59 - Erlösende Aussprache

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„Wir müssen reden.", gestand ich ernst und ignorierte die Tatsache, dass wir uns in Masons Zimmer befanden. Normalerweise hätte ich einen Haufen Witze gemacht, hätte Harry auf die lustigen Kindheitsbilder von seinem besten Freund aufmerksam gemacht, die überall im Raum verteilt waren, doch dieses Mal durfte ich mich nicht so leicht aus der Schlinge ziehen.
„So etwas habe ich mir schon gedacht." Harry fuhr sich mal wieder durch seine ungewöhnlich langen Haare, die ich am liebsten wieder berührt hätte. Neben seinen unwiderstehlichen Grübchen bildeten seine Harre mein zweites Kryptonit, das mir diese Ansprache noch weiter erschwerte.

„Es geht so nicht weiter", sprach ich schnell aus, ehe ich meinen Mut verlor. Was war nur in mich gefahren? Ich war wirklich kein Mensch der knappen Worte, doch auf einmal schien etwas die Verbindung zwischen meinem Gehirn und meinem Sprachzentrum zu verstopfen, sodass mir die Sätze ungewöhnlich schwer fielen.

Ich atmete tief durch, ehe ich ein weiteres Mal ansetzte und schaffte es so glücklicherweise, die Blockade zu lösen: „Ich meine, wir küssen uns und im nächsten Augenblick sind Mädchen wie die Ökotusse im Bild, die mir deutlich machen, wie wenig dir der Kuss bedeutet haben kann. Und so sehr ich auch versuche es zu ignorieren, das geht nicht. Glaub mir, ich weiß wirklich nicht was mit mir los ist, aber ich fühle mich wie der verknallte Teenager, den ich vor sieben Jahren eigentlich hinter mir gelassen hatte." Eigentlich hätte ich noch weiter geredet, hätte einen riesigen Monolog gehalten, der all meine Gefühle und Verwirrungen zum Ausdruck gebracht hätte, hätte mich in rage geredet, doch zu meinem Glück unterbrach mich Harry relativ schnell.

„Du warst damals verknallt in mich und bist trotzdem einfach abgehauen?", fragte er überrascht und ging absolut nicht auf meine vorherigen Worte ein. War das nun ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Ich konnte es nicht sagen.

„Ich wäre sowieso weggezogen und wollte unsere Freundschaft nicht kaputt machen, das ist alles.", gab ich kleinlaut zu – ich hatte Jahre gebraucht, um mich von dem Verlust meines besten Freundes, meines Prinzen, zu erholen.

„Du hast sie mit deiner Ignoranz zerstört, ist dir eigentlich klar, wie es mir dabei ging?" Warum bewegte ihn dieses alte Thema mehr, als unsere jetzige Situation? Es war doch schon längst geschehen – diese Wendung des Gespräches hatte ich, selbst in meinen dutzenden Möglichkeiten, die ich mir während des schlechten Films ausgemalt hatte, nicht hervor gesehen.

„Harry, es tut mir leid, aber..."

„Du warst meine Prinzessin, verdammt, ist dir eigentlich klar, wie schwer es für mich war, plötzlich völlig alleine da zu stehen?" Und du bist immer noch mein Prinz. Er war tatsächlich sauer, doch noch immer verstand ich nicht, wie ein solches Ereignis unsere jetzige Situation überspielen konnte.

„Halt mal den Ball flach!" Nun war ich auch sauer, schließlich hatte ich das Gespräch vollkommen anders führen können. „Das ist doch gar nicht unser Thema. Sei ruhig für immer beleidigt mit mir, doch warte damit bitte, bis wir das andere geklärt haben. Ich habe keine Lust bloß ein weiteres Mädchen auf deiner Liste zu sein, also entscheide dich und lass mich die Antwort wissen. Dann brauche ich mir wenigstens keine Gedanken darüber zu machen." Ich konnte in Harrys Gesicht sehen, wie sich seine Wut langsam in Luft auflöste, scheinbar hatte er erst jetzt verstanden, worauf ich mit diesem Gespräch eigentlich hinaus wollte.

Ich hatte mir zwar nicht vorgenommen meinem Prinzen ein solches Ultimatum zu stellen, doch nun schien es für mich die vollkommen richtige Entscheidung zu sein. Ich wollte endlich Klarheit haben und hatte ihm genug gesagt, um sich entscheiden zu können. Daher drehte ich mich um und war drauf und dran Masons Zimmer zu verlassen, um Harry Zeit zu geben, sich die Situation durch den Kopf gehen zu lassen.

„Ich dachte du bist kein Beziehungs-Mensch?!", stellte Harry grinsend fest.

„Bin ich auch nicht.", antwortete ich ehrlich und ignorierte dabei die Widersprüchlichkeit meiner Worte. Ich wollte bloß die Wahrheit sagen, selbst wenn sie keinen Sinn ergab. Ich lachte in mich hinein, als ich meinen Weg zum Ausgang fortsetzte.

Jedoch wurde ich schon wieder aufgehalten, noch bevor ich die Tür überhaupt erreicht hatte. „Und trotzdem bist du eifersüchtig auf Mara.", stellte Harry schmunzelnd fest und sagte es in dem liebevollen Ton, dem ich einfach nicht böse sein konnte.

„Freut mich, dass ich dein riesen Ego weiter stärken konnte.", entgegnete ich sarkastisch und rang mir ebenfalls ein kleines Lächeln ab. Was blieb mir auch anderes übrig?

Es war einfacher die Ernsthaftigkeit des Themas zu verdrängen, aber Harry schien noch nicht völlig durch damit zu sein: „Mach dir keine Gedanken wegen ihr, okay?", meinte er auf einmal wieder ernster und kam einen kleinen Schritt auf mich zu.

„Ich kann dieses Mädel einfach nicht leiden.", sagte ich bitter und dachte an all ihre dummen Sprüche oder Aktionen, die mich dazu veranlasst haben, sie einfach nicht mehr ernst nehmen zu können. Die Ökotusse war definitiv ein Mensch, den ich nicht unbedingt um mich haben musste.

„So schlimm ist sie gar nicht." Allein dafür, dass er sie verteidigte, wollte ich wieder einmal den Raum verlassen, doch noch immer schien Harry seine Absichten nicht vervollständigt zu haben, denn wieder einmal hielt er mich auf. Jedoch dieses Mal nicht verbal, sondern durch einen offensiven Griff nach meiner Hand, mit dem er mich näher zu sich heran zog. „Doch zwischen uns waren lief nichts mehr, seit wir uns geküsst haben – dafür fand ich es einfach zu schön." Schon zu zweiten Mal am heutigen Tag drückte mir Harry seine Lippen auf meinen Mund uns entfachte ein immer stärkeres Kribbeln in meinem Bauch, das dabei war, sich über meinen ganzen Körper auszubreiten.

Eigentlich hatte ich damit aufhören wollen, Harry und ich hatten schließlich noch eine Menge unausgesprochener Themen zwischen uns, doch die Worte über seine ehrlichen Gefühle – die scheinbar das perfekte Gegenstück zu meinen bildeten – ließen mich wieder einmal in einem Moment verschwinden. Ich dachte nicht mehr über die Konsequenzen nach, schaltete mein Gehirn vollständig ab und spürte stattdessen einfach nur den Moment.

Ich spürte, wie Harry seine Arme um meine Hüfte legte und mich näher zu sich heran zog, während ich in Trance meine Hände in seinen Haaren vergrub. Es fühlte sich so unglaublich an, dass ich mir gar nicht mehr vorstellen konnte, wie ich ohne die berauschende Droge überleben sollte. 

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt