CASEY: 17. 3. 2016

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Teil 1:

Im Krankenhaus ist es immer so still. Alles ist klinisch sauber, die Spritzen werden immer zur gleichen Zeit gebracht und meiner Mutter wurde eingetrichtert, dass sie auf deren regelmässigen Spritzungen achten sollte. Es sei wichtig, dass man auch wirklich eine meiner Adern trifft. Denn wie bei den meisten Blutern ist es so, dass man unsere Blutbahnen kaum erkennen kann. Selbst Ärzte brauchen eine halbe Ewigkeit, bis sie mir eine von diesen spitzen Dingern in den Arm jagen können.

Erst am Nachmittag um drei kommt der Chefarzt der Station und klärt mich darüber auf, was alles beschädigt wurde und dass ich morgen herauskommen kann. Im Grunde fehlt mir nichts, doch ich muss jeden Abend eine Spritze bekommen, dass ich keine inneren Blutungen oder eine Hirnblutung habe. Einmal die Woche stehen dann auch die Arztuntersuche an, bei denen es darum geht, meine Blutungen zu testen. Bis alles verheilt, dauert allerdings noch eine Weile. Besonders die Narben werden bleiben. Aber lieber eine Narbe als eine Lähmung, oder?

Während der Zeit, in der ich auf Samira warte, beschäftigt sich mein Hirn nur mit einer einzigen Überlegung: was läuft mit Roman Hauser falsch?

Es klopft und ich rufe: „Herein!"

Zu meiner Bestürzung steckt nicht Mira den Kopf hinein, sondern Jimmy. Er sieht aus wie gestern, nur dass er heute entgegen seinen Gewohnheiten ein V-Shirt trägt. Es ist nicht enganliegend, dennoch kann ich seine traumhaften Oberarme begaffen.

Innerlich schlage ich mir gerade volle Kanne ins Gesicht. Gott, jetzt werde ich wegen Oberarmen schwach – seit wann bin ich so oberflächlich? Natürlich, ich gebe zu, dass Jimmy keinen Traumkörper hat. Er ist wenigstens nicht perfekt, dennoch liebe ich ihn dafür. Seine braunen Haare sind kurzgeschnitten und die blauen Augen sehen mir grinsend entgegen, als sie mich beim Stalken erwischen.

„Sowas ist unhöflich, Casey!"

„Na und? Ich bin nicht diejenige, die mir gestern keine Antworten geben wollte!"

Sofort bin ich wieder auf hundertachtzig, besonders als er sich auf meine Bettkante setzt, statt auf den Stuhl daneben. Was erlaubt er sich eigentlich? Eigentlich leidet wohl eher er an Hirnblutungen und nicht ich. Ich bin ja direkt schon gesund im Gegensatz zu ihm.

Jimmys Mund verzieht sich zu einem ehrlichen Lächeln.

„Oh, Casey kann auch Temperament zeigen? Hätte ich jetzt nicht erwartet!"

„Was willst du?!", knurre ich schon fast. Er wird mich definitiv ins Grab bringen.

„Wie immer kommst du gleich zum Punkt...", er greift in seine Hosentasche und zieht ein zerknitterter Fetzen Papier hervor, den er auseinanderfaltet und dann vorliest, „Es tut mir unheimlich leid, Casey. Ich wollte es dir einfach nur heimzahlen, dafür dass du mich solange hast warten lassen!"

Ich klammere mich an den Infusionsschlauch. Verdammt, wenn David jetzt hier wäre, würde ich ihm für diese Lügen eine reinschlagen. Scheiss auf meine Krankheit, so darf niemand mit mir umspringen!

Erst, als Jimmy meine Finger so vorsichtig wie möglich vom Schlauch löst, bemerke ich, dass mir die Tränen in den Augen stehen. In seinem Gesicht steht Abscheu, als er mir erzählt: „Klingt verflucht verlogen, oder? Das hat Frau Gisler von ihm verlangt. Dass er sich bei dir entschuldigt, meine ich...er hasst dich über alles. Und mich inzwischen auch –"

„Warum denn das?", frage ich leise. Ich will nicht, dass er das Zaudern in meiner Stimme heraushört und denkt, dass ich schwach bin. Das witzige ist, Jimmy lacht ironisch auf.

