Kapitel 5 || Fremdes Land ||

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|| Selin ||

Zehn Tage. Zehn Tage waren seit Selins Verbannung vergangen.

Noch am Tag der Einführung wurde sie ohne Verabschiedung von ihrer Familie, und auch ohne irgendetwas von ihren Habseligkeiten auf ein Schiff verfrachtet.

Als sie am Hafen eines ihr fremden Landes von Bord gingen, wurde sie sofort in Ketten gelegt. Aber nicht nur ihr wurde dieses Leid zugefügt, sondern auch allen anderen Menschen, die sich auf diesem Schiff befanden.

Nun liefen sie in Reih und Glied, angekettet wie Tiere durch ausgetrocknetes Land. Sand, wohin man nur sah. Kein einziges Anzeichen von Wasser oder Schatten.

Selins gesamter Körper war mit Schweiß bedeckt und ihre Haut war durch die pralle Sonne feuerrot. Die Schuhe hatte Selin bereits am ersten Tag der langen Wanderung ausgezogen. Blasen zierten ihre Fußsohlen und schmerzten bei jedem noch so kleinen Schritt. Ihr Mund war genauso ausgetrocknet wie das Land, welches sie durchquerten. Selins einst weißes Kleid hatte die Farbe des Sandes unter ihren Füßen angenommen und war auf der rechten Seite bis zur Hüfte aufgerissen. Auch ihr Haar war nicht mehr schneeweiß, da es den Dreck aufgenommen hatte, welcher durch den Wind in der Luft gewirbelt wurde. Sie hatten sich aus der Hochsteckfrisur gelöst und wehten ihr bei jedem Windstoß ins Gesicht.

Jede Faser ihres Körpers lechzte nach Wasser und ihre Beine drohten jeden Moment unter ihr nachzugeben. Schwindel überkam sie, was nicht nur an der brütenden Hitze lag, sondern auch an ihren, von den rostigen Fesseln, blutigen Handgelenken.

Nur im Hintergrund hörte sie das Gestöhne von den anderen, denen es ähnlich wie Selin ging. Sie war viel zu erschöpft, um alles genau wahrzunehmen.

Die vermummten Gestalten, die sie in Ketten gelegt hatten, waren in hellen Stoffhosen, dunkle feste Stiefel und einer ebenfalls hellen Kutte gehüllt. Um die Hüften lag ein lederner Gürtel mit Taschen und Messern. Auf dem Rücken der vermummten Gestalten waren lange Holzstäbe befestigt und ihre Köpfe waren vollständig mit Stoff bedeckt. Nicht einmal die Augen konnte Selin erkennen, denn diese waren mit Brillen gegen den Sand geschützt.

Am Fuße einer riesigen Sanddüne erstreckte sich eine gigantische Felsenlandschaft. Kleine, aus weißem Lehm gebaute kuppelförmige, Häuser oder Höhlen waren um hohe orangebraune Felsen gebaut. Selin sah Vorhänge aus beigefarbenem Stoff vor den Eingängen im Wind flattern. Hoch über den kleinen Häusern wurden Höhlen in die Felsen gegraben. Brücken bestehend aus Felsen, aber auch aus Holzbrücken verbanden die hoch liegenden Höhlen miteinander. Der Anblick war wunderschön, um nicht zu sagen, das schönste, was Selin je gesehen hatte. Es bot einen Kontrast zu der stumpfen, eintönigen Wüste. In einer Wiese hatte es etwas Verspieltes und dennoch von so einer Ernsthaftigkeit, dass es einem den Atem raubte.

Selin war vor Erstaunen stehen geblieben und wurde kräftig an den Ketten vorwärts gezogen. Dadurch verlor sie das Gleichgewicht, stolperte über ihre Füße und fiel die Sanddüne hinunter.

„Bilie", bellte eine der vermummten Gestalten wütend und zog heftig an ihren Ketten. Ihre Handgelenke brannten stichartig auf und Selin keuchte vor Schmerzen. Ungeschickt kam sie wieder auf die Füße und wurde zum Dorf gezogen. Dort zerrte der Fremde an ihrem Kleid. „Yipu", brüllte er ihr ins Gesicht und zog immer wieder an ihrem Kleid. „Yipu"

Ängstlich wich Selin vor dem Mann zurück und riss ihm den Saum des Kleides aus der Hand. „Ausziehen", zischte der Fremde auf einmal in Selins Sprache, doch sie weigerte sich vehement mit ihrer letzten Kraft.

„Nein, loslassen! Lass mich los! Loslassen!", schrie sie entsetzt, als der Mann sie fest packte und ihr das Kleid vom Leib reißen wollte. Panisch schlug sie um sich, dann biss sie ihrem Peiniger in den Arm. Kurz darauf schlug er ihr ins Gesicht, sodass sie zu Boden ging. Mit Tränen in den Augen sah sie zu dem Mann auf, welcher zornig zu ihr hinter schaute. Er spuckte neben ihren Kopf und griff erneut nach ihr. Der Fremde zerrte an ihrem Kleid. Diesmal ließ Selin es widerstandslos über sich ergehen. Dabei schloss sie die Augen und versucht verkrampft nicht loszuschreien. Erst als sie nackt vor ihm stand ließ er sie los und wand sich zu seinem nächsten Opfer.

Stumm weinend saß Selin auf dem heißen Sand und senkte beschämend den Kopf. „Olyek, verschwinde n'otu ntabi!", brüllte eine junge Frau mit lilaschwarzem Haar.

Sie trug ein Korsett aus dunkelrotem Stoff. Ein Lederriemen verlief über die linke Schulter, um das Korsett zu halten. Ein langer Rock aus ebenfalls dunkelrotem Stoff, welcher an der rechten Seite hochgebunden wurde, saß anschmiegsam auf ihren Hüften. An der Hüfte wurde der Rock mir roten Lederriemen gehalten. Sie trug lederne Riemchenschuhe, welche ihre Füße vor dem heißen Sand schützten. Doch das Einzige, was Selin ins Auge stach, war die albasterfarbene Haut der jungen Frau. Neid steig in ihr auf, denn im Gegensatz zu der bildhübschen Frau, glich Selin mit ihrem hellen Teint normalerweise einem der kleinen weißen Häuser. Im Moment war sie eher so Rot wie Feuer.

„Ich habe eine Aufgabe", moserte der Mann namens Olyek. „Aber so wie du sie verrichtest, beschädigst du unsere Ware", knurrte die Frau genervt. „Scher dich zu Feras, Weib", entgegnete der nun nicht mehr Namenlose.

Plötzlich begann die Lila-schwarzhaarige zu lachen. „Du drohst mir mit Feras dem Feuergott, wie süß" Spöttisch grinste sie Olyek an, dann änderte sich ihre Miene. „Jetzt mach, dass du verschwindest, sonst zeige ich dir die wahre Macht Feras" Zur Verdeutlichung ihrer Worte ließ sie eine Feuerkugel in ihrer Hand erscheinen. Olyek erwiderte etwas in der anderen Sprache und verschwand. Selins Augen schimmerten neugierig und zugleich traurig, als sie die flammende Feuerkugel sah.

Mit ausdrucksloser Miene wendete die Frau sich Selin zu. Aus einem Beutel, der Selin zuvor nicht ausgefallen war, holte sie einen Stoffknäuel heraus und warf es vor Selin in den Sand.

„Anziehen, ma na mberede", forderte sie Selin auf und ging weiter. Eilig nahm Selin den Haufen und zog sich die Sachen an. Die Klamotten bestanden aus einem Büstenhalter aus rotem Leder mit schimmernden Pailletten und einem knappen roten Lederrock, welcher kaum über ihren Hintern reichte.

Da die Kleidung nur die intimsten Stellen notdürftig bedeckten, fühlte Selin sich nackt und aller Blicke ausgeliefert. „Nenn mir deinen Namen, ohu", verlangte die Lila-schwarzhaarige Frau mit scharfer Stimme. „S-Selin", antwortete sie mit brüchiger Stimme. „Komm mit, unyi ohu" Wackelig stand Selin auf und folgte der Frau. Mit dem rechten Arm über dem Bauch und der Hand am linken Oberarm, versuchte Selin etwas von ihrer freien Haut zu verbergen.

„Nene, mmiri", sprach die Lilahaarige eine ältere Frau an, welche sofort in eine der Unterstände verschwand und mit einer Wanne wieder kam. Dankbar nickte die junge Frau der älteren zu und nahm ihr die Wanne ab, nur um sie vor Selin in den Sand zu stellen. „Waschen"

Mit zittrigen Händen tauchte Selin ihre Hände in das Wasser und spitze sich eine Handvoll ins Gesicht. Dann tauchte sie abermals ihr Hände ins Wasser und trank große Schlucke. Erleichtert schloss sie die Augen. Als Selin ihr Gesicht in der Spiegelung auf der Wasseroberfläche sah, begannen die Tränen über ihre Wangen zu laufen. Weinend sank sie auf ihre Knie und krümmte sich zusammen.

Plötzlich spürte sie etwas Raues und Nasses an ihrer Schulter. Erschrocken ruckte Selins Kopf nach oben, sodass sie direkt in die Augen ihres Gegenübers sah. Seine Augen schimmerten blausilbern und Selin hatte das Gefühl magisch von ihnen angezogen zu werden. Als das Raue und Nasse wieder ihre Schulter berührte, zuckte ihr Blick hinab. Der fremde Mann mit den schönen Augen wusch den Dreck von ihrer Haut. Selin nahm ihm den Lappen ab und begann sich selbst zu säubern. Als sie fertig war, löste sie ihr Haar aus dem Haarband und versuchte mit einer Hand ihr Haare zu kämmen.

Ihr Gegenüber bedeutete ihr stumm, sich über die Wanne zu beugen. Kalt lief es Selins Rücken hinunter, als das kalte Wasser über ihren Kopf lief. Erschrocken keuchte sie auf und krallte sich mit den Händen an den Rand der Wanne. Sanfte Hände wuschen den Dreck aus Selins Haaren und Kopfhaut. Nachdem er das Wasser aus den Haaren gewrungen hatte, richtete sich Selin wieder auf.

„Danke", flüsterte Selin schüchtern und fuhr sich durch ihre wieder schneeweißen und nassen Haare.

„Cadel!", rief jemand, woraufhin Selins Gegenüber genervt aufseufzte. Dennoch stand er auf und ging, ohne etwas zu Selin zu sagen. Stumm blickte Selin ihm hinterher.

Das war jetzt also ihre Zukunft.

***
ohu = Sklavin
Yipu = ausziehen
Bilie = aufstehen
n'otu ntabi = augenblicklich
ma na mberede = aber/und plötzlich
unyi ohu = schmutzige Sklavin
Nne, mmiri!= Mutter, Wasser! (Hier habe ich Nne in Nene verwandelt, da ich dachte, das es besser klingt)

Five Elements - Blazing FireWo Geschichten leben. Entdecke jetzt