》Kapitel 4 - Gedächtnisverlust《 ✅

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Mit einem gekrümmten Rücken machte ich seit einer halben Stunde einen Spaziergang und versuchte schon die ganze Zeit, den gestrigen Abend hervorzurufen.
Jedes Mal endete meine Erinnerung an der Stelle, wo ich die Zimmertür meiner Mutter geöffnet hatte. Danach wollte mir nicht ins Gedächtnis kommen, was ich dort zu Gesicht bekommen hatte.

Heute morgen hatte ich an solch schlimmen Schmerzen gelitten, dass ich ins Bad gegangen war, um mir meinen Rücken anzusehen. Und dieser Anblick, der sich mir geboten hatte, war schockierend gewesen.
Dort hatte ein riesiger Fleck geprangt, der von blaugrün bis hin zu violett verfärbt gewesen war.
Es würde Monate dauern, bis dieser verschwinden würde. Und wahrscheinlich war diese Verletzung in der Zeit geschehen, als ich das Zimmer meiner Mutter betreten hatte. Nur war es so, dass ich einen Filmriss hatte, als hätte ich mich vollbetrunken, obwohl ich weder die Alkoholsammlung meiner Mutter angerührt hatte noch auf irgendeiner Party gewesen war.

In einer Stunde würde die Schule beginnen, weshalb ich schonmal umkehrte und dabei schwer atmete. Ich hatte gehofft, dass ein wenig Bewegung meinen Rücken gut tun würde, aber es fiel mir verdammt schwer, Luft in meine Lungen zu lassen, was mich diese Entscheidung bereuen ließ.

Zuerst war mir die Idee gekommen, meinen Hausarzt Dr Shawn einen Besuch abzustatten, aber als mir keine glaubwürdige Erklärung eingefallen war, als zu sagen, dass ich es nicht wusste, hatte ich mich hierfür entschieden. Ansonsten würden sie sicherlich das Jugendamt auf meine Mutter hetzen und das konnte ich meiner Mutter unmöglich antun. Sie hatte schon genug Stress in ihrem Leben.

Ich schlurfte die Straße hinunter und überlegte, ob ich Alzheimer hatte.
Es war unmöglich, dass ich vergessen hatte, wie ich mir eine solche Verletzung eingeholt hatte. Es machte den Anschein, als hätte mich jemand gnadenlos verprügelt und da kam mir meine Mutter in den Sinn.
Hatte sie mir das möglicherweise zugefügt?
Es war nicht auszuschließen, aber es fragte sich nur, wie sie das hinbekommen hatte und weshalb.

Vielleicht war auch etwas anderes geschehen.
War ich vielleicht die Treppen hinuntergestürzt und hatte mir den Kopf gestoßen? Ich packte mir an den Schädel, um es zu überprüfen und konnte diese Frage verneinen. Mit meinem Kopf war alles in Ordnung, denn ansonsten hätte ich eine Beule gespürt.

Ich hob den Blick vom Boden und sah geradeaus, was einen Schmerz durch meinen Rücken fuhren ließ, sodass ich zischend zum Stehen kam.
Wie lange musste ich das noch ertragen? Langsam ging ich weiter und atmete bewusst ein und wieder aus.
Mir kam der Impuls einfach Zuhause zu bleiben und zu schwänzen, aber es kam mir falsch vor. Die Schule war wichtig und ich brauchte die Bildung für meine Zukunft, falls ich überhaupt eine mit Studium haben würde. Schließlich musste ich mich um meine Mutter kümmern, die Priorität hatte.

Es war unglaublich wie der Tod eines Menschen, das Leben anderer beeinflusste, die demjenigen nahe standen. Meine gesamte Zukunft konnte ich dadurch wegwerfen, weil ich kaum im Unterricht zuhören konnte, egal wie sehr ich mich bemühte. Meine Gedanken schweiften ständig wieder ab.
Trotzdem war es besser, als alleine Zuhause zu hocken und dabei ein noch schlechteres Gewissen zu haben, weil ich die Schule schwänzte.

Nie war mir in den Kopf gekommen, dass mein Leben sich für dieses einsame Schicksal entscheiden würde. Ich hatte eine Familie und ausreichend Freunde besessen und hatte ganz gute Noten geschrieben. Besonders in den Nebenfächern Sport und Kunst punktete ich. Ich hatte keine unlösbaren Probleme gehabt, sondern mein Leben war so, wie der eines normalen Menschen.
Und doch waren mir nur der Sport und die Kunst geblieben.

Hatte ich dieses Schicksal tatsächlich verdient? Ich hatte alles in einem viel zu kurzen Zeitraum verloren.
Daran war nur der Tod und die Liebe schuld. Gäbe es diese nicht, hätte es mich nicht so mitgenommen und es wäre alles so, wie es zu sein hatte. Nichts hätte sich verändert, sondern nur, dass wir einer weniger in der Familie wären.
Aber so war es nunmal nicht. Es gab den unausweichlichen Tod und die zerstörerische Liebe. Ich machte mir zu viele Gedanken, obwohl ich das Leben in vollen Zügen genießen sollte, statt über Dinge nachzudenken, die nicht zu ändern waren.

Mittlerweile zitterte ich am ganzen Körper, da mich diese Tatsachen immer wieder mitnahmen. Doch ich erlaubte es mir nicht, mitten auf der Straße Dampf abzulassen. Ich wollte stark bleiben und hielt somit die Tränen zurück.

Um mich abzulenken, ließ ich den gestrigen ganzen Tag Revue passieren und stöhnte frustriert auf, als es wieder in dem Moment schwarz wurde, wo ich die Tür geöffnet hatte, als befände sich eine Mauer davor, die nicht zu durchbrechen war. Was hatte sich dahinter verborgen? Wütend stampfte ich mit dem Bein auf und ignorierte den ziehenden Schmerz.
Ich erinnerte mich sonst auch immer an alle Verletzungen, die ich mir zulegte und an die Größte von allen konnte ich mich nicht erinnern?
Das war mehr als merkwürdig.

Gereizt betrat ich die Downabby Street und stolperte schnurstracks zu meinem kleinen Anwesen. Ich wollte eigentlich nur meine Schultasche schnappen und wieder verschwinden, als sich die Wege zwischen mir und meiner Mutter kreuzten.

Sie trug ein viel zu großes Shirt von Dad und hatte dunkle Augenringe. Ihr Gesicht war blass und sie hatte stark abgenommen. Ihre Beine waren nicht viel dicker als ein Zahnstocher und ihre Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht.
Aber etwas war anders, denn in ihren Augen erkannte ich nicht diese übliche Leere, an die ich gewohnt war, sondern Leben, was mich wunderte. Wahrscheinlich stimmte etwas mit meinen Augen nicht, denn sie schienen auch deren Augenfarbe. jede Sekunde, zu ändern.

Gestern in diesem Zimmer musste etwas passiert sein, denn ich hatte vieles versucht, um meine Mutter wieder ins Leben zu stimmen, bis ich endlich eingesehen hatte, dass sie gebrochen war.
Sie brauchte mich nicht, sondern einen neuen Mann in ihrem Leben, der ihr den Kummer nahm, welches mein Vater hinterlassen hatte.

Verwundert blickte ich in ihre Augen und sah alle möglichen Farben. Jetzt hatte ich auch noch Halluzinationen. War das eine Krankheit, die ich besaß? Ich rieb mir die Augen, um sie mir genauer anzusehen, aber da war sie schon verschwunden. Hatte ich sie mir nur eingebildet?
Die Antwort wurde mir beantwortet, als ich den Mixer hörte und ich schnappte mir wortlos meine Tasche, um von hier zu verschwinden.

Sehnte ich mich schon so sehr nach der Mum, die mich liebte, dass ich mir schon einbildete, sie würde stehen bleiben und mich bemerken? Ganz plötzlich?
Kopfschüttelnd wandte ich mich ab und tappte mit der Geschwindigkeit eines Seesterns zur Schule, da ich unfähig war, um das Fahrrad zu benutzen.
Ich würde nur alle zwei Sekunden jammern und vor mich hin fluchen.

Hatte ich mir die Situation wirklich nur eingebildet? Ich könnte schwören, dass ich dieses Farbenwechseln schonmal bei ihr gesehen hatte. Entweder meine Augen spielten tatsächlich verrückt oder ich behielt Recht.
Ich tippte auf ersteres, denn das Farbenwechseln war bei uns Menschen nicht möglich und niemals könnte sie irgendetwas besonderes an sich haben.
Sie war nur ein kaputter Mensch, der über seine erste und einzige Liebe nicht hinwegsehen konnte.

#qotd: Wie groß seid ihr?

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