Glaspuppe

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Krum kam wieder auf die Beine und hielt seinem Freund Kell die Hand hin, doch dieser gab ihm zu verstehen, dass er liegen bleiben wolle. Der Rest starrte auf die immer noch zuckende Puppe.
Als erstes wurde Vis wieder wach. Mit einem Ruck presste er ihr die Hand  auf den Brustkorb, womit er zumindest das Gezappel etwas einstellen konnte.
"Amelie!" Er schrie den gläsernen Körper an, obwohl er nicht mal wusste, ob dieser in der Lage war, ihn zu hören. Er wusste aber genau: selbst wenn es ihnen gelungen war, den kompletten Geist von Amelie zu transplantieren, kam es nun auf Geistesstärke des Mädchens an. Schließlich hatte sie keine echten Sinnesorgane, nur von Kell geschaffene und von Reuben angepasste, Atrappen aus milchigem Glas. Nur wenn ihr wenn ihr Geist es schaffte, sämtliche fehlende Organfunkion durch Zauber zu ersetzen, wäre sie in der Lage Sinne zu entwickeln oder gar zu sprechen.
"Amelie, kannst du mich verstehen!? Du lebst!!"
Von einem Moment auf den anderen hörte das Zucken auf. Nur der starre Blick, der blauen Glasaugen, blieb auf Vis gerichtet.
"Gib mir ein Zeichen, wenn du mich verstehst!"
Für ein paar Momente herrschte Stille, dann bewegte sich der gläsernde Kopf an seinen Schanieren nach unten und wieder hoch. Vis hätte fast aufgeschrien vor Freude.
"Ver...Versuch eine Stimme zu entwickeln! Versuch etwas zu sagen!"
Die Puppe bewegte zuckend die Lippen. Es blieb es still.
"Nein! Nicht mit deinem Mund. Mit deinem Kopf!" Ermutigte Vis.
Der Mund öffnete sich erneut und diesmal vernahmen sie alle ein Stimme, kaum lauter als ein Windhauch. "Mi...Mi..Mit meinem Kopf?"
"Amelie!" Der Heiler sprang auf.
Amelies gläsernde Augen drehten sich zu ihm. "Herr Heiler?!" Es war nicht mehr als ein Flüstern, aber es lies die Herzen aller Anwesenden höher schlagen. Sofort wurde sich um Amelie gedrängt und sie wurde vorsichtig auf die Beine gehoben. Ohne Hilfe wäre sie sofort wieder zusammengebrochen, aber Kell gab Auskunft, dass es ihm bei seinem ersten Austauschzaubers genau so ergangen war, und Amelie sich ausgesprochen gut mache. Amelie, sie stand so unter Schock, dass selbst ein Gesicht aus Glas es zeigen konnte, verstand hier und dort nichts.
"Sagen sie mal,..."raunte Krum dem Medicus ins Ohr:" sie heißen Heiler UND sind Heiler? Echt jetzt?"
Heiler wurde rot. "Was dagegen?"
"Nein, nein!" Sagte Krum, der sich das Lachen so innig verkniff, das er Bauchschmerzen bekam.
"Es wäre das Beste, wenn wir das Mädchen in ein Haus bringen würden! Sie kann ja kaum klar denken!" Brachte Schäfler, mit einer, für sein Erscheinen unerwarteten Autorität hervor und schaffte es damit den Trubel einigermaßen zu entwirren. "Herr Heiler, haben sie eine Praxis oder so in Fußnähe?"

(Das ist jetzt so ein Szenensprung, damit hier nicht zu viel unnötiges Zeug steht.)

Als Kell an die Tür des Zimmers klopfte, was Heiler in seiner Praxis für Amelie hergerichtet hatte, war es schon später Morgen. Er betrat das Zimmer ohne eine Antwort ab zu warten. Was sollte denn schon passieren? Er würde sie allerhöchstens wecken. Als er darüber nachdachte kam in ihm unter anderen die Frage hoch, ob sie jetzt überhaupt noch Schlaf brauchte.
"Ich hoffe doch ich störe nicht." Begrüßte er sie aus reiner Höflichkeit, obwohl es nichts gab wobei er Amelie stören konnte. Sie saß aufrecht auf dem Bett, in das sie Probnack in der Nacht gelegt hatte und schaute ihn an.
"Was ist? Du guckst, als wäre ich der Geist!"
Ihre Augen weiteten sich. "G...Geist?!
Ich bin ein..."
"Natürlich nicht! Du bist frei nach Definition ein Mensch! Wenn auch nicht ganz biologisch." Unterbrach er.
"Vis meinte ich soll herkommen und prüfen, ob der Zauber sicher läuft!" Er setzte sich zu ihr auf das Bett.
"Auch wenn ich keine Ahnung habe was er damit meint..."
Sie starrte ihn weiter an. "Du...Du weißt gar nicht, was hier los ist?!"
"Doch! Klar! Du bist der Geist eines Menschen, der in eine Glaspuppe verfrachtet wurde, weil der eigene Körper verstarb! Das ist Phase! Nur wie das jetzt weitergeht, weiß keiner so genau." Er griff probehalber ihr Handgelenk. "Spürst du meine Hand?"
"Ja."
"Gut. Dann wirst es wahrscheinlich auch spüren, wenn das Glas zerkratzt oder springt. Es wird sicherlich weh tun! Du musst aufpassen!"
Er griff nach ihren Ellenbogen und untersuchte die Kombination aus Schanieren und Kugelgelenken.
"Das Glas ist aber ungeheuer stabil! Vis hat es aus ganz vielen Stoffen gemacht und ein Haufen Zauber draufgelegt! Wenn es Kratzer hat, kann es sich zu einem bestimmten Punkt selbst heilen, aber wenn die Kratzer zu tief sind oder das gar springt, muss man es erst sehr hoch erhitzen." Er lies ihren Arm los, legte ihr die Hand in den Nacken und drehte ihr Gesicht in alle Richtungen.
"Wir haben das Glas vermilcht, sodass es nicht voll lichtdurchlässig ist. Krum meinte, ein Körper durch den man alles sehen kann, wäre voll krank. Das ist doch kein Problem für dich?"
Sie schüttelte den Kopf.
"Dann ist ja gut. Ach übrigens, wie ich sehe hat Heiler dir was zum Anziehen gegeben. War dir kalt?"
"Nein, ich wollte nur etwas tragen."
"Hmm, mir soll's Recht sein. Hast du sonst noch Fragen?"
"Ja, eh...Kiel, oder?"
"Kell."
"Achso, ich kann immer noch nicht gehen!"
"Das wird schon! Du musst erst lernen, diesen Körper zu benutzen. Und du solltest die erste Zeit gefütterte Stiefel tragen. Die Kleinteile in den Zehen sind recht empfindlich. Aber irgendwann wird sich der Körper anpassen und menschlicher werden. Wie alt bist du eigendlich? 13?"
"12"
"Ohh, noch so jung.... Ich glaube du verstehst, das Wachsen wahrscheinlich nicht zu den Fähigkeiten des Glases gehört. Sterben sollte aber zum Glück noch gehen."
Er stand auf.
"Noch was?"
"Ähh, sind die anderen auch noch da?"
"Ja, außer Herud und Herane, die haben sich verdrückt. Wir, von der Schmiede, werden bald das Selbe tun.
Aber keine Angst, Schäfler meinte, er würde noch eine Weile hier im Dorf bleiben, um nach dir zu sehen. Er ist zwar etwas seltsam, aber kennt sich gut aus. Es wird witzig werden, wenn sich die Idioten aus dem Dorf an Probnack gewöhnen müssen."
Zum ersten Mal sah Kell wie Amelie lächelte. Viel konnte sie mit dem Gesicht der Glaspuppe noch nicht ausdrücken, aber es war schon deutlich als Lächeln zu erkennen.
"Genieße dein Leben, Amelie! Das bist du jetzt einem Ganzen Haufen übler Leute schuldig!"
Das Mädchen nickte und Kell schloss die Tür hinter sich.
Im Flur der Praxis hatte der Rest seiner Freunde schon den Aufbruch vorbereitet. Alle, außer Sirena, die wie immer putzmunter wirkte, hatten tiefe Augenringe, sogar Probnack, der zusammengefaltet in einer Ecke hockte. Sie hatten beschlossen den Sarg hier zu lassen, als kleines Andenken.... Nein, sie waren einfach zu faul und müde ihn zurück zu schleppen.
"Hier!" Sagte Heiler noch und gab ihnen eine Glasflasche, mit einen bräunlichen Flüssigkeit. "Schockstarr!"
Schockstarr war ein Getränk, dass bei Zauberern wahre Wunder bewirkte. Wenn aber andere Menschen es tranken fielen sie einfach um und rührten sich für ein paar Stunden nicht mehr, daher der Name, nach dem sie sich wieder bewegen konnten, hatten sie oft noch Wochen später Kopfschmerzen. Es bestand hauptsächlich aus Kräutern und aus mysteriösen Schnäpsen, die nur Heiler brauten. Schockstarr wird in der Medizin, von Nichtzauberern als Narkosemittel benutzt. Stark verdünnt, versteht sich.
Adelis nahm die Flasche entgegen und bedankte sich mit einem Kopfnicken.
"Okay" sagte Vis. "Wir müssen langsam echt los! Auf ein Wiedersehen!"

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