39 - Der Nikotinabhängige

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Ich ging mit selbstsicheren Schritten auf den Mann zu und überlegte fieberhaft, wie ich aus der Nummer wieder heraus kommen sollte. Ich wollte jedoch zum Einen nicht die Wette gegen Harry verlieren – das war eine Grundregel in meinem Leben – und zum Anderen wollte ich nicht als prüdes Mädchen da stehen, welches so wenig Küsse in ihrem Leben gehabt hat, dass die tatsächlich noch etwas sehr großes für mich darstellten. Das durfte keiner, weder Harry noch Mason, erfahren. Vielleicht war mein Selbstbewusstsein doch nicht so gut, wie ich angenommen hatte. Doch es bedurfte nur einen Blick hinter meine Schulter, nur einen Blick auf Harry, der mich mit verschränkten Armen beobachtete und mir scheinbar nicht zutraute, diese Wette durchzuziehen, dass ich mich zusammen riss und meine Gedanken abschaltete.

„Hey!", rief ich dem Braunhaarigen kokett zu und als er mich kurz ansah und dann zurück lächelte, legte ich meine Hand um seinen Nacken und zog ihn ein Stück zu mir herunter. Er wusste natürlich sofort was ich vorhatte und zu meinem erleichtern zog er nicht weg, sondern senkte seine Lippen nun von alleine auf meine.

Ich gab Harry genau sechs Sekunden, in denen er seine Niederlage verarbeiten konnte, ehe ich mich vorsichtig von dem ziemlich heftigen Kuss löste. Der Mann lachte nun noch breiter, auch wenn er mich ziemlich überrascht ansah, und wollte etwas sagen, doch ich hob nur kurz zum Abschied meine Hand und verschwand dann wieder zu meinen Freunden.

„Du hast das tatsächlich getan!", rief Mason mir über die lauten Bässe begeistert zu und reichte mir, noch bevor ich mich hinsetzen konnte, meinen Becher. Ich trank erst einmal einen Schluck von der bitteren Flüssigkeit, um den Geschmack des Rauches aus dem Mund den Mannes wieder zu vertreiben – er schien offenbar Nikotinabhängig zu sein und das war nicht einmal das schlechteste an dem Kuss gewesen. Das hatte ich mir wirklich lustiger vorgestellt.

„Na, was habt ihr denn gedacht?", fragte ich mit dem Blick auf Harry, der mich undurchdringlich anstarrte. Was sollte das denn jetzt?

„Und wie war's?", fragte Mason neugierig und leerte den Inhalt seines Bechers in einem Zug – wenn der Typ eines konnte, dann war es Alkohol trinken.

„Ganz gut, aber halt nichts Besonderes. Was soll ich schon dazu sagen?", log ich und lächelte dabei vielsagend. Ich wollte definitiv nicht als naives Mädchen rüberkommen, also spielte ich lieber diese Rolle. Das gefiel mir deutlich besser, als irgendeine peinliche Geschichte erzählen zu müssen.

„Du bist echt der Wahnsinn, Trinkkumpel!", meine Mason lachend und da er nun beide seine Hände benutzen konnte, zog er mich in eine feste Umarmung, bei der ich den Rest meines Getränkes ausversehen auf den Boden schüttete. „Siehst du Harry, ich habe dir doch gesagt, dass es lustig wird."

Als Antwort brummte der Junge neben mir irgendwas, doch ich konnte, dank Masons Arm auf meinem Ohr, nicht verstehen, was er genau sagte. Erst als wir uns wieder voneinander lösten und ich meinen benötigten Sauerstoff wieder in meinen Körper getrieben hatte, schaffte ich es einen Blick auf meinen Prinzen zu werfen, der keinen Spaß zu haben schien.

„Ich bleibe immer noch unbesiegt!", meinte ich daher begeistert und konnte mich gerade noch davor zurück halten, ihm die Zuge rauszustrecken. Ich hatte einen gebrochenen Fuß in Kauf genommen und nun auch einen ekelhaften Kuss mit einem Raucher – wer sollte mich jetzt noch stoppen können?

„Du hast eindeutig schon zu viel Getrunken.", bekam ich jedoch nur die klare Antwort und Harry stand auf. Was war denn jetzt los?

„Warum hat der denn jetzt schlechte Laune?", fragte ich an Harrys besten Freund gewandt, der lachend den Kopf schüttelte.

„Das fragte ich mich auch oft, aber wenn ich im letzten Jahr eines gelernt habe, dann, dass Harry Stimmungsschwankungen wie eine Schwangere hat und ich ihn am besten in Ruhe lasse." Die Worte lallte Mason so undeutlich, dass ich eine Weile brauchte, um sie zu entziffern. Ob ich auch so sehr lallte? Vermutlich ein bisschen.

„Na gut, dann ist lasse ich ihn jetzt in Ruhe.", gab ich zu und starrte in die Menge vor uns. Ich bezweifelte sowieso, dass ich jetzt aufstehen und Harry suchen gehen könnte – dafür hat sich der Alkohol zu weit in mein Steuerungszentrum vorbegeben.

Als ich am nächsten Morgen aufwachte, tat mir nicht nur mein Kopf weh, sondern auch mein Rücken schmerzte, als hätte ich die Nacht auf einem Nagelbrett zugebracht. Wo war ich? Es dauerte einen Moment, bis ich bemerkte, dass ich mich nicht auf meinem quietschenden Bett befand, sondern auf irgendetwas undefinierbaren lag, das einerseits ziemlich bequem erschien, mir andererseits jedoch so heftige Rückenschmerzen verursacht hatte, dass ich laut aufstöhnte.

Als sich dann auch noch mein improvisiertes Kissen bewegte, schreckte ich hoch – zu schnell. Um die Achterbahnfahrt irgendwie stoppen zu können, hielt ich mich an meinen Schläfen fest, doch auch das verfehlte die gehoffte Wirkung. „Scheiße.", murmelte ich und machte nun auch endlich die Augen auf, die sofort gegen das helle Sonnenlicht ankämpften.

Kaum hatten sie sich daran gewöhnt offen zu sein, machten sie sich endlich an ihren Job und erklärten mir so einiges. Ich hatte halb auf Mason gelegen, der noch immer mit geschlossenen Augen auf dem Sofa saß, das wir gestern Nacht nicht mehr verlassen hatten – ich wusste noch, dass wir eine Weile über Harry und seine Stimmungsschwankungen gelästert hatten, doch wie es tatsächlich dazu kam, dass wir uns aneinander gekuschelt und auf der Couch geschlafen haben, wusste ich nicht mehr. Verdammter Alkohol.

„Wach auf.", meinte ich zwar leise, doch dank meines kleinen Stoßes, der viel kräftiger ausfiel, als ich das geplant hatte, schreckte Mason sofort hoch. „Wir haben hier geschlafen."

„Was?", fragte Mason verwirrt und erleichtert stellte ich fest, dass er genauso fertig und schmerzerfüllt aussah, wie ich mich fühlte. Wenigstens hatte er den gestrigen Abend auch nicht einfach so weggesteckt.

„Wir haben hier die Nacht verbracht und jetzt bringt mich mein Rücken um.", erklärte ich ihm kurz und versuchte mich zu dehnen und strecke, um ein bisschen Erleichterung in meinen Körper zu gelangen, doch das schien hoffnungslos. Ich hatte noch nie in meinem Leben gezeltet, hatte nicht einmal auf dem Boden schlafen müssen und auch noch keine meiner Nächte auf einer Couch zugebracht, natürlich konnte mein Körper nicht mit den ungewohnten Bedingungen umgehen. Vielleicht hätte ich als Kind doch auf ein paar Campingausflüge bestehen sollen, doch damals hatte ich meinen Eltern definitiv Recht gegeben, als sei meinten, so etwas sei unmenschlich. Was würden sie jetzt nur zu mir sagen? Wären sie enttäuscht, dass ich nun auch mein kleines Bett gegen ein versifftes Sofa getauscht hatte, auf dem schon dutzende Studenten ihre Nächte verbracht hatten? Garantiert.

Ich schüttelte schnell den Kopf, um meine Gedanken loszuwerden und nahm dafür auch gerne den resultierenden Schmerz in Kauf. „Ich brauche einen Kaffee.", murmelte ich leise und stand vorsichtig auf.

„Ich komme eindeutig mit. Ein bisschen Koffein, hat mir bei einem Kater noch nie geschadet.", meinte der Junge mit den hypnotisierenden Augen und stand ebenfalls auf – er wirkte lange nicht so mitgenommen wie ich. Vermutlich kannte er so etwas schon längst und hatte sich daran gewöhnt.

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt