》Kapitel 43 - Staub《

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Es vergingen Tage, die ich damit vergeudete, ihn zu finden. Leider hatte er mir nie seine Lieblingsorte gezeigt und sonst wusste ich auch nicht, wo er sich in seiner Freizeit gerne aufhielt, sodass mir am Ende nur noch zwei Tage übrig blieben, um die Wette zu gewinnen.

Es gab vieles an Negativem an dieser ganzen Sache, aber dass ich ihn vermisste gehörte zu den schlimmsten Punkten. Sein Lächeln, seine Stimme oder generell sein Gesamtpaket nicht vor sich zu haben, schmerzte auf eine unbekannte Weise.
Ich hatte mich tatsächlich in der kurzen Zeit an seine Anwesenheit gewöhnt.

Derzeitig stampfte ich mit einem trägerlosen Kleid, zu Stellas Anwesen, welches zu meinen Lieblingen gehörte, weil es ein Geschenk meines Vaters zu meinem fünfzehnten Geburtstag war. Es sind beinahe zwei Jahre vergangen und das Kleid passte mir glücklicherweise immer noch, da ich kaum gewachsen war und weiterhin die Größe einer durchschnittlichen Basketballspielerin besaß.

Es war ein sonniger Nachmittag, welches bedeutete, dass sie bereits Zuhause sein müsste. Die Schule hatte bereits seit zwei Wochen angefangen und ich hatte nicht die Lust und Kraft dazu verspürt, diese zu besuchen. Zudem sah es nicht danach aus, als könnte ich mein Leben wieder in diese Richtung wenden, als wäre diese ganze Sache nie geschehen.
Es gab keinen Knopf, der mir mein vorheriges Leben zurückgeben würde, weshalb ich mich darum bemühte, mit diesem klarzukommen, denn man lebte nur ein Jahrhundert. Und ich hatte vor, dieses Jahrhundert so zu gestalten, wie es sich gehörte.
Aufregend und Unvergesslich.

Verschwitzt kam ich vor ihrer Haustür an und klingelte ungeduldig. Das Gespräch hätte schon vor Monaten stattfinden sollen.
Allerdings waren mir einige Dinge dazwischen gekommen, weshalb sich diese Lage verzögert hatte. Aber ich hatte mir meine Predigt, die ich halten würde, vorbereitet und wiederholte diese im Kopf, während ich wartete, dass mir jemand die Tür öffnete.

Die Haustür knarzte, als sie geöffnet wurde und dahinter befand sich meine beste Freundin, die in einem weißen Kleidchen steckte, welches ihr bis zu den Knien ging. Es war kein hübsches Kleid, wo andere Mädchen einen zweiten Blick darauf warfen, sondern es war ein Kleid, welches in Horrorfilmen getragen wurde. Ihre Haare waren fettig und hingen ihr strähnig über das fahle Gesicht.
Ihr ganzes Gesicht war ausgetrocknet, als wanderte sie seit Monaten durch die Wüste mit nur wenigen Schlucken an Wasser.
Ihre Beine waren fleischig und als ich genauer hinsah, entdeckte ich sogar ein Doppelkinn in ihrem Gesicht.

Der Anblick hatte mir die Sprache verschlagen, weshalb ich sie achtlos wieder hineinschubste und die Tür hinter uns verschloss, damit sie nicht einmal auf den Gedanken kam, zu fliehen.
Wobei, wenn ich mir sie so ansah, war sie viel zu ruhig dafür und zu schwach.

Diese Gewichtszunahme konnte sie unmöglich durch das Verzehren von zu vielem Essen bekommen haben, denn sie hatte ihr ganzes Leben schon übertriebene Mengen an Lebensmitteln zu sich genommen, die nicht alle besonders gesund waren. Es musste an etwas anderem liegen.
Auch ihr Outfit war nicht typisch Stella, denn niemals würde sie ein solches Kleid freiwillig kaufen und darin herumlaufen. Zudem machte mir ihr Gesicht unheimliche Angst. Die Art, wie sie mich mit ihren leeren Augen anstarrte und ihr Gesicht, welches einem rissigen Boden ähnelte, aus dem Blut rann, war furchteinflößend. Die Sorge in mir wuchs in eine überhebliche Größe.

"Was ist mit dir geschehen, Stella?", wisperte ich betroffen.
Auch dieses Mal nahm sie meine herunterhängende Hand und legte diese in die Mitte ihres Brustkorbes, um mir ihren fehlenden Herzschlag zu zeigen.
Ihre Augen blickten ausdruckslos in meine und ich fragte:"Wo ist es?"
Sie schüttelte den Kopf und wandte sich von mir ab.
Hatte sie auch ihre Stimme verloren? Eingehend sah ich sie an.

Doch sie überzeugte mich vom Gegenteil und  nannte mir ein Wort, welches mich zusammenzucken ließ:"Weg." Mehr brauchte es nicht, damit ich wusste, was mit ihr los war.
Jemand hatte ihr Herz gestohlen, welches ihre Gleichgültigkeit erklärte. Allerdings beantwortete es nicht ihre äußerliche Veränderung. Was hatte das Herz, in Verknüpfung mit dem Aussehen zu tun?
Normalerweise müsste sie tot sein, aber sie brauchte das Herz genau so wenig, wie Andrew Sauerstoff benötigte.
Vielleicht war sie auch diese Art Prevoux, welches ihr merkwürdiges Verhalten mir gegenüber erklären würde. Die Chancen standen sehr gut.

Mit ihren dicken Waden schlurfte sie ins Wohnzimmer und setzte sich in einen Schaukelstuhl, wo sie mit leerem Blick hin und zurück schaukelte.
Erst jetzt bemerkte ich, dass ihre Familie nicht anwesend war und runzelte die Stirn. Irgendetwas ging hier vor sich.
Als ich mir meine beste Freundin so ansah, ähnelte sie einer alten Frau, die jede Sekunde aufhören könnte, zu leben. Als wartete sie auf den Tod persönlich, der ihr entgegenkommen wird.
Das Wohnzimmer von den Stewarts war riesig und sie war ein runder Punkt mittendrin, der sich dem farbenfrohen Zimmer überhaupt nicht anpasste.

Ich lehnte mich mit der Schulter gegen den Türrahmen und sah mir meine uralte Freundin an, die ich nicht wiedererkannte.
Ihre Schönheit war verblasst und ich musste zugeben, dass sie in diesem Moment zu den unattraktivsten Menschen gehörte, die ich je zu sehen bekommen hatte.

Nach etlichen Minuten passierte dann etwas, worauf ich nicht vorbereitet gewesen war.
Ihre glanzlosen Haare wurden erst grau bis hin zu weiß und fielen ihr dann ab, sodass sie mit einem kahlen Kopf da saß.
Ihre blutige Haut wurde schrumplig und bekam Falten, während ihr Hautton ganz grau wurde. Stellas leblose Augen schlossen sich langsam und ein winziges Lächeln zierte ihr Gesicht, bis ihr Körper plötzlich zu Staub verfiel und nur noch ihr weißes Kleid auf dem schaukelnden Stuhl übrig blieb.

Bei dem ganzen Vorgang war ich erstarrt gewesen und hatte zugesehen, wie sie mir wegstarb. Wie ich einen weiteren Menschen auf eine völlig beunruhigende Weise verloren hatte.
Erst als ich es realisiert hatte, dass die Staubpartikel auf dem Stuhl, der immer noch schaukelte, der Überrest meiner jahrelangen besten Freundin waren, flüchtete ich umgehend dorthin.

Es war nur ein kleiner Haufen, der in meine zierliche Hand passte und ich hockte da, vor dem Schaukelstuhl und weinte. Vielleicht war ich dazu verdammt, alleine zu bleiben, weshalb alle meine Mitmenschen auf schreckliche Weisen starben.
Bevor ich auch ihre Reste verlor, eilte ich in die Küche, um sie in eine Dose zu verstauen, damit ich ihre Überreste nicht Korn zu Korn langsam verlor.

In der Küche wurde ich schnell fündig und hastete zurück ins Wohnzimmer, damit ich sie dort hineinverfrachten konnte. Nur war der Haufen, so wie ihr Kleid, spurlos verschwunden.
Panisch tastete ich den Stuhl ab und suchte in der näheren Umgebung nach kleinen Staubkörnern. Wenigstens einen hätte mir derjenige übrig lassen können, aber sie waren allesamt verschwunden. Genau das war meiner toten Mutter auch passiert, als ich unaufmerksam gewesen war.
Wäre ich bloß hier geblieben. Während andere Menschen aus Fehlern lernten, tat ich es wohl nie.
Ich war nicht einmal eine Minute fort gewesen und jemand hatte sie mir einfach genommen. Als wäre sie ein Gegenstand, der gesteigert wurde.
Sicher war es derselbe gewesen, der die Leiche meiner Mutter verschleppt hatte. Fragte sich nur, was er mit einer Leiche und ein Häufchen Staub anfangen wollte.

Erschüttert war ich zu einem elenden Embryo zusammengerollt und trauerte so um meine treue Freundin, dessen Tod ich nicht erklären konnte. Vorsatz hin oder her, die Tränen zurückzuhalten, wenn man die beste Freundin beim Sterben zugesehen hatte, war genauso unmöglich, wie das Ernähren von Steinen. Meine salzigen Tränen sickerten allesamt in den flauschigen Teppich und ich versuchte erfolglos mein Herz zusammenzuflicken.
Dieses klaffende Loch würde mich bis an mein Lebensende verfolgen und quälen, denn es war nicht mehr zu retten.
Ich hatte so viele Fehler begonnen, wahrscheinlich das Dreifache, was ein Mensch in seinem ganzen Leben tat und begab mich auf gefährlichem Terrain.

Schluchzend saß ich nun im Schaukelstuhl und trauerte um alle Menschen, die ich verloren hatte. Mein Leben war auch ein Grund für meine Tränen, denn es geriet total aus den Fugen. Es war wie eine Achterbahn, die nach unten stürzte und nicht vorhatte, wieder hochzufahren.
Denn ich fürchtete, dass ich nie mehr glücklich werden könnte. Ich blieb ein gebrochenes Mädchen, der nicht mehr zu helfen war.
Und ich hoffte zutiefst, dass mein Leben in naher Zukunft endete, sobald ich erfahren hatte, was ich war.

Shooting Star - MysteriousWo Geschichten leben. Entdecke jetzt