„Ich habe ihm gezeigt, was es bedeutet, die Hand gegen ein Mädchen zu erheben –"

„Du hast ihn zusammengeschlagen? Bist du des Wahnsinns? Magare, sowas kannst du echt nicht bieten!"

Er grinst mich schwach an.

„Was heisst denn bitteschön Mager-blabla?"

„Magare. Esel auf Serbisch...", gebe ich verlegen zu. Ich weiss, wahrscheinlich lacht er mich dafür aus. Und wirklich, ich habe sogar Recht. Allerdings nicht, weil ich Serbisch gesprochen habe. „Esel? Ehrlich, kommt dir nichts Besseres in den Sinn?"

Eingeschnappt erwidre ich: „Wie soll ich denn sonst jemanden bezeichnen, der Miras Job übernimmt?"

„Du lässt dich von Samira beschützen...warum nicht von einem Typen?"

Den ernsten Unterton in seiner Stimme entgeht mir nicht und ich rücke peinlich berührt auf dem Bett umher. Ich beobachte ihn aus den Augenwinkeln und sehe, wie sein Mienenspiel sich langsam verändert. Zuerst von verwundert zu wütend und jetzt steht ihm Hass in den Augen. So guckt Mira, wenn sie jemandem ans Lebende will, der mir etwas getan hat. Er steht auf und ich packe ihn hastig am Handgelenk.

„Was?", fährt er mich an und ich zucke zurück. Jimmy entschuldigt aber sofort mit einem leisen: „Sorry, Casey...ich muss noch jemanden umbringen..."

„Wofür denn bitte?"

„Dafür, dass er dich gebrochen hat. Ich wusste, dieses Arschloch hat mehr verdient als nur eine Reihe ausgeschlagener Zähne!"

Okay, jetzt weiss ich wirklich nicht, wie ich drauf reagieren soll. Er hat ihm die Zähne ausgeschlagen? Sowas geht jetzt wirklich nicht. Ich meine, ich weiss, dass David ein Idiot ist. Und dass er alles zerstört hat, als er in mein Leben getreten ist. Aber bisher wollte noch kein Junge mich verteidigen, sich zwischen diesen Schmerz stellen, den er jeden Tag auf mich niedersinken lässt. Denn obwohl ich es nicht wahrhaben will, ich liebe David trotz all seinen Fehlern noch. Klar, das Vertrauen fehlt. Doch es gab bei ihm Momente, bei denen ich mich nicht total ausgenutzt fühlte. In denen ich versuchte, darüber hinwegzusehen, dass er mich wahrscheinlich betrog.

„Das war nicht ich. Mira hat das für mich erledigt, nachdem er zu ihr gesagt hatte, dass er es...geil fand, dich auf er Strasse liegen zu lassen..."

„Wie bitte?!?!"

Jimmy fährt zusammen, dann dreht er sich zu mir um.

„Ich muss dir eigentlich noch ausrichten, dass Mira doch morgen nicht abholen kann. Sie muss für die Aktion mit David nachsitzen...deshalb bin ich heute hier..."

„Und wer holt mich morgen ab?", frage ich leise. Es soll nicht wie eine Bitte an ihn klingen, doch er fasst es so auf. Ein unwiderstehliches Grinsen breitet sich auf seinen Lippen aus und er beugt sich über mich.

„Ich bin um vier hier. Kannst du Mofa fahren?"

OMG!! Diese Augen sind der Wahnsinn!!!

„Äh...klar...keine Ahnung...vielleicht!"

Er lacht auf und als er sich verabschieden will, greife ich nach seinem Shirtkragen und ziehe ihn zu mir hinunter, um ihm einen Kuss auf die Wange zu geben. Mit hochrotem Kopf hauche ich noch: „Danke...", bevor ich ihn loslasse und die Augen schliesse.

EmorragiaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt