Teil 2:
Seit Casey im OP-Saal ist, sitze ich im Besucherraum, klammere mich an ihr Handy und bete aller ernstes dafür, dass sie nicht wegstirbt. Ich glaube nicht an Gott, aber dieses Mal versuche ich es wenigstens.
Für Casey.
Eine unbändige Wut hat von mir Besitz ergriffen, seitdem ich weiss, dass sie von einem typen angefahren wurde. Und statt dass er ihr wieder aufhalf, hatte er sich aus dem Staub gemacht. Die Polizei war hier. Sie hat mich befragt und danach auch noch Caseys Eltern angerufen. Der alte Bulle hat mich gebeten, hier auf die Familie von Casey zu warten. Dabei nahmen sie keine Rücksicht darauf, dass ich morgen vielleicht Schule habe – was mich kein Deut interessiert -, nach Hause oder meine Eltern nicht anrufen muss. Die vermissen mich sowieso nicht.
Sie nageln mich hier auf einem von diesen unbequemen Stuhl fest, obwohl ich unbedingt einen Rauchen muss. Das war definitiv die Längste Zeitspanne zwischen zwei Zigaretten und ich brauche unbedingt wieder etwas, was mich beschäftigt. Wenn auch nur für eine kurze Weile.
Vor der Glaswand laufen ungefähr sieben Leute vorbei und eine Frau öffnet die Tür in den Besucherraum für alle. Unter all den bedrückten Gesichtern kann ich Dylan und Daris Raif ausmachen, die beiden grossen Brüder von Casey. Dylan war eigentlich schon immer ganz cool, obwohl er nie auch nur eine trank oder rauchte. Aber er ist eben ein bisschen...weichgeworden, seitdem er eine Freundin hat. Er geht mit ihr ins Kino und schenkt ihr Blumen – würg. Sowas würde ich niemals tun, auch nicht für die Traumfrau aus den Playboy-Heftchen. Ein lauter und mürrischer Opa folgt den beiden, auf einen Stock gestützt. Die Sorgenfalte des Pärchens, welches ich als Caseys Eltern unterordne, kann ich irgendwie verstehen. Immerhin, ihre Tochter wurde gerade angefahren. Selbst mir geht das unter die Haut, sowas fühlt sich wahrscheinlich verdammt scheisse an. Wahrscheinlich ist das aber auch nicht bei allen Eltern so. Meine würden wahrscheinlich nicht einmal bemerken, wenn ich tot vor ihren Füssen läge.
Die beiden letzten Personen kann ich nicht ausstehen. Zum einen ist da Samira, die mit ihrer arroganten Art in den Saal stürmt und dabei auch noch aussieht, als wäre sie gerade erst aufgestanden. Die Jogginghose spricht eindeutig dafür, sowie die wirren brauen Locken und der verschlafene Gesichtsausdruck. Ihr auf dem Fusse folgend schliesst Arian Raif die Tür hinter sich und ich kann ein Stöhnen nur schwer unterdrücken. Er ist, soweit ich weiss, der Cousin von Casey, aber ein verdammtes Weichei, wenn es um Mira geht. Was der an ihr findet verstehe ich bis heute nicht, aber soll er doch. Dann steht er mir sonst nirgends im Weg. Das einzig witzige an den beiden ist, dass Mira ihn andauernd ziemlich hart abblitzen lässt und er einfach nicht aufhört, sich von einer Frau zur nächsten zu vögeln.
Die Mutter von Casey, Frau Raif, entdeckt mich ganz hinten und kommt mit ausgebreiteten Armen auf mich zu.
„Hvala, Roman. Ich danke dir von Herzen...du hast unsere Casey gerettet!"
Ihre Umarmung ist herzlich, dennoch fühle ich mich total überfordert. Sowas bekomme ich normalerweise nicht zu spüren, höchstens von meiner Schwester. Aber die sehe ich auch viel zu selten, wenn ihr mich fragt.
„Wir waren vorhin am Empfang. Sie ist aus ihrer Narkose erwacht, wenn du willst, darfst du noch kurz rein...", schlägt Herr Raif vor und ich denke kurz nach. Will ich zu Casey? Klar, schreit mein inneres und ich nicke cool. Sie geben mir die Zimmernummer und ich mache mich so gelassen wie möglich auf. Arian soll nicht denken, dass ich auf seine Cousine stehe. Ich meine, sie ist verdammt klein, hilflos und ziemlich verletzlich.
Aber eigentlich sollte ich auch sagen, dass ich auf hilflos stehe. Sie ist ja ansonsten ganz hübsch und nicht darauf aus, mit mir ins Bett zu gehen.
Die Tür geht auf, als ich anklopfen will. Warum mein Herz auf einmal so rast, kann ich irgendwie auch nicht sagen. Auf jeden Fall, wegen Casey kann das nicht sein.
Der Arzt hält mir die Tür auf und ich sage mir, dass er wahrscheinlich schwul ist, so wie der den Gang entlang geht und pfeift. Volldepp. Ich betrete das Einzelzimmer und schliesse die Tür. Casey liegt im weissen Bett, wirkt noch kränker als auf der Strasse. Und vor allem müde. Anscheinend wirkt ihre Narkose doch noch ein wenig.
Mit langsamen Schritten nähere ich mich ihrem Bett. Sie sieht mir entgegen, die Stirn leicht gerunzelt.
„Was machst du denn hier, Jimmy?"
Mein Name klang noch nie so schön, das muss ich schon zugeben. Aber trotzdem. Casey ist nichts Besonderes, sie ist keine, auf die ich normalerweise stehe. Trotz all den Umständen, die mich hier festgehalten haben.
„Ich habe dich auf der Strasse gefunden...hier...", ich halte ihr das kaputte Handy hin, „Das ist zu Bruch gegangen, als du angefahren wurdest..."
Sie kneift die Augen zusammen und sieht dabei unheimlich süss aus.
Dafür könnte ich mich schlagen, echt. Süss ist ein Baby, nicht ein fünfzehnjähriges Mädchen mit Möpsen und schwarzen Augen. Bevor ich etwas peinlich es sagen kann setze ich mich auf den Holzstuhl neben ihrem Bett.
„Danke...", sagt sie dann schliesslich leise und ich nicke. Mehr hätte ich von jemandem wie ihr auch nicht erwartet. Immerhin, seitdem David und sie nicht mehr zusammen sind, ist sie anders. Nicht mehr so naiv, nicht mehr so scheu. Dennoch, ich kann noch immer nicht verstehen, warum David sie so schnell fallen liess, obwohl er doch sagte, dass der Sex mit ihr der Wahnsinn gewesen sei.
Mit leidender Miene berührt sie das Display und seufzt. Das Handy ist definitiv kaputt, aber sowas ist für mich nichts Neues.
„Wer war es?"
Ich seufze, dann stehe ich auf. Sie soll nicht wissen, dass ihr Ex schuld am ganzen ist. Und dass ich ihn zusammenschlagen werde für die Sorgen, die er mir bereitet hat. Mir egal, ob Casey mein Mädchen ist oder nicht. Ein wenig Schuldgefühl will ich trotzdem aus diesem typen herausschlagen.
Sofort ist sie wacher. „Du darfst nicht einfach so gehen! Ich habe Fragen!"
„Die habe ich auch. Aber ob sie dir jemand beantwortet, ist eine andere Sache..."
Und damit verschwinde ich, bevor sie mich mit ihren grossen, schwarzen Augen darum bitten kann.
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Emorragia
RomanceEmorragia; ital. blutend Casey Raif ist knapp fünfzehn, wohnt in einem unbedeutenden Dorf in der Schweiz, liebt Bücher und kennt sich super mit Computern aus. Sie ist das typische Goodgirl und kennt auch kaum was anderes. Wie sehr wünschte sie sic...