》Kapitel 1 - Vergangenheit《 ✅

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Ausdruckslos starrte ich zum Sternenhimmel empor und versuchte, mein Herz unter Kontrolle zu bringen.
Mittlerweile war es über einem Jahr her, als der Krebs mir meinen Vater genommen hatte und dennoch gab es keinen Tag, wo ich ihn nicht vermisste. Ich brauchte ihn.

Seit dem herzzerreißendem Verlust kam ich beinahe jeden Abend hierher, um in den Himmel zu schauen und hegte jedes Mal ein Fünkchen Hoffnung, dass ich ein Zeichen von ihm entdecken würde, womit er mir mitteilte, dass es ihm gut ging. Doch die Frage blieb bis heute unbeantwortet.

Unser kleines Haus, welches in Philadelphia stand, hatte kein dreieckiges Dach wie die meisten Häuser, sondern es war flach, sodass ich die Abende draußen schlafen konnte. Da ich häufig den Schlafsack bevorzugte, hatte ich mir eine Kiste gekauft, worin ich die ganzen Utensilien verstauen konnte, damit ich nicht jeden Abend die Sachen mit nach oben schleppen musste.

Dieser Ort gehörte zu meinen Lieblingen, denn ich konnte hier in Ruhe nachdenken und meinen Frust sogar herausschreien, niemand würde sehen, dass ich es war. Es war zu meinem Zufluchtsort geworden.
Alles darin verband mich mit meinem Vater, wie die Fotos an den Wänden, die es mir besonders schwer machten, über ihn hinwegzukommen. Jedoch brachte ich es nicht übers Herz, diese abzunehmen.
Wenn ich mich mit meinen Eltern gestritten hatte, hatte ich mich immer hierhin verzogen und sie hatten nur selten einen Fuß hierhergesetzt. Dies war der einzige Teil unseres Hauses, wo ich mich einigermaßen wohl fühlte.

Heute war einer der wenigen Tage, wo ich nicht das Bedürfnis empfand, Rotz und Wasser zu heulen, obwohl mich die Gedanken quälten.
Momentan wurde ich zurück in die Vergangenheit versetzt, wo ich meinen Vater sterben gesehen hatte. Sein Aussehen war nicht mit dem identifizierbar gewesen, bevor sich der Krebs an ihm vergriffen hatte. Ihm war es von Tag zu Tag schlechter ergangen und trotzdem hatte er in meiner Gegenwart versucht, eine Gelassenheit vorzuspielen, als sei er nicht kurz davor gewesen, mich und Mum zu verlassen.
Ich hatte ihn täglich nach der Schule besucht und hatte ihm Essen vorbeigebracht, da er die Mahlzeiten im Krankenhaus nicht ausstehen konnte. Mum hatte mich oft begleitet und wir hatten uns Geschichten erzählt, die wir gemeinsam erlebt hatten.
Hauptsächlich hatte ich aus meiner Perspektive erzählt und Mum hatte bloß auf Dad heruntergeschaut, während er seinen Blick meist auf mich gerichtet hatte und dabei gelächelt hatte. Es hatte den Anschein gemacht, als wollte er mein Gesicht in Erinnerung behalten.

Eines Tages, als ich mit der Lasagne meiner Mutter zu ihm ins Zimmer gekommen war, hatte ich ihn schwach im Bett liegen sehen und hätte dabei beinahe die Lasagne fallen gelassen. Ich war sofort zu ihm geeilt und hatte das Tablett auf den Nachttisch gestellt.

Normalerweise hätte er mich auf der Stelle angelächelt, wenn er mich erblickt hatte, doch damals war es nur eine verzerrte Grimasse gewesen, die seine Schmerzen verraten hatten. Ich hatte hilflos zugesehen, wie er mir langsam entglitten war und seine letzten Worte würde ich nie mehr aus meinem Kopf bekommen. Nicht, dass ich es wollen würde.
"Häschen, du bist was ganz besonderes. Versprich mir, dass ihr füreinander da sein werdet. Und ich bitte dich, lass niemals das Böse in dir die Oberhand gewinnen. Ich hab dich lieb, mein Engel", hatte er gehaucht und war daraufhin mit einem Lächeln eingeschlafen. Zumindest hatte ich das gedacht, als der Monitor plötzlich zu piepen angefangen hatte und die Ärzte hereingestürmt waren. Ich wurde direkt herausgeschmissen und hatte erst dann realisiert, dass er gar nicht eingeschlafen war, sondern gestorben war.
Direkt vor meinen Augen.
Natürlich hatte ich dann versucht, wieder ins Zimmer zu gelangen, aber da wurde er schon eilig hinausgeschoben. Die Ärzte hatten mich erfolgreich davon abgehalten, ihm zu folgen. Danach hatte ich meinen ersten Nervenzusammenbruch erlebt, der nicht mein letzter gewesen war, denn ich hatte danach an mehreren gelitten.

Ich nahm seine Worte nicht ernst, dass ich etwas besonderes war, denn das sagten alle Eltern zu deren Kindern. Und unter dem Begriff Böse verstand ich, dass er mir damit sagen wollte, Menschen nicht zu hintergehen oder anzulügen. Allerdings war ich ein ehrlicher Mensch, weshalb er sich die Warnung hätte sparen können. Aber ich hatte mein Versprechen, was ich mit meinen Augen bestätigt hatte, nicht gehalten, denn ich war nicht für meine Mutter da gewesen und sie nicht für mich.
Eine ganze Woche lang hatte ich die Schule geschwänzt und mich in meinem Zimmer eingeschlossen. Nur gelegentlich hatte ich es verlassen, damit ich meine menschlichen Bedürfnisse stillen konnte. Dabei hatte ich darauf geachtet, meiner Mutter nicht zu begegnen.

Als ich dann die Phase überstanden hatte und der nächste Punkt der Phase auf der Liste stand, war es schon zu spät für meine Mutter gewesen.
Ich hatte sie betrunken auf unserer Couch vorgefunden und ihr Anblick hatte mich innerlich noch mehr zerrissen. Der Alkohol war in meine Nase gedrungen und hatte einen Brechreiz in mir verursacht, den ich mühsam aufzuhalten versucht hatte.
Ihre sonst so kristallblauen Augen waren leer und geschwollen gewesen, aus denen unaufhörlich Tränen gequollen waren. Die Art, wie sie geschluchzt hatte und immer wieder seinen Namen wiederholt hatte, hatte mich dazu angestiftet, sie in die Arme zu nehmen, damit sie endlich aufhörte. Eine Umarmung hatte in unserer Familie immer geholfen, aber ohne einem Angehörigen hatte es sich wohl geändert.
Statt meine Umarmung zu erwidern, hatte sie mich angewidert von sich geschubst und mich angebrüllt, was ich da tat. Natürlich hatte ich dem Alkohol die Schuld gegeben und mich ihr genähert, um ihr die Flasche zu entnehmen, jedoch hatte sie bemerkt, worauf ich es abgesehen hatte und hatte mir eine deftige Schelle verpasst, woraufhin ich zu Boden gefallen war.

Daraufhin hatte sie einen kräftigen Schluck genommen und mich gleichgültig angesehen, als hätte sie mich nicht körperlich, als auch seelisch verletzt. Dabei war der seelische Schmerz schlimmer gewesen.
Noch nie in meinem ganzen Leben hatte sie die Hand mir gegenüber erhoben, doch der Tod meines Vaters hatte etwas abscheuliches in ihr hervorgerufen. Es hatte sie vollkommen verändert. Sie war zu einer Ertrunkenen geworden, die mit dem Atmen kämpfte.

Bis heute hatte sich unser Verhältnis nicht mehr zum Früheren gewandt, sondern sie benahm sich so, als existierte ich gar nicht.
Ich hatte monatelang versucht, sie aus dieser Phase zu locken, aber für jede Alkoholflasche die in den Müll gekommen war, jede Umarmung oder gar Berührung hatte es Schläge und Beleidigungen gegeben, die ich niemals von ihr erwartet hätte.
Als hätte mein Vater das Gute in ihr mitgenommen und mir das Hässliche überlassen.

Eines Tages, als ich genug hatte und nicht mehr zuließ, dass sie ihre übertriebenen Depressionen an mir ausließ, hatte ich zum ersten Mal die Stimme erhoben und ihr schreckliche Dinge an den Kopf geworfen. Leider war es bei ihr wahrscheinlich ins eine Ohr gekommen und aus dem anderen wieder heraus, denn sie hatte nur einen leeren Blick für mich übrig gehabt.
Nachdem ich dann einen draufgesetzt hatte, war es um sie geschehen und sie hatte es tatsächlich über sich gebracht, mich ohnmächtig zu prügeln.
Ich würde diesen Tag für immer in Erinnerung behalten. Die blauen Flecke, die ich dann wochenlang mit mir tragen musste, hatten mir immer wieder Stiche mitten ins Herz gegeben. Zwar hatte ich die Flecken teilweise verdient, aufgrund meiner Beleidigungen die absolut niveaulos waren, aber dennoch hatte sie nicht die Erlaubnis, mir dermaßen viele blaue Flecken zuzufügen.

Auch in diesem Moment fand ich es absolut übertrieben von ihr, sich zu betrinken und das eigene Kind zu misshandeln, weil der Ehemann gestorben war. Man konnte einen Mann ersetzen, aber keinen Vater. Während sie sich einen neuen Freund suchen konnte, der ihr das Gleiche wie mein Vater geben konnte, war es mir nicht möglich, einen neuen leiblichen Vater zu finden.
Außerdem begann ich auch nicht sofort damit, mich zu betrinken oder geliebte Menschen zu verprügeln.
Ihre Veränderung war weit hergeholt, denn sie hatte noch mich gehabt und wir hätten zu zweit weiterleben können. Doch sie hatte sich dagegen entschieden.

Noch immer hatte ich nicht den Drang meinen Schmerz herauszuheulen, sondern wünschte mir stattdessen etwas, da eine Sternschnuppe am Himmel vorbeigezogen war.
Ich hatte schon einige Sternschnuppen gesehen und immer denselben Wunsch geäußert, der aber nie erfüllt wurde. Daran merkte man, dass es nur Humbug war, dass Sterne Wünsche erfüllen konnten.

Mein Blick glitt nach rechts, wo ich meinen Wecker aufgestellt hatte, der mir anzeigte, dass mir nur noch wenige Stunden übrig blieben, bis ich aufstehen musste, um in die Schule zu gehen. Mit einem strichverzogenen Mund zog ich den Schlafsack bis zur Hälfte meines Gesichtes hoch und sah ein letztes Mal zum Himmel hinauf.
"Gute Nacht, Dad."

Shooting Star - MysteriousWo Geschichten leben. Entdecke jetzt