Besorgt stieg ich die Treppenstufen hinauf auf das Zimmer meiner Mutter und klopfte vorsichtig an ihre Tür. Normalerweise hielt sie sich um diese Uhrzeit im Wohnzimmer auf, aber das Zimmer war leer gewesen, als ich hineingeschaut hatte.
Eigentlich hatte ich vorgehabt, mich in meinem Bett zu verkriechen, weil der restliche Tag für mich gelaufen war. Denn es war gar nicht nötig gewesen, Stella zu ignorieren, da sie keinerlei Anstalten gemacht hatte, ein Gespräch mit mir anzufangen. Sie hatte manchmal erwartungsvolle Blicke zu mir hinübergeworfen, aber mehr war nicht gekommen.
Ich schüttelte enttäuscht den Kopf.Als mir meine Mutter keine Antwort gab, ging ich davon aus, dass sie noch schlief und öffnete unbewusst die Tür.
Und was ich dort sah, brach mir das Herz.
Wie oft musste mir das Herz noch gebrochen werden, bis es aufhörte zu schlagen?Meine Mutter saß mit angewinkelten Beinen auf ihrem Bett und hielt ein Fotoalbum in den Händen. Ihr Gesicht war tränenüberströmt und neben ihr lag ein Haufen Taschentücher. Ihre Wangen waren gerötet und ihre Haare waren zu einem unordentlichem Pferdeschwanz gebunden.
Ich mochte es nicht, wenn Menschen in meiner Gegenwart heulten, denn ich war kein Typ, der einen trösten konnte. Mehr als eine Umarmung konnte ich nicht geben.Langsam näherte ich mich ihr und beseitigte angewidert die benutzten Taschentücher, bevor ich mich zu ihr aufs Bett setzte. Dann schaute ich ebenfalls ins Fotoalbum hinein und merkte, dass in diesem Album nur Fotos von meinem Dad und ihr waren, als ich noch nicht auf der Welt gewesen war.
Sie blätterte eine Seite weiter und selbst bei mir zog sich das Herz zusammen, Bilder von ihm zu sehen. Bei dem Anblick der Familienfotos an unseren Wänden, verlor ich meist die Kontrolle, weshalb ich es möglichst vermied. Es brachte bloß Erinnerungen von damals herauf und bewies mir nur, dass ich keine Familie mehr besaß.
Doch in diesem Moment riss ich mich zusammen, da ich vor meiner Mutter stark sein wollte.Ich versuchte mich zu erinnern, wie sich seine Stimme angehört hatte und musste sofort an das Lied Forever denken, welches er selbst komponiert hatte.
Er hatte eine unglaublich schöne Stimme gehabt und ich hatte es geliebt, ihm beim Singen zuzuhören. Ich hatte seine Stimmbänder beneidet, denn leider hatte ich das Talent nicht von ihm geerbt. Ich hatte mehrmals versucht zu singen und es sogar aufgenommen, aber ich war völlig gescheitert.Stattdessen erbte ich seine künstlerische Begabung und von Mum die musikalische.
Ich liebte es zu zeichnen und spielte Klavier. Beides konnte ich relativ gut, aber nicht annähernd so gut wie meine Eltern."Ich vermisse dich."
Das war der erste Satz seit Monaten, den ich von ihr hörte, der keine Beleidigung in sich hatte und sah in ihre schmerzerfüllten Augen. Wie jedes Mal glühten ihre blauen Augen auf eine faszinierende Art.Wenn sie bloß das Haus verlassen würde, könnte sie sich einen neuen Mann suchen.
Meine Mutter war eine wunderschöne Frau, die einer zwanzigjährigen ähnlich sah, obwohl sie bereits über dreißig war. Sie würde sicherlich jemanden finden, wenn sie nicht so auf meinen Vater fixiert wäre. Ich würde es ihr gönnen, solange sie mich nicht dazu zwang, denjenigen als meinen neuen Vater zu betrachten.
Solange es sie glücklich stimmte und ich meine Mutter zurückbekam, könnte ich das akzeptieren. Aber ich bezweifelte, dass sie es jemals in Erwägung ziehen würde. Und sollte ich es ihr jemals vorschlagen, würde sie mir nur wieder Beschimpfungen an den Kopf werfen.Natürlich vermisste ich ihn auch, aber jeder Mensch starb eines Tages und gerade sie müsste doch viel besser damit umgehen können.
Schließlich hatte sie mir erzählt, dass sie beide Elternteile mit gerade mal neunzehn Jahren verloren hatte, aber sie hatte mir nie verraten, woran sie ums Leben gekommen waren. Liebte man seine Eltern nicht mehr als seinen Partner?
Die Eltern haben einen schließlich auf die Welt gebracht, sich um einen gekümmert, einem das Laufen, Sprechen und Essen beigebracht.
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Shooting Star - Mysterious
FantasíaVor etwa einem Jahr hat die Sechzehnjährige Claire eine schmerzhafte Bekanntschaft mit den Gefühlen gemacht, die man empfindet, wenn man einen geliebten Menschen verloren hat. Seitdem scheint sich alles dem Negativen zu zuwenden. Doch seit dem Zusam...