40 - Der lebensrettende Kaffee

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Wir saßen gemütlich auf einem Sofa, das dieses Mal keine Spuren von Alkoholflecken und undefinierbarem Schmutz aufwies, sondern beinahe glänzte – das war der Vorteil am Café. Ich redete recht wenig, mein Sprachzentrum hatte noch nicht die vollste Funktionsfähigkeit erreicht, doch dank meinem Kaffee, den ich dieses Mal komplett schwarz trank und mehr herunter würgte, als genoss, ging es mir stetig besser. Warum hatte ich noch einmal so viel Alkohol getrunken? Nächstes Mal würde ich besser aufpassen und an die Folgen des nächsten Tages denken. Kaum hatte ich mir den Vorsatz gedanklich gestellt, war mir klar, dass ich ihn sowieso nicht einhalten würde – vor allem nicht, wenn mein Trinkkumpel dabei war, der tödliche Mischungen zusammenstellte, die jeden verstorbenen Barkeeper im Grab umgedreht hätten.

„Arbeitest du heute in der Bar?", fragte mich Mason neugierig und trank ebenfalls aus seinem Pappbecher. Er schien schon beinahe wieder vollkommen erholt zu sein – er hatte also deutlich mehr Erfahrungen als ich. Sein Körper musste schon so an eine hohe Promillezahl gewöhnt sein, dass er gut damit umgehen konnte, während meiner sich noch gegen das flüssige Glück wehrte. Ich versuchte mir klar zu machen, dass es mir also nicht jedes Mal so dreckig gehen würde, doch im Vergleich zu meinen jetzigen Kopfschmerzen, bot mir die Erkenntnis keinen Trost.

„Ja, wobei ich hoffe, dass heute nicht so viel los sein wird." Wie sollte ich einen ganzen Abend in einer lauten Bar voller betrunkener überleben, von denen die Hälfte nach Rauch stank und die andere Hälfte einfach viel zu laut redete? Aber ich brauchte das Geld, daher konnte ich mich nicht krank melden. Ich hatte mir schon wieder etwas ausgeben lassen müssen – zum Glück hatte Mason den Kaffee ohne zu zögern für mich bezahlt – doch auf Dauer wurde das wirklich unangenehm. Ich würde mir definitiv mehr Gedanken über meine Einnahmen und Ausgaben machen müssen, sonst würde ich für alle nur noch als Schnorrerin gelten und das wollte ich definitiv nicht.

Meine Augenlider fielen langsam zu, doch ich hinderte sie nicht daran – es fühlte sich zu schön an, endlich dem Tageslicht zu entgehen. Endlich hörten die kleinen Stiche gegen meine Augen auf und ich hüllte mich in eine angenehme Finsternis.

Leider gönnte mir das Universum keine Verschnaufpause, denn im nächsten Augenblick hörte ich schon seine Stimme. „Na, wie geht's euch beiden?", fragte er lautstark und quetschte sich so schnell zwischen Mason und mich auf das bequeme Sofa, dass wir beide zur Seite rutschen mussten. Genervt öffnete ich meine Augen und erkannte, dass Toni sich auf einen der Stühle vor uns gesetzt hatte und mich angrinste. „Geht weg.", meinte ich todernst, doch beide schienen mich nicht ernst zu nehmen.

„Hat da etwa jemand schlechte Laune?", fragte Harry amüsiert und saß dabei viel zu dicht neben mir, sodass seine Worte sich wie Messerstiche in mein Ohr anfühlten. Ich stöhnte vor Schmerzen auf und wollte einen weiteren Schluck meines Kaffees trinken, doch leider befand sich nichts mehr in dem Becher. Dieses Mal war mein lautstarkes Stöhnen eines der genervten Sorte.

„Halt die Klappe.", meinte Mason, der wohl doch noch nicht vollkommen erholt war und von Harrys guter Laune genervt zu sein schien. Woher wussten er und Toni überhaupt, dass wir hier waren?

Ich wollte meinem Trinkkumpel schon zustimmen, als mir etwas Geniales einfiel. „Ich wette, du traust dich nicht, mir einen neuen Kaffee zu holen.", sagte ich grinsend und hielt dem Lockenkopf meinen leeren Becher hin.

Doch zu meinem Leidwesen bewegte er sich kein Stück, sondern grinste nur, während Toni mich verwirrt ansah. „Du weißt ganz genau, dass das so nicht funktioniert.", meinte er siegessicher und hatte zu allem Übel auch noch Recht damit. Es gab eine einzige Regel: Botengänge, die keine richtige Aufgabe beinhalteten, waren verboten. Also musste ich meinen Kopf doch ein bisschen mehr anstrengen.

„Ich wette", fing ich an und reichte dem verdutzen Harry meinen Becher. „du traust dich nicht, das Mädchen hinter der Bar dazu zu bringen, dir einen Kaffee auszugeben." Ich sah es dabei als selbstverständlich an, dass er mir sein Resultat zur Verfügung stellen würde.

„Du bist echt dreist.", gab er grinsend zurück, stand jedoch auf und machte sich auf den Weg zum Tresen.

„Was war das denn?", fragte Toni verdutzt und sah mich mit verwirrten Augen an. Sie hatte ihre Haare zu einem Zopf gebunden, der ihr dank ihres Ponys wirklich gut stand – wieso machte sie das nicht öfter?

„Frag nicht, das haben die beiden gestern Abend schon gemacht.", antwortete Mason für mich. „Nur dass Lia da mit einem Typen rummachen musste."

„Was?!", fragte Toni überrascht und stellte ihre Stimme um so viele Oktaven höher, dass ich das Gefühl hatte, mein Trommelfell würde jeden Augenblick zerplatzen.

„Hätte ich ihr auch nicht zugetraut, aber unsere Lia hier ist viel cooler eingestellt, als es scheint." Eigentlich hatte ich mich nicht an der Unterhaltung beteiligen wollen, doch da nun weitere Gäste den Blick auf meinen Prinzen versperrten und Mason mir enthusiastisch auf die Schulter schlug, änderte ich meine Meinung recht schnell: „Wieso traut ihr mir so etwas nicht zu?", fragte ich, da ich eigentlich nicht das Gefühl hatte, sonderlich unsicher oder prüde rüber zu kommen, doch scheinbar betrog mich mein Selbstbild.

„Keine Ahnung, aber so wie du Mara ständig anschaust, wenn sie sich mal wieder an Harry ranmacht scheint es, als würdest du eine solche Freizügigkeit gar nicht kennen.", antwortet Mason und klang mittlerweile wirklich erholt. Wie schaffte er es, einen so langen zusammenhängenden Satz zu bilden, ohne sein Gesicht zu verziehen? Der Junge hatte scheinbar einen verdammt guten Stoffwechsel und baute Alkohol viel schneller ab, als ich es für möglich gehalten hatte. Und mit seinen Worten hatte er auch noch recht – das störte mich wohl am meisten – schließlich kannte ich solche Mädchen wirklich nicht. Ich war seit Jahren nur noch zuhause unterrichtet worden und hatte auch sonst nicht viel Kontakt zur Außenwelt – woher sollte ich ein so schlampiges Verhalten denn kennen?

„Ich denke nicht, dass man unbedingt prüde sein muss, nur wenn man nicht verstehen kann, wie sich jemand so billig geben kann.", antwortete ich mit rauchiger Stimme, die noch immer von gestern angeschlagen war, und straffte meine Schultern.

Als Harry sich wieder zwischen mich und Mason zwängte, nahm er genüsslich einen Schluck aus dem Becher – dabei war das doch quasi mein Kaffee! „Kannst du mir den bitte geben?", fragte ich und scherte mich nicht darum, dass ich so unter normalen Umständen niemals gebettelt hätte, denn ich brauchte das Getränk wirklich dringend.

„Kein blöder Spruch?", fragte nun auch Harry reichlich überrascht und ich verdrehte die Augen. „Gib mir einfach den verdammten Kaffe.", forderte ich grimmig und warf wieder mal alle meine guten Vorsätze über Bord.

„Na bitte, geht doch.", gab der Junge mit den Grübchen lachend zurück und trank noch einen Schluck meines Wertvollen Guts.

„Harry!", sagte ich nun etwas lauter und brachte ihn ebenso laut zum Lachen – aber wenigstens reichte er mir jetzt den Becher und versorgte mich mit meiner lebensrettenden Medizin.

Fading Princess || H.S.Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt