63 - Alkoholkonsum

1K 70 2
                                    

„Also so wie ich das sehen, solltest du dich einfach darauf einlassen.", antwortete Jim mir ehrlich, nachdem ich ihn in mein Dilemma eingeweiht hatte.

„Andererseits könnte ich aber auch einfach absagen und behaupten ich müsste hier aushelfen.", philosophierte nicht. Es tat zwar unheimlich gut mir all meine Fragen von der Seele zu reden, doch Jim schien mein eigentliches Problem nicht wirklich zu verstehen. Es fehlte ihm wohl doch am weiblichen Einfühlungsvermögen.

„Mal abgesehen davon, dass das wohl das dümmste ist, was du machen könntest, würde deine Lüge spätestens dann auffliegen, wenn Harry Wind davon bekommt, dass ich morgen die Bar geschlossen lasse." Auch die letzten Gäste hatten sich vor einer Weile von uns verabschiedet, sodass nun auch der Chef zum Alkohol greifen und sich ein paar Bier gönnen konnte. Es war einfacher sich über solche Themen zu unterhalten, wenn der Alkohol die Schamgrenze deutlich senkte.

„Warum schließt du die Bar morgen?", fragte ich erstaunt und wich von unserem eigenen Thema ab.

„Ich besuche meine Tochter – Anna hat endlich erlaubt, dass wir uns treffen." Er sprach, als wäre es das normalste von der Welt, doch ich wusste ganz genau, wie sehr in die Situation sein Wochen mitnahm und wie viel Erleichterung seinen Körper bei dem Gedanken durchströmen musste, seine Tochter wieder zu sehen. „Aber lenk nicht ab, wir sind schließlich noch bei deinen Problemen." Dieser Mann konnte es wirklich nicht leiden, im Mittelpunkt zu stehen. Ich beschloss zwar, dass ich ihn später noch einmal darauf ansprechen würde, doch erst einmal wollte ich seine Bitte respektieren.

„Okay, dann sag mir endlich, wie ich Harry möglichst dezent davon überzeuge, dass ich nicht mit ihm schlafen will!" Ich überlegte einen Moment, ehe ich deutlich leiser hinzufügte: „Zumindest noch nicht." Ich wusste ja selbst nicht einmal was ich wollte, schließlich ging das alles so schnell, dass ich keine Zeit hatte, mir über meine Wünsche bewusst zu werden. Ich verfluchte meine Eltern dafür, dass sie mir so viel Zeit meines Lebens geraubt hatten, in der ich all diese Erfahrungen hätte sammeln können, die mir nun fehlten. Wieso konnte ich nicht einfach auf eine normale Schule gehen, ab und zu Partys feiern und mich von irgendeinem Typen flachlegen lassen, der mir gar nichts bedeutete? Das stellte ich mir zwar als wesentlich schmerzhafter vor, jedoch würde es gleichzeitig auch deutlich unkomplizierter ablaufen.

Jim lachte und schenkte mir gleichzeitig ein weiteres Bier ein, dessen bitterer Geschmack mich schon gar nicht mehr störte: „Ich würde vorschlagen, dass du einfach ehrlich zu ihm bist. Sonst redest du doch auch wie am Fließband, ich mache mir da also keine Sorgen."

„Du bist wirklich nicht gut darin die beste Freundin zu spielen.", antwortete ich resigniert und machte mich daran, mein neues Bier unter die Lupe zu nehmen. Ich würde langsamer trinken müssen, wenn ich noch einigermaßen heile im Wohnheim ankommen wollte.

„Was soll ich sagen? Normalerweise verlangen die Leute keine Ratschläge von mir." Jim hob entschuldigend seine Hände und verteidigte sich lachend. Ich schlug ihm spielerisch gegen die Brust.

„Vermutlich merkst du einfach nicht, wie dringend sie einen Ratschlag brauchen – ich weiß immer noch nicht, wie ich mir die Peinlichkeit eines klärenden Gesprächs ersparen kann."

„Es ist gar nicht so peinlich, wie du es dir gerade einredest."

„Alleine deine Betonung zeigt, wie hoffnungslos meine Lage ist." Ich war kein Mensch, dem schnell etwas peinlich war – ich war vor dutzenden Menschen auf den hintern geflogen, bloß weil ich mich hinter einer Mauer verstecken wollte und war nicht einmal rot geworden – doch mein Stolz war riesig und dieses Thema war dabei, ihn ziemlich zu verletzen.

„Es wird nur halb so peinlich, wenn du einfach keine große Sache draus machst,

dass du nervös bist.", meinte Jim beschwichtigend, doch ich konnte ganz genau erkennen, dass ihn unser gesamtes Thema deutlich erheiterte. Na wenigstens konnte ich ihn als Hofnarr belustigen und seine Laune steigern.

In dieser Nacht dauerte es eine Weile, bis ich es endlich alleine zurück ins Wohnheim geschafft hatte – ich besaß kein Handy, doch selbst wenn ich die Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich niemanden, nicht einmal Harry, um Hilfe gebeten – der Alkohol hatte sich scheinbar in jeder kleinen Blutpartie meines Körpers festgesetzt und verhinderte eine klare Sicht auf die Einflüsse.

Es glich einem Wunder, dass ich den Weg tatsächlich alleine bestritten hatte, schließlich drehte sich selbst dann noch alles, als ich schon längst auf meinem Bett saß. Sehr zu Tonis Leidwesen war ich außerdem nicht sonderlich leise gewesen, sodass sie mitten in der Nacht durch den Krach geweckt wurde, den mein Rucksack veranstaltete, als er einfach wie ein nasser Sack auf den Boden fiel.

„Hey", murmelte sie verschlafen und rieb sich die Augen. Ihre braunen Haare standen in alle Richtungen ab und ihr müder Blick weckten noch mehr Schuldgefühle in meinem inneren.

„Tut mir leid!" Eigentlich wollte ich flüstert, doch merkwürdiger Weise drangen wesentlich lautere Worte aus meinem Mund. Ich hatte das Gefühl über mein Sprachzentrum verloren.

„Warum bist du betrunken?", fragte Toni und setzte sich langsam auf. Sie fixierte mich mit ihren Augen, doch selbst damit schaffte sie es nicht, das Karussell anzuhalten, das alles um mich herum in einem endlosen Strudel aus Bewegungen halten zu schien.

„Weil Harry mit mir schlafen will.", gestand ich ehrlich und hielt mir die Hände vor die Augen.

Toni entfuhr ein belustigter laut. „Und warum ist das so schlimm? Das geht zwar recht schnell, aber die besondere Verbindung zwischen euch hat man schließlich schon seit einer halben Ewigkeit gesehen!" Sie hatte offenbar keinen blassen Schimmer, wie tief mein Dilemma reichte, daher beschloss ich, sie ebenfalls in meine Probleme einzuweihen. Dank der Achterbahn konnte ich sowieso nicht schlafen und auf einmal fand ich es auch gar nicht mehr schlimm, über solche Sachen zu reden. Warum hatte ich mich nur so angestellt?

Im Hinterkopf war mir bewusst, dass es vorhin einen Grund gab, weshalb ich sie nicht einweihen wollte, doch in diesem Augenblick wollte er mir einfach nicht mehr einfallen, daher schloss ich, dass er nicht allzu wichtig gewesen sein konnte: „Weil ich noch nie Sex hatte und mir das bis eben ziemlich zu schaffen gemacht hat."

„Was?!" Auf einmal schien Toni hellwach. War das wirklich so überraschend? Sie klang fast so, als hätte ich ihr ganzes Weltbild auf den Kopf gestellt.

Als sie meinen Blick bemerkte, erkannte sie, weshalb ich auf einmal so verwirrt war und half mir auf die Sprünge: „Du wirkst einfach nicht so... unerfahren.", erklärte sie kurz und deutete auf mich. Wenn sie nur wüsste – die ursprüngliche Prinzessin sah definitiv genauso unschuldig aus, wie sie tatsächlich war. Ich hatte mich in letzter Zeit einfach sehr verändert.

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt