10 - Familienname

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„Schau dir das an!" Das braunhaarige Mädchen mit den großen braunen Kulleraugen saß in Schneidersitz auf ihrem Bett und schaute auf den Bildschirm ihres Laptops. Ich konnte nicht erkennen, was genau in dem Onlineartikel stand – dafür war ich einfach zu weit weg – doch ihren Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte das nichts Gutes zu heißen. Als ich bemerkte, welche Person auf dem Bildschirm angezeigt wurde, bestätigte sich meine Vermutung.

„Was ist das?", fragte ich vorsichtig, ahnte jedoch schlimmes. Das Bild unter dem Artikel zeigte eindeutig das Bild meines Vaters, das auch auf seinen Visitenkarten zu finden war – welchen Skandal hatte er denn jetzt schon wieder an Land gezogen? Verdammt, wieso tat er mir das an?!

„Der komische Typ verklagt unsere Uni." Was?! Woher konnte mein Vater wissen, an welcher Uni ich mich befand? „Er und ein paar Unternehmer wollen hier eine Wohnanlage für die Elite des Landes aufbauen und verhandeln deswegen mit der Uni – was machen wir, wenn alles hier geschlossen wird?" Ich konnte keine Antwort auf ihre Frage finden, schließlich spukte immer noch die dominierende Frage in meinem Kopf, ob mein Vater diesen Plan einzig und allein wegen mir verfolgte. Würde er so weit gehen, nur um mir zu zeigen, wer am längeren Hebel saß?

Einmal hatte meine Privatschule ein Stipendium mehr vergeben und somit im Budget für unsere Klassenräume gespart – damals hatte mein Vater die Sache ebenfalls selbst in die Hand genommen und dafür gesorgt, dass das junge Mädchen ihr Stipendium freiwillig wieder der Schule zur Verfügung stellte, um einem riesigen Rechtsstreit zu entgehen. Mein Vater war skrupellos und spielte seine Machtposition nur zu gerne aus. Seine Gewinnquote in den Fällen, die tatsächlich vor Gericht ausgetragen wurden, waren unglaublich hoch – sodass ihn viele Unternehmer fürchteten. Ich hasste ihn.

„Das ist vermutlich nur ein Fake.", redete ich mir ein, doch sofort wurde mein verzweifelter Fluchtversuch durch Toni unterbrochen: „Ich habe in den letzten Stunden nichts anderes gemacht, als zu recherchieren, dieser Idiot macht das tatsächlich." Sie kannte meinen Nachnamen nicht, schließlich erwähnte ich ihn so gut wie nie, also konnte Toni nicht wissen, dass der Typ mein Vater war – was würde passieren, wenn sie es erfuhr? Würde sie noch mit mir befreundet sein wollen? Würde mich überhaupt noch jemand auf dem Campus ernst nehmen? Oder würden sie mich alle als Tochter des Tyranns abstempeln und mich als Schuldige darstellen?

Verdammt, Jim kannte meinen Nachnamen – würden die Nachrichten sogar in seine Bar reichen? „Walter Kingsley macht selbst vor einer langjährig etablierten Universität nicht halt.", begann Toni laut vorzulesen und riss mich somit wieder aus meinen verzweifelten Gedanken. Vielleicht reagierte ich gerade komplett über und die Nachricht war gar nicht so dramatisch, wie ich zu glauben schien. Ja, genauso würde es laufen, alle verteilten sich einfach auf andere Universitäten und niemand würde einen Hass auf Walter Kingsley aufbauen – genau das musste einfach passieren.

„Ich habe mich mal ein bisschen im Onlineforum umgeschaut – da sind einige ziemlich sauer. Es gibt sogar schon eine Petition gegen die ganze Aktion, doch ich denke damit werden sie nicht viel erreichen, schließlich ist der Kingsley ein echter Profi auf seinem Gebiet und hat schon seit Ewigkeiten keinen Fall mehr verloren." Je mehr Toni redete, desto größer wurde mein Wunsch ihr den Mund zu zuhalten – das machte es wirklich nicht besser. „Ich habe ihn mal ein bisschen Untersucht und es scheint, als würde auch in seinem Privatleben alles nach seiner Pfeife laufen." Zwar gibt es keine Bilder, aber in einem Forum stand, dass seine Familie, also seine Frau und die einzige Tochter, nur wegen ihm schon sieben Mal in den letzten sieben Jahren umgezogen sind. Die haben wohl so viel Geld, dass es ihnen nicht ausgemacht hatte." Nicht jeder war damit einverstanden. Verdammt, konnte man das alles wirklich mit ein paar Klicks heraus finden?!

Ich merkte, dass Toni noch lange nicht mit ihren Ausführungen fertig war, doch mir reichte es inzwischen: „Könntest du bitte endlich still sein?", fragte ich so gereizt, dass das Mädchen vor mir zusammen zuckte. Sofort wurde mein Blick wieder weicher und ich legte meine Hand auf ihre Schulter. „Tut mir leid, es ist nur so, dass ich gleich wieder in die Bar muss und echt Angst habe, dass Jim immer noch sauer auf mich ist." Das war gelogen. Ich hatte schließlich nur ein Glas zerbrochen und nicht gleich die ganze Bar in Brand gesteckt.

„Schon okay, ich wollte mich eh gleich mit ein paar Leuten treffen und die Sache mit der Petition besprechen. Wenn ich auch nur irgendwie helfen kann unsere Uni zu retten, dann will ich die Chance nutzen!", sagte sie so entschlossen, dass ich mir sicher war, dass noch etwas anderes dahinter steckte. Seit wir hier waren liebte Toni die Uni zwar über alles, doch eine Rebellion hätte ich ihr trotzdem nicht zugetraut.

Das war wirklich nicht mein Tag. Ich war mit dem Kingsley verwandt und meine beste Freundin zettelte eine Rebellion gegen ihn an. Konnte es noch besser werden?


„Deine Hand ist noch nicht wieder geheilt.", meinte Jim und betrachtete meine Handfläche auf der sich immer noch die Kruste des tiefsten Schnitts abzeichnete. Nach meiner kleinen Auseinandersetzung mit Toni hatte ich einfach keinen anderen Ort an den ich gehen konnte, also hatte ich gehofft Jim davon überzeugen zu können, mich wieder in die Schichten einzuteilen.

„Aber es tut schon gar nicht mehr weh! Bitte, ich brauche heute Abend eine Ablenkung." Es war mehr ein flehen meinerseits – wenn mir jemand vor einem Jahr gesagt hätte, dass ich vor meinem Chef stehen würde und darum bettelte wieder arbeiten zu dürfen, dann hätte ich mich selber für mein erbärmliches Leben ausgelacht. Doch jetzt stand ich tatsächlich vor meinem Boss und bat darum, wieder gebraucht zu werden und ich fand rein gar nichts Erbärmliches daran.

„Na gut, aber du arbeitest heute nicht direkt hinter der Bar. Du kannst die Kellnerin spielen, Anna freut sich, wenn sie mal einen Abend frei machen kann." Anna war die Freundin von Jim und half an Abenden in der Woche aus, um die Leute, die zu faul waren, selber zu laufen, an den Tischen zu bedienen – am Wochenende verzichtete er auf diese Leistung und die Leute mussten zur Bar kommen und ihre Getränke selbst abholen.

„Danke!", rief ich erleichtert aus und fiel Jim stürmisch um den Hals. Er war wirklich nett zu mir und nach all dem Stress des heutigen Tages freute ich mich darauf, endlich eine Aufgabe zu haben. 

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt