Teil 2:
Das Kleid ist atemberaubend schön, obwohl ich darin auffallen werde wie ein bunter Hund. Trotzdem liebe ich es.
Am Arm von Daris betrete ich das Gebäude, in welchem er normalerweise Berufsschule hat. Einer seiner Lehrer tritt heute ab und als Dank für die vielen tollen Stunden mit seinen Schülern hat er spontan eine kleine Feier organisiert.
„Warum eigentlich ich?", frage ich ihn leise, wobei in mir Panik aufsteigt. Ich kenne keinen einzigen hier, selbst die, die Daris zuwinken, sind für mich unbekannte Personen. Die Musik ist nur ein Hintergrundgeräusch, alle halten Sektgläser in den Händen und die Jungs hier sehen um Meilen sozialer aus als die aus meiner Klasse. Mein Bruder zieht mich zu einem weisshaarigen alten Mann mit Bart und schüttelt diesem die Hand.
„Guten Abend, Herr Raif. Schön, dass Sie doch noch kommen konnten...", er schüttelt Daris gerührt die Hand und wendet sich dann an mich, „Und Sie sind wohl seine Schwester, nicht wahr? Es ist mir eine Freude, Frau – "
„Casey. Nennen Sie mich Cass, wenn Sie wollen. Ich bin noch nicht ganz sechzehn, da ist sowas nicht nötig!"
Ich muss zugeben, ich hätte noch ein Herr Blabla angehängt, wenn ich seinen Namen gewusst hätte. Tja, der kommt auch ohne aus.
Der Mann lächelt mich an und bittet um einen Tanz.
Scheisse. Ich kann doch nicht einem alten Mann auf die Füsse treten, nur, weil ich keine Ahnung von Walzer habe. Bei Daris, okay. Der ist inzwischen daran gewohnt, aber dieser Typ vielleicht nicht!
„Nur nicht schüchtern, meine Liebe! Gönnen Sie einem alten Herrn ein Tänzchen, Cass!"
Geschlagen lasse ich mich auf die Tanzfläche führen, wobei ich mir nur zu bewusst bin, dass mich alle anstarren. Sie ringen sich um uns und die Musiker spielen einen Walzer, wobei ich versuche, nicht verkrampft auszusehen. Schwieriger wird es, als der Lehrer mich herumwirbeln will und ich dabei fast am Boden lande. Gott, ich will sterben. Ist es nicht genug, dass Jimmy mir eine andere vorzieht, ich mit einem alten Mann tanzen muss, den ich nicht kenne und dabei auch noch engere Bekanntschaft mit dem nicht gerade knutschtauglichen Boden mache? Nein, zu meinem Glück werde ich weitergewirbelt und lande in den Armen meines Bruders. Er lacht mich auf Serbisch aus, macht sich über meine Tanzkünste lustig und amüsiert sich köstlich auf meine Kosten. Ich hingegen hasse ihn...irgendwie. Immerhin hat er mich aus meiner Lethargie gerissen.
„Na? Besser als dieser Josefball mit abtrünnigen Typen, oder?", fragt er mich auf einmal ernst. Ich versuche, Samira innerlich nicht zu töten. Natürlich war es kein Zufall, dass mein Bruder mir ein Kleid schenkt und mich dabei auch noch weg von meinem Bett schleppt. Woher wusste er auch, was mit mir los ist?
„Mira hat es nur zu deinem Wohl getan, keine Sorge...sie wollte einfach dafür sorgen, dass du nicht in falsche Hände gerätst..."
„In die Hände von Jimmy, oder?", knurre ich. Als würde dieses Arsch mich trösten, nachdem er derjenige war, der mich auf dem Ball angrinste und dabei Michelles Po getastete. Die beiden sind sicher schon lange bei ihrem Nachpartyprogramm und verschwenden keinen Gedanken daran, dass ich auch noch da bin und mich total hintergangen fühle.
Daris sieht mich verwundert an.
„Also ist er schuld? Ich dachte, ihr beide wärt sowas wie perfekt..."
„Nope. Er definitiv nicht. Er hat mich ‚vergessen', mich zu fragen!"
„Für was denn?"
„Stell dich nicht blöder als du bist, Daris! Für den Ball, du Trottel!"
Daris seufzt dramatisch auf, wirbelt mich um meine eigene Achse und grinst leicht.
„Deswegen ist er schon ein Arsch? Dann sollte Saraya mich im Moment ebenfalls hassen – "
„Wird sie auch. Da wette ich mit dir..."
Für eine Weile tanzen wir schweigend. Weder er noch ich verspüren den Wunsch, abzuklatschen und wiegen einfach zum Takt hin und her. Dabei muss ich über seine Worte nachdenken. Hat er Michelle eingeladen, um mich eifersüchtig zu machen?
DU LIEST GERADE
Emorragia
RomanceEmorragia; ital. blutend Casey Raif ist knapp fünfzehn, wohnt in einem unbedeutenden Dorf in der Schweiz, liebt Bücher und kennt sich super mit Computern aus. Sie ist das typische Goodgirl und kennt auch kaum was anderes. Wie sehr wünschte sie sic...