Kapitel 7 - Die Begegnung

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Mittlerweile lief ich seit fast zwei Stunden. Es war unerträglich heiß und ich würde mich am liebsten heulend an den Straßenrand setzen. Aber dann kam mir wieder in den Sinn warum, ich mich in dieser Situation befand und wem ich das alles zu verdanken hatte. Doch was sollte ich sagen? Die Wut weckte ungeahnte Kräfte in mir.
Fluchend marschierte ich am Rand einer stark befahrenen Straße entlang und wünschte mir, dass es zumindest ein klein wenig kühler wäre.
Ich schwitzte aus allen Poren und fühlte mich, als würde ich gerade aus einer finnischen Sauna kommen und das obwohl ich noch nicht einmal auf der Hälfte des Wegs war.
Der zweite Teil würde dann noch unerträglicher werden, denn dann musste ich nämlich bergauf.
Knurrend fuhr ich mir durch die Haare und blickte mich um.
Das große Schild eines kleinen Supermarktes auf der anderen Straßenseite erweckte meine Aufmerksamkeit.
„Oh Gott sei Dank!", seufzte ich und flitzte zwischen zwei Autos über die Straße.
Im Gleichen Moment in dem ich den Parkplatz betrat, fuhr ein großer Geländewagen darauf und sah mich relativ spät. Um nicht sogar zu behaupten, dass er mich gar nicht sah!
„Hey!", schrie ich und wich nach hinten aus.
Der Pick-Up machte eine Vollbremsung, so dass sein Kühler und meine Brust sich berührten.
„Sind Sie völlig wahnsinnig oder was?!", brüllte ich und schlug auf die Motorhaube und es knallte einmal laut.
„Haben Sie mich denn gar nicht gesehen?", tobte ich und versuchte mich irgendwie zu beruhigen. Aber es wollte mir einfach nicht gelingen.
„Wie wäre es wenn Sie sich vielleicht mal entschuldigen würden?" Wütend verschränkte ich die Arme vor der Brust und blickte durch die Frontscheibe zum Fahrer.
Der Wagen war ein großer Chevrolet K30 und offensichtlich von einem nicht sehr aufmerksamen Menschen gefahren worden.
Wenn ich auch nur eine Sekunde später reagiert hätte, wäre ich jetzt vielleicht tot.
Beachtlich langsam öffnete sich die Fahrertür und ein paar Füße traten in mein Sichtfeld.
Gerade wollte ich mich bereitmachen und wieder losschimpfen, doch im letzten Moment überlegte ich es mir noch einmal anders.
Der junge Mann trug eine dunkle Lederjacke und eine verspiegelte Sonnenbrille.
Unwillkürlich schluckte ich.
Warum hatte dieser Mann nur so ungeheure Ähnlichkeit mit dem Typen, der Tino und mich vor wenigen Stunden auseinandergerissen hatte? Bildete ich mir das vielleicht nur ein?
Gott, offenbar wurde ich jetzt schon verrückt!
„Mina?", fragte mein Gegenüber jedoch und da wurde mir bewusst, dass ich mich nicht geirrt hatte.
Mir stand wirklich Tinos Chef gegenüber. Der Kopf einer Bande Krimineller und Mörder.
„Das geht Sie gar nichts an.", sagte ich leise und legte so viel Warnung in meine Stimme wie ich nur konnte.
„Also ja.", schlussfolgerte er und ein selbstgefälliges Lächeln trat auf sein Gesicht. Er war groß gewachsen. Dunkle, leicht lockige Haare. Seine Brust war trainiert, aber nicht zu viel. Die Schultern breit. Seine Beine steckten in einer dunklen zerrissenen Jeans und endeten in knöchelhohen schwarzen Boots.
„Ich weiß nicht, was Sie meinen.", versuchte ich es auf die ahnungslose Weise und hob das Kinn.
Sein Lächeln wurde breiter, während seine verspiegelte Sonnenbrille mich wahnsinnig machte. Ich hatte keine Ahnung wohin er sah oder was er genau fokussierte.
Doch das war es gar nicht was mir kalte Schauer über den Rücken sandte. Zumindest nicht nur.
Es war seine gesamte Art. Alles an ihm. Er stank förmlich nach Gefahr.
Und die Sache mit dem Auto? Ein geschickt ausgesuchter Schachzug um zu zeigen, dass er mich nicht töten wollte. Es aber durchaus konnte.
„Oh ich glaube du weißt ganz genau, was ich meine.", behauptete er, senkte den Kopf und nahm endlich diese gottverdammte Sonnenbrille ab.
Als sein Blick mich dieses Mal traf, wünschte ich mir, er hätte sie lieber aufgelassen. Denn seine Augen waren faszinierend dunkel. Ach was laberte ich denn da? Seine Augen waren bedrohlich dunkel! Nichts anderes!
„Und ich glaube, dass du auch ganz genau weißt, wer ich bin.", fuhr er fort, warf die Tür seines Wagens zu und kam näher.
Ich zwang mich dazu stehen zu bleiben und nicht zurückzuweichen. Auch wenn es mir ausgesprochen schwer fiel.
„Ach wirklich?" Aufmerksam beobachtete ich jede seiner Bewegungen und bereitete mich darauf vor jede Sekunde die Flucht zu ergreifen.
Er lehnte sich gegen die Motorhaube, verschränkte die Arme vor der Brust und legte den Kopf ein wenig schief. So als würde er seine Beute taxieren.
„Ja.", antwortete er langgezogen und musterte mich provozierend langsam.
„Ich glaube Sie verwechseln mich.", beharrte ich und atmete tief durch.
Sein Lächeln verblasste langsam. „Weißt du es gibt ein paar Sachen, die ich gar nicht mag." Er machte eine Pause und sein Blick wurde ein Stück kälter. „Dazu gehört zum Beispiel das Lügen. Ich mag es gar nicht wenn man mich belügt. Und meine Liebe, das tust du gerade."
Einige Minuten blieb ich still und blickte ihn einfach nur an.
„Was wollen Sie von mir?", fragte ich dann und ging nicht auf seine Drohung von zuvor ein.
„Dass du mir die Wahrheit sagst. Zumindest für den Anfang." Da war es wieder. Dieses gefährliche Lächeln, das zeigte, dass er wusste dass die Welt ihm gehörte.
„Ich weiß nichts.", meinte ich einfach und erwiderte seinen Blick stur.
Er schmunzelte und drehte die Sonnenbrille in seiner Hand bedächtig.
Falls es einschüchternd wirken sollte, was er hier gerade tat, dann konnte ich ihm gratulieren. Er hatte vollen Erfolg.
„Tatsächlich." Leichte Belustigung blitzte in seinen Augen auf.
„Und jetzt werde ich gehen, denn ich habe noch einen etwas längeren Fußmarsch vor mir. Dank Ihnen hat mein bester Freund mich am Strand sitzen gelassen, und ich jetzt 4 Stunden durchs Nirgends latschen darf in der Hoffnung es noch vor Einbruch der Nacht nach Hause zu schaffen.", erklärte ich und lächelte bitter. "Ich wünsche trotzdem noch einen schönen Tag." Mit diesen Worten drehte ich mich herum und wollte in den kleinen Supermarkt gehen, als eine Hand vorschoss und sich um meinen Arm wickelte.
„Du gehst erst, wenn ich es dir erlaube.", zischte er und seine Augen schienen Funken zu sprühen.
Erschreckt blickte ich ihn an. „Lassen Sie mich los." Meine Stimme, die eben noch vor Selbstbewusstsein überkochte, war nun nichts mehr, als ein dünnes Wispern.
„Sonst was?", wollte er wissen und sah mich herausfordernd an.
„Sonst schreie ich und rufe die Polizei.", drohte ich und drängte meine Angst so weit zurück, wie es nur ging.
Er lachte. „Viel Spaß dabei. Was meinst du wohl, an wen die Polizei dich dann ausliefert? Immerhin gehört sie sozusagen mir. Also... Und lass dieses blöde „Sie", wenn du mit mir sprichst. So alt bin ich schließlich auch noch nicht. Mein Name ist Francesco. Mehr musst du nicht wissen."
Böse blickte ich von der Hand an meinem Arm zu ihm. „Ich will gar nichts über dich wissen. Nicht einmal deinen Namen! Und weißt du warum? Es interessiert mich nämlich nicht das kleinste bisschen."
Seine Finger drückten fester zu und ich musste einen schmerzgepeinigten Laut unterdrücken.
Er zog mich zu sich, so dass sich unsere Nasen fast berührten. „Das sollte es aber."
„Und warum?" Ich wusste nicht woher, mein Mut auf einmal kam. Doch es war wahrscheinlich kein Mut, sondern eher Wahnsinn. Denn wenn es stimmte, was Tino mir erzählt hatte, stand ich gerade einem Mann gegenüber, der nicht vor Mord und Vergewaltigung zurückschreckte. Jap. Ich war definitiv lebensmüde.
„Wenn deine Familie diesen Urlaub überleben soll, solltest du mir lieber ein wenig mehr Respekt entgegen bringen.", flüsterte er und das war der Moment in dem ich meine Maske fallen ließ. Meine Familie bedeutete mir alles.
Fest biss ich die Zähne zusammen. „Lass sie in Ruhe."
Er grinste. Er wusste, dass er mich hatte. „Dann bereitete dich vor." Seine Hand löste sich von meinem Arm und er trat zurück an die Fahrertür seines Wagens.
„Für was?", rief ich und rieb mir über die geschundene Stelle.
Locker setzte er sich die Sonnenbrille wieder auf und zog kurz eine Augenbraue darüber. „Mir zur Verfügung zu stehen.", antwortete er, glitt auf seinen Sitz und zog die Tür zu.
Entsetzt blickte ich ihn an. Ich hatte mich verhört! Ich musste mich verhört haben!
Sein Lächeln wurde breiter, als er den Motor anwarf und rückwärts vom Parkplatz fuhr. Bevor er zwischen den anderen Autos verschwand, zeigte er mir per Handzeichen, dass er es ernst meinte und keine Sekunde später war er verschwunden.

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