SAMIRA: 19. 3. 2016

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Teil 1:


Eigentlich sollte ich nicht solche Angst darum haben, dass Casey sich auf ein Arschloch einlässt. Denn Jimmy hat bewiesen, dass er zuvorkommend und liebevoll sein kann – auf seine Art und Weise. Casey braucht jemanden, der sie beschützt und keiner, der sie irgendwie verletzen kann. Und verletzen wird er sie, ohne dabei zu sehen, wie sie ihn eigentlich liebt.

Eigentlich sollte ich nicht in ihrem Zimmer herumlatschen und dabei an meinen Fingernägeln kauen. Besonders nicht, wenn ich sie mir gerade am Mittwoch gemacht habe.

Ich sass am Mittwochabend genau drei Stunden daran, sie zu feilen, anzumalen und zu mustern. Verdammt, ich brauchte eine geschätzte Ewigkeit, die weissen kleinen Totenköpfe aufzuzeichnen. Mama ist dagegen, dass ich mir sowas selber mache und besteht darauf, dass ich zu ihr in den Laden komme. Sie steht darauf, ihren Arbeitskolleginnen – die im Durchschnitt doppelt so schwer sind wie sie – ihre Tochter unter die Nase zu halten wie eine kleine Trophäe. Denn die anderen haben weder genug Geld, noch einen Mann oder eine Tochter, die auch nur annähernd gut aussieht. Ich weiss sowas, ich habe sie immerhin alle schon mal gesehen.

Verdammt, ich halte es einfach nicht aus, darauf zu warten, dass Roman Hauser Casey das Herz bricht, nur weil sie zu naiv ist, seine Niederträchtigkeit zu erkennen!

Ich ziehe die unterste Schublade ihres Schreibtisches auf und entdecke ein dunkelblaues Notizheft, welches mit kleinen schwarzen Symbolen vollgezeichnet ist. Klar, das hier ist Babygirls Privatsphäre, aber ich will Gewissheit. Und ihr Tagebuch bringt mich viel weiter.

Aufregung steigt in mir hoch und ich setze mich auf die Bettkante – und muss entdecken, dass alles auf Serbisch geschrieben ist. Ich verstehe die Sprache, aber lesen kann ich sie nicht.

„Verfluchter Mist!", ich pfeffere das Buch an ihr Bücherregal, in dem Moment, in dem die Zimmertür geöffnet wird und eine unheimlich sexy Person davor zusammenzuckt. Genüsslich lasse ich meinen Blick über Arians Körper schweifen, sehe in seine schwarzen Augen und das feuchte Haar, kritisiere innerlich den weiten, dünnen Pulli und finde Gefallen an den weissen Calvin Klein-Boxershorts. Arians Blick zieht mich geradezu aus, verschlingt meine nackten Beine wie Speck zum Frühstück. Mama nötigte mich heute Morgen, die Hotpants anzuziehen und schenkte mir eines ihrer lila Tank-tops, welche mit besonderen Inkazeichen bedruckt waren. Inzwischen bereute ich meine Kleiderwahl, denn draussen regnete es.

„Warum bist du hier, Mira? Wartest du auf Cass? Sie ist vorhin los..."

„Ich weiss wo sie ist. Und ich weiss auch, dass es dir nicht passt, dass du nicht weisst, mit wem sie sich trifft...", sage ich arrogant. Bei ihm muss ich noch vorsichtiger sein als in der Angelegenheit mit Jimmy. Arian Raif ist der grösste Aufreisser der Geschichte von Flüelen, ist sich dessen bewusst und hat sich ausgerechnet mich in den Kopf gesetzt. Casey hat mir doch erzählt, dass er erst gerade am Mittwoch eine Schlampe mit sich genommen hat, warum sollte ich mich auf ihn einlassen? Und auf ihre naive Theorie, dass ich ihn bessern kann, setze ich auch nicht gerade.

So elegant und aufreizend wie möglich stehe ich auf, knie mich hin, um meine kleinen, weissen Sandaletten über meine Füsse zu ziehen. Ich habe es nicht nötig, mich noch länger hier aufzuhalten. Ich muss Casey unbedingt beschützen gehen.

Arian verschränkt die Arme und versperrt mir den weg. Die Beule in seinen Shorts beachte ich gar nicht, obwohl ich mich innerlich unheimlich darüber freue.

„Wohin willst du jetzt? Versaust du Cass wieder die Tour bei einem Typen?!"

„Wenn du wüsstest, wer dieser Typ ist, würdest du es ebenfalls versuchen!", schnauze ich zurück.

Arian zieht die Augenbraue hoch. „Sagt wer?"

„Ich. Und wenn du es mir nicht glaubst, lass es bleiben!"

„Ich würde dir mein Leben anvertrauen, chica!", knurrt er mit einem spanischen Akzent und grinst, als er entdeckt, dass ich meine Mundwinkel zucken.

„Vergiss es, pedejio! Du spricht kein Spanisch, also versuch dich erst gar nicht darin!", lache ich ihn aus, während ich mich an ihm verbeidrängen will. Doch der Plan läuft schief, denn Arian greift nach meinem Handgelenk. Für einen einzigen Augenblick durchzuckt es mich kalt und warm, bevor ich meine Körperreaktion wieder unter Kontrolle habe. Wie es scheint, hat Arian das auch gespürt und lässt mich wieder los.

„Ich komme mit, Mira. Keiner hat meine Cousine verdient!"

Ich klimpere mit den Wimpern und drehe ihm mein Hinterteil zu. Kurz sehe ich noch über die Schultern und sage: „Du kannst durchaus sympathisch sein, Raif!", bevor ich vortänzle und seinen Blick genau auf mir spüre.


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