Seit über vierundzwanzig Stunden saß ich bereits auf dem Schaukelstuhl und hatte sehnlichst auf ihre Familie gewartet, damit ich ihnen beichten konnte, dass deren Tochter gestorben war.
Woran hätte ich mir zu dem Zeitpunkt spontan einfallen lassen. Allerdings hatte sich ihre gesamte Familie noch nicht blicken lassen, was mich wunderte, denn sie müssten jeden Abend Zuhause sein. Doch es kümmerte mich nicht mehr, sollte die Familie doch selbst erfahren und Vermisstenanzeigen veröffentlichen.Für meinen Geschmack war das Wohnzimmer viel zu farbenfroh gestaltet worden. Die Wände waren in einem himmelblauen Farbton gehalten, während die Möbel mal grün oder gelb bis hin zu weiß waren. Vor mir hing ein gigantischer Flachbildschirm und neben mir war ein riesiges Sofa aus Leder aufgebaut worden. An der Decke hing ein Kronleuchter mit Kristallen bestückt und es standen mehrere teure Dekorationen im Zimmer.
Diese Familie besaß eine Menge Geld, während ich gerade so mit meinem auskam.Mit meinen tauben Beinen stand ich mürrisch auf und wollte in die Küche schlurfen, um mir einen Kaffee zu machen, damit meine Augen nicht ständig zufielen.
Dabei ging ich an einem Zeitstrahl mit Fotos vorbei, auf denen überall Stella zu sehen war und machte einen Zwischenstopp.
Sie hatte auf jedem Bild, dasselbe Lächeln aufgesetzt und war voller Energie.
Sie waren von klein nach groß geordnet worden und auf einem Foto blickte sie mit mehreren Zahnlücken grinsend in die Kamera, welches mich an meine eigenen Lücken erinnerte.
Ganz hinten hatte ich auf beiden Seiten meine Backenzähne herausgeschlagen bekommen, die nun an der Stelle nicht mehr nachwachsen würden.
Ich hatte Glück, dass sie nicht zu sehen waren, da ich sonst absolut lächerlich aussehen würde.Ich betrachtete die Bilder alle nacheinander und spürte ein Stechen in der Brust, welches sich anfühlte, als würde ein Wurm sich durch mein Herz fressen. Stella war tatsächlich tot und würde auch nicht wieder auftauchen.
Sie war noch so jung gewesen und hätte mit ihrem Wissen vieles erreicht. Das alles war nun fort, weil sie auf unverständliche Weise gealtert war und somit nichts als Staub von ihr übrig geblieben ist.
Ich ordnete sie zu der Spezies Prevoux ein, denn dieser Todesfall gehörte nicht zu uns Menschen.Zum zigsten Mal rannen heiße Tränen in Sturzbächen meine Wangen hinunter. Ich schlug mir die Hand auf den Mund, um meine Schluchzer zu dämpfen und wollte nicht wahrhaben, dass sie fort war.
Als hatte man mir meine zweite Hälfte genommen.
Obwohl ich die ganze Nacht durchgemacht hatte, um meinen Schmerz durch das Vergießen von Tränen zu vermindern, quellten jetzt immer noch eine Menge an salzigem Wasser aus meinen Augen.Eigentlich hatte ich vorgehabt, in die Küche zu gehen, um meinen hungrigen Magen zu füllen, aber ich war nicht im Stande, dorthin zu gelangen.
Lieber wollte ich hier schmoren und mir die Bilder von ihr ansehen.
Das erste Bild, welches an der Wand hing, war komischerweise ein schwarzweiß Foto und die nächsten sieben Bilder waren ebenfalls schwarzweiß. Mein Blick wanderte weiter und auf jedem Bild hatte sie sich fortgepflanzt und sah älter aus. Bis ich zur Mitte der ganzen Reihe angelangte. Ab diesem Teil hatte sich ihr Aussehen kein Stück mehr verändert, sondern sie ähnelte sich die nächsten Fotos wie aufs Haar.
Wurden die Fotos in den letzten paar Jahren geschossen?Stirnrunzelnd stolperte ich zum ersten Bild hinüber und starrte dieses Foto eine lange Zeit an und studierte es. Hinter ihr war ein armseliges Haus aus Holz zu sehen und diese Kleidung, die sie auf dem Foto trug, passte nicht in unser jetziges Jahrhundert hinein. Mein Blick glitt in die untere, rechte Ecke des Fotos, welches meine Befürchtung bestätigte, denn dort hatte jemand in lesbarer Handschrift ein Datum hingekritzelt.
Mit dem Saum meines Kleides wischte ich mir die Augen trocken, damit ich auch tatsächlich richtig gelesen hatte, aber wieder las ich dasselbe Datum.13/04/1858
Daneben waren Daten zu dem Bild erkennbar, die nichts mehr zur Sache beitrugen.
Meine beste Freundin könnte meine Uroma sein. Allerdings hatte sich ihr Klamottengeschmack dem Jahrhundert immer angepasst und sie verhielt sich auch wie eine junge Teenagerin. Wie hätte ich jemals in Betracht ziehen können, dass meine beste Freundin, die seit über hundert Jahren wie eine sechzehnjährige aussah, aus dem 19. Jahrhundert stammte?
Sie war eindeutig ein Prevoux, welches bedeutete, dass Andrew wahrscheinlich genauso alt war. Bei der Vorstellung schüttelte ich mich, denn wenn es so war, dann hatte ich einen alten Knacker geküsst, für den ich vorübergehende Gefühle empfand.
Diese Entdeckung war durchaus abstoßend.
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Shooting Star - Mysterious
FantasyVor etwa einem Jahr hat die Sechzehnjährige Claire eine schmerzhafte Bekanntschaft mit den Gefühlen gemacht, die man empfindet, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat. Seitdem scheint sich alles dem Negativen zu zuwenden. Doch seit dem Zusam...