57 - Filmabend

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Nachdem ich meine ganze Situation lange bis ins kleinste Detail mit Toni besprochen hatte, wurde mir eine Sache deutlich bewusst: Ich musste aufhören, wie ein liebeskranker Teenager zu benehmen. Es war doch nicht normal, dass ich mich mit neunzehn noch immer so verrückt aufführte – zwar hatte ich all die Phasen ausgelassen, die Mädchen eigentlich in ihren Entwicklungsjahren durchleben sollten, hatte weder meinen ersten festen Freund, noch eine beste Freundin oder gar einen Feind, mit dem ich mich dauernd duellieren konnte, doch das gab meinem Unterbewusstsein noch lange nicht das Recht, all die negativen Verhaltensweisen zum Vorschein zu bringen.

Im Grunde war es ganz einfach: entweder Harry und ich machten so weiter wie bisher und ich verwandelte mich in die Ökotusse, die keine Schamgrenze hatte, oder ich sagte dem Lockenkopf, dass wir damit aufhören mussten. Die Entscheidung fiel mir wesentlich einfacher, als ich es erwartet hatte, doch leider spielte mir das Schicksal nicht in die Karten.

Denn noch bevor ich Harry alleine erwischen konnte, beschlossen einige, dass wir uns mit ein paar Leuten einen gemütlichen Filmabend in Harrys Wohnung machen würden und so saß ich an diesem Abend zwar bei Harry, war jedoch von der Ökotusse und einer ihrer namenlosen Freundinnen umgeben. Zwar hatte Toni nur nett sein wollen, indem sie auf meine Anwesenheit bestanden hatte, doch nun befand ich mich ganz offiziell in der Hölle.

„Was wollen wir denn schauen?", fragte Mara und setzte sich dicht neben Harry auf die Couch. Ihn schien ihre übertriebene Nähe entweder nicht zu stören oder verborgen zu bleiben – innerlich hoffte ich auf die zweite Möglichkeit.

„Bloß keinen Liebesfilm!", rief Mason sofort aus der Küche und schüttete gerade das Mikrowellenpopcorn in eine große Schüssel. Ich beschloss mich nicht an der Diskussion zu beteiligen und kümmerte mich lieber um die wirklich wichtigen Dinge – die Verpflegung. Daher stand ich schnell von meinem Platz am anderen Ende der großen Couch auf und machte mich auf den Weg zu dem Blonden.

„Ist was?", fragte ich leicht gereizt, als mich Mason schmunzelnd von der Seite ansah. Ich hatte gerade eine Hand voll Popcorn aus der Schüssel genommen, um meine Nerven wieder ein wenig zu beruhigen. Es gab in solchen Situationen nichts effektiveres, als ein paar ungesunde Süßigkeiten.

„Also erstens: Die sind eigentlich für den Film gedacht", fing der Junge mit den hypnotisierenden grünen Augen an, doch mir war schon jetzt bewusst, worauf sich sein schelmisches Grinsen eigentlich bezog. „Und zweitens hast du heute Nachmittag einen ziemlichen Eindruck bei mir hinterlassen." Wenigstens hatte er seine Stimme ein wenig gesenkt, sodass nicht gleich die gesamte Mannschaft von meinen kleinen Eskapaden mit Harry erfuhr.

„Das ist nichts, worüber du dir Gedanken machen müsstest." Ich sprach trotz vollem Mund, doch in diesem Augenblick konnte ich nicht darauf warten, mein Essen erst heruntergeschluckt zu habe, ehe ich das Wort erhob – meine Mutter hätte mich dafür sicherlich sofort belehrt – schließlich musste ich mich verteidigen.

Mein Blick wanderte von dem Jungen vor mir, zu dem einzigen anderen männlichen Wesen in dieser Wohnung, der noch immer nicht von der Ökotusse abgerückt war. „Außerdem wollte ich ihm heute eh sagen, dass das aufhören muss.", fügte ich bitter hinzu und zwang mich dazu, mich wieder zu Mason zu wenden, der daraufhin nur seine Augen weitete.

„Also ist das schon öfters passiert!?", fragte er erschrocken und achtete nicht mehr auf seine Lautstärke, sodass sich kurz darauf vier Augenpaare zu uns umdrehten.

„Danke sehr!", zischte ich ihm leise zu und griff nach der Schüssel. Wenn die Ökotusse den Abend damit verbringen wollte, sich an Harry zu schmachten, dann hatte ich definitiv einen Anspruch auf das gesamte Popcorn.

„Was ist schon öfters passiert?", fragte Mara ahnungslos, doch allein der liebevolle Ton, den ihre Stimme angenommen und den sie deutlich falsch aufgesetzt hatte, machten es mir schwer, ihr nicht wieder gegen das Schienbein treten zu wollen.

„Nichts", meinte ich jedoch einfach nur resigniert und versuchte mir einzureden, dass mir nicht geholfen wäre, wenn Harry mal wieder den Doktor für sie spielen würde. „Mason hat nur einen komischen Sinn für Humor."

„Was gucken wir denn jetzt?" Es war Harry der das Thema wechselte – er musste ganz genau wissen, wovon die Rede gewesen war. Dank seines besten Freundes musste ich nun eine lange Musterung von Harry gefallen lassen, deren Ziel es wohl war, herauszufinden, wieso ich ein solches Detail mit Mason geteilt hatte.

Ich erwiderte seinen Blick nicht – die Ökotusse, die sich nun sogar an ihn anlehnte, verhinderten jeglichen Respekt, den ich dafür für Harry aufbringen müsste – sondern nahm demonstrativ auf dem Boden Platz. Wir passten sowieso nicht alle auf die Couch und auf diese Weise saß ich vor allen anderen, sodass ich den Idioten wenigstens nicht mehr ansehen musste.

Im Endeffekt schauten wir uns irgendein Drama an, das meiner Meinung nach komplett unrealistisch war, sodass ich die meiste Zeit damit verbrachte, nach Filmfehlern – von denen es überraschend viele gab – Ausschau zu halten. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, bemerkte ich schon bei der Hälfte des Filmes, dass Mara, aber auch Toni, ein paar Tränen in den Augen hatten. Ich war für einen Moment schwach geworden und hatte meinen Körper so gedreht, dass ich die Menschen hinter mir ansehen konnte, doch leider entging mir auf diese Weise auch nicht, dass der Arm der Ökotusse fordernd auf Harrys Bein lag. Sie schien zwar in den Film vertieft zu sein, doch ich traute diesem Mädchen auch zu, dass sie solche Aktionen schon unbewusst durchführte.

„Das ist wirklich bescheuert.", sagte ich laut und tat so, als wäre mein Ausruf lediglich auf den Film bezogen.

„Sei leise!", zischte Mara sofort und ich meinte zu spüren, wie dieses Biest ihr Bein ziemlich verdächtig gegen meinen Rücken drückte – diese Schlampe hatte mich tatsächlich getreten!

Bevor ich jedoch protestieren konnte, erklang die dunkle Stimme, die ich an diesem Abend noch nicht oft gehört hatte: „Finde ich aber auch", gab er seufzend zu und ich spürte, wie er hinter mir von der Couch glitt und sich langsam neben mich auf den Boden setzte. „Die Frau wacht aus dem Koma auf und sitzt in der nächsten Szene völlig fit in ihrem Bett." Harry sah mich grinsend an und machte keine Anstalten, seine alte Position wieder einzunehmen.
Ich konnte mir ganz genau vorstellen, wie beleidigt die Ökotusse nun hinter mir aussehen musste. Obwohl ich mir fest vorgenommen hatte, nicht wieder in alte Verhaltensmuster zu verfallen und dieses Mal wirklich ernst mit Harry zu reden, konnte ich nicht anders, als seine Worte mit einem Schmunzeln zu erwidern: „Das ist ja noch schlimmer, als der Statist im Hintergrund, der die ganze Zeit Grimassen scheidet." Ich deutete auf den Bildschirm, auf dem man tatsächlich gerade einen Mann im Hintergrund beobachten konnte, der scheinbar trotz Probeschnitt übersehen worden war.

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt