtons Erwähnung kurz davor war, wieder loszuheulen. Man heulte nicht, wenn man jemanden verloren hat, den man gehasst hat. Zumindest bei mir nicht.

Wie konnte er es so locker hinnehmen, während ich hier am zerbrechen war? Schließlich war Ash auch sein Kumpel gewesen oder etwa nicht?
Innerlich schüttelte ich den Kopf, denn ich vergaß, dass manche Männer ein Herz aus Eis hatten.
Wenn es hart auf hart kommen würde, würden die sich ohne zu zögern, gegenseitig abmurksen.

Ich sollte aufstehen und mich wieder an die Arbeit machen, aber ich würde nicht richtig auf den Beinen stehen können und wollte mich zuerst so weit beruhigen, dass ich nicht noch einen weiteren Kunden vollschüttete.
Also entschloss ich mich dafür, hier erstmal sitzen zu bleiben und ihn einfach zu ignorieren und ließ den gestrigen grausamen Tag Revue passieren.

Bei dem Teil an dem das Aussehen von Ash sich schlagartig verändert hatte, zuckte ich zusammen und eine Gänsehaut überzog meinen Körper.
Ich verstand immer noch nicht, wie oder woran er sterben konnte.
Es ergab keinen Sinn, da man herausgestellt hatte, dass er weder vergiftet, noch krank gewesen war und er vor seinem Tod noch gesund und munter ausgesehen hatte, was auch so gewesen war.
Wie war das dann möglich?
Besonders wie seine sonst so schönen Augen, die Farbe schwarz angenommen hatten, ließ mich schaudern.

Ich fühlte mich grauenvoll, denn unser Abschied hätte nicht so enden dürfen.
Sein junges Leben hätte nicht so enden dürfen.
Er hätte seine Freunde oder seine
Familie - beziehungsweise was davon übrig war - zuletzt sehen sollen und nicht meine hasserfüllten Augen.

Warum war ich nicht schon vor Monaten zu ihm hingegangen, um mich nochmal solange für alles zu entschuldigen, bis er mir wenigstens glaubte, wie sehr ich es bereute, ihn aus dem Weg gegangen zu sein?
Oder ihm wenigstens gesagt zu haben, wie wichtig und was für ein toller bester Freund er mir gewesen war?

Stattdessen hatte ich meine letzte Zeit mit ihm damit vergeudet, ihn ständig genauso zu behandeln, wie er mich behandelt hatte und ihm somit das Gefühl gegeben, dass ich ihn nicht ausstehen konnte, aber im Gegenteil.
So oft er mich auch gedemütigt, beleidigt und verspottet hatte, war er dennoch ein Teil meines Lebens geblieben, denn ich war selbst Schuld daran und er hatte mehr gute, als schlechte Taten begangen.
Natürlich gab es Momente, in denen ich ihm am liebsten an die Gurgel gesprungen wäre, aber man empfand selbst für die Menschen, die man am meisten liebte, einen mordsmäßigen Hass.

Nur, weil ein Mensch einen Fehler oder mehrere begangen hatte, sollte man seine guten Taten nicht vergessen, denn gerade Ash hatte viele positive Taten geleistet, die mir viel mehr bedeutet haben, als die negativen, denn man konnte Fehler nicht vermeiden.

Kein Mensch könnte ständig die richtigen Entscheidungen treffen, dies war unmöglich.
Jeder von uns hatte mal gelogen, geweint, gelacht und Fehler gemacht.
Das gehörte nun mal zu uns Menschen.

Mit meiner feuchten Zunge fuhr ich mir über die Lippen, um sie zu befeuchten und einmal quer über meinen geraden Zähnen.
Dann machte ich eine überraschende Entdeckung.
Mir fehlte ein Zahn und ich konnte mich klipp und klar an meinen Traum erinnern, wo ich einen verloren hatte.
Meine Nackenhaare stellten sich auf und ich hielt schockiert die Luft an.
Diese Nacht war gar kein Traum gewesen, sondern Realität.

Plötzlich spürte ich eine warme Hand, die meinen Rücken sanft streichelte und zuckte bei der Berührung vor Schreck zusammen.
Wahrscheinlich dachte man, dass ich hier unter Zuckungen litt.
Ich lugte zwischen meinen Haaren hindurch, um die Bestätigung zu bekommen, dass Andrew sich neben mich gesetzt hatte.
Er versuchte mich zu beruhigen und ich war am überlegen, ob ich nicht doch lieber aufstehen und weiter arbeiten sollte, während ich meinen Kopf darüber zerbrach, wer diese leuchtende Gestalt gewesen war, statt mich hier von einem herzlosen Typen trösten zu lassen.

Doch ich entschied mich dagegen, weil mich diese kleine Handlung lächeln ließ und ich mir nicht mehr so unwichtig vorkam.
Wie selten kam das vor, dass mich Menschen trösteten oder überhaupt wahrnahmen?
Fragte sich nur, warum er versuchte mich zu trösten. Wieso ließ ich mich von einem mir fremden Menschen überhaupt anfassen? Wer weiß, was er im Schilde führte? Sicher hatte er noch einen Hintergedanken im Kopf, denn er konnte mich unmöglich nur trösten wollen.
Ich wusste genug über Typen wie ihn, um das zu beurteilen.

Da ich mich schon einigermaßen beruhigt hatte, setzte ich mich auf und sah ihn mit einem argwöhnischen Blick an.
Seine Hände hatte er wieder bei sich und er sah mich forschend an.
"Was hast du vor?", erkundigte ich mich rasch. Er hob eine Augenbraue und fragte verwirrt zurück:"Wovon redest du?"

Genervt verdrehte ich die Augen.
Wer verkaufte hier wen für blöd?
"Du weißt, was ich meine. Was willst du damit bezwecken, indem du mich hier tröstest?"
Ich verschränkte meine Arme vor der Brust und sah ihm in die Augen, die mich ahnungslos anschauten.
Entweder er konnte verdammt gut schauspielern oder er wusste wirklich nicht, wovon ich sprach.
Ich tippte auf ersteres und half ihm auf die Sprünge.

"Ihr Jungs habt nie gutes im Sinn, also verrate mir endlich, was du bezwecken wolltest!" Meine Stimme war am Ende etwas lauter geworden, aber das hatte niemand mitbekommen, da das Café sich mittlerweile gefüllt hatte und man von überall Stimmen hörte, die sich lauthals unterhielten.

Ich hatte viele Reaktionen von Andrew erwartet, aber nicht das er anfing zu lachen. Perplex schaute ich ihn an und fragte mich, was daran so witzig war.
Mit einem amüsanten Lächeln richtete er seine goldschimmernden Augen wieder auf mich.

"Was hast du denn gegen uns Männern? Schlechte Erfahrungen mit jemanden gemacht?", erkundigte er sich interessiert, statt meine Frage zu beantworten.
Augenrollend entgegnete ich:"Mein Liebesleben hat dich nichts anzugehen."
Dabei las ich an seinem Gesicht ab, dass ich sein Interesse umso mehr geweckt hatte.
Er wollte gerade zu einem Satz ansetzen, als ich ihm zuvorkam und die Hand hob. "Hiermit ist unser Gespräch beendet."

Im Café wurde es langsam lauter und voller, sodass ich wieder an die Arbeit musste.
Ein Blick auf die Uhr verriet mir, dass ich etwa zwanzig Minuten Pause gemacht hatte und das war eine lange Zeit, wenn man bedachte, dass mir gar keine Pause erlaubt war.

Patzig forderte ich ihn auf wegzugehen. "Geh mir aus dem Weg."
Er wandte sich mit einem herausfordernden Gesichtsausdruck zu mir.
"Wieso sollte ich?"
"Weil dein Fettarsch die Hälfte der Bank einnimmt und ich wieder an die Arbeit muss", entgegnete ich kühl.
Gerade wollte er etwas erwidern, als ich ihm wieder zuvor kam und ihn einen kleinen Schubs gab, sodass er aufstand und ich somit zufrieden herausklettern konnte.

Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, machte ich mich wieder tüchtig an die Arbeit, welches mich daran hinderte, nachzudenken und mir ganz gut tat.
Oft sah ich auf meine Hände herab und erwartete, dass aus ihnen Blitze schoss oder ich damit Menschen aus Versehen verletzte, aber nichts dergleichen geschah, was mich unsicher machte.

Andrew verließ kurz darauf das Café mit einem breiten Grinsen im Gesicht, wobei seine Grübchen zum Vorschein kamen und ich bedauerte es, den heißen Kaffee nicht in sein 'Ach-so-schönes' Gesicht gekippt zu haben.

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