Kapitel 1 - Unerwarete Hilfe

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„Mina Mäuschen. Jetzt zieh doch nicht so ein Gesicht und hör auf deinen Bleistift aufzufressen.", tönte die Stimme meines Vaters zu mir durch.
Innerlich verdrehte ich die Augen und kaute weiter auf meinem Stift, während ich aus dem Fenster blickte.
Was für eine öde Landschaft. Seit fast sechs Stunden saß ich nun in unserer VW Familienkutsche und versuchte mir die Zeit zu vertreiben.

Die Welt flog in einem undefinierbaren und echt langweiligen Farbgemisch an mir vorbei.
Ich war so damit beschäftigt, meine Umgebung böse anzuschauen, dass ich nicht merkte, wie meine Schwester sich zu mir rüber beugte und keine Sekunde verabschiedeten sich die Kopfhörer von meinen Ohren.

Wieso hatte ich mich nochmal dazu überreden lassen, diesen letzten Urlaub mit meiner Familie zu verbringen, bevor ich nun nach meiner ersten abgeschlossen Berufsausbildung für ein paar Monate ins Ausland verschwand?

„Trine!", rief ich ungläubig und fuhr zu ihr herum.
Sie klimperte nur unschuldig mit den Augen und lächelte mich an.
Leise knurrte ich und schlug meinen Zeichenblock zu.
„Gibst du sie mir bitte wieder?", fragte ich wirklich freundlich und streckte ihr erwartend meine Hand entgegen.
Ihr Grinsen wurde breiter. „Nö."
Böse zog ich meine Augen zu Schlitzen und erwürgte sie in meinen Gedanken.
„Seit du in der Pubertät bist, bist du echt unausstehlich.", ärgerte ich sie.
„Nur weil du sie immer noch nicht durchlebt hast?", provozierte sie zurück und ich musste leider gestehen, dass dieser Punkt an sie ging.


„Kinder! Seid ihr für so etwas nicht inzwischen ein wenig zu alt?", ging unsere Mutter dazwischen und drehte sich vom Beifahrersitz zu uns.
„Ann-Kathrin, gib deiner Schwester ihre Kopfhörer zurück und du Mina, dein Vater versucht seit einer halben Ewigkeit mit dir zu reden. Es wäre schön, wenn du dich vielleicht mal ein wenig beteiligen könntest."
Eine dunkle Haarsträhne fiel ihr ins Gesicht und sie schob sich ihre Sonnenbrille auf den Kopf.
Ihre grünen Augen musterten mich amüsiert. Ich hatte dieselben Augen.
Meine Schwester hatte die schokobraunen Haare von meinem Papa geerbt und seine ebenso blauen Augen.

Meine Haare waren blond. Straßenköterblond um genau zu sein...
Was komisch war, da in meiner Familie niemand helle Haare hatte.
Insgesamt war ich in vielen Hinsichten, anders als meine Eltern.
Ich war mit 1,74m größer als ein Großteil meiner Verwandten, meine komisch blonden Haare hatten leichte Wellen und gingen mir bis knapp an mein Kinn.
Meine Augen waren waldgrün und hatten helle kleine Streifen.

Kurz: Ich sah aus, wie das unscheinbare Mädchen von nebenan.
Seufzend schlug ich meinen Zeichenblock zu und sah meinen Paps durch den Rückspiegel an.
„Was gibt's?"
„Ich wollte dich eigentlich nur fragen, wie es mit dem neuen Artikel läuft." Er zwinkerte mir zu, ehe er seinen Blick wieder nach vorne auf die Straße richtete.
„Ganz gut.", erwiderte ich wahrheitsgemäß und dachte an die Arbeit, die mich erwartete sobald ich meinen Laptop aus dem Koffer gepackt hatte.
Schon seit einigen Jahren veröffentlichte ich auf meinem Block im Internet alle möglichen Artikel, in denen ich meine eigene, oftmals ziemlich kritische, Meinung mit einfließen ließ.

Meine nun abgeschlossene Ausbildung als Redakteurin bei einem großen deutschen Verlag hatte meinem Schreibstil den letzten Feinschliff gegeben und mir bei der ein oder anderen Zeitung bereits einen kleinen Artikel verschafft. 

„Um was geht es denn eigentlich dieses Mal?", wollte meine Ma wissen und lächelte mich an, während meine Schwester nur die Augen verdrehte und sich ihre eigenen Kopfhörer in die Ohren steckte.
„Um den eigenen Individualismus und die Rollen, in die wir von der Gesellschaft gedrängt werden.", antwortete ich ihr.
„Oh wirklich? Da hast du dir ja mal wieder etwas ziemlich schwieriges ausgesucht.", meinte sie und zog die Augenbrauen skeptisch in die Höhe.
„Ich erinnere mich daran, dass du immer sagst, man brauche im Leben neue Herausforderungen.", wies ich sie auf ihre eigenen Worte hin und konnte mir ein kleines Lächeln nicht verkneifen.
Unentschlossen wackelte sie mit dem Kopf. „Ja schon, aber ich mache mir doch nur Sorgen. Und jetzt nach der Geschichte mit Julian..."
„Schatz.", unterbrach mein Vater sie und legte seine Hand auf ihre. „Mina ist alt genug und außerdem sind ihre Artikel bis jetzt alle herausragend gewesen. Mehr als das sogar."
Meine Wangen nahmen ein leichtes rot an und ich wandte den Blick ab. Mit Komplimenten und Lob konnte ich noch nie richtig umgehen.
„Danke Papa.", flüsterte ich leise.
„Ich sage nur wie es ist.", meinte er und zuckte mit den Schultern. Ich war ihm in diesem Moment so dankbar, dass er meiner Ma so ins Wort gefallen war. An Julian wollte ich nun wirklich nicht denken, vielleicht war auch das ein weiterer Grund warum ich diesem Urlaub zugesagt hatte. Wir waren nun knappe 2 Jahre zusammen. Es war ein Ausrutscher hatte er mir per Whatsapp einen Tag danach geschrieben. Es war gar nicht seine Schuld. Er wollte gar nicht mit meiner schlimmsten Feindin schlafen. Das ganze war jetzt ungefähr drei Monate her, aber über den Vertrauensbruch kam ich noch immer nicht ganz hinweg. 

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