Kapitel 3 - Heulen der Wölfe

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„Du hast ja wirklich keine Ahnung, wie sehr ich das hier vermisst habe.", seufzte ich und biss in meine Feige.
Klebriger Saft lief mir übers Kinn und ich wusste, dass es hier in wenigen Minuten nur so von Ameisen wimmeln würde.
„Und ich habe dich vermisst.", murmelte Tino und schob sich seine Sonnenbrille auf der Nase zurecht. „Ich war in den letzten Sommern oft hier, aber ohne dich ist es einfach nicht das Gleiche."
„Du bist so süß.", lachte ich und ließ mich neben ihn in das trockene Gras fallen.
Die Sonne schien mit aller Macht vom Himmel auf uns nieder und ich leckte mir den letzten Feigensaft von den Lippen, während ich die Hände hinterm Kopf verschränkte und in den blauen Himmel schielte.
„Warum kann es nicht immer so schön sein?", fragte ich leise und blinzelte zu meinem besten Freund.
„Kann es doch.", behauptete er nur und zuckte im Liegen mit den Achseln. „Du könntest doch einfach hier bleiben. Bei mir."
Ich schmunzelte und rollte mich auf die Seite.
„Wir könnten gemeinsam das Restaurant meiner Mutter übernehmen und du könntest dir eine kleine Wohnung direkt hier im Ort suchen. Mit Blick über das Tal natürlich.", fantasierte er und ich wünschte mir so sehr, dass dies mehr wurde als einfach nur ein Traum.
„Du weißt, dass ich es sofort machen würde, aber ich kann meiner Familie das nicht antun. Außerdem will ich erstmal meine Ausbildung fertig machen, und dann sehen wohin das Leben mich führt.", erklärte ich.
Tino richtete sich auf und drehte sich so auf die Seite, dass er mich besser sehen konnte.
„Und was ist, wenn du einfach mal das tust, was du willst?" Aufmerksam beobachtete er mich.
Ich stöhnte.
„Meine Nonna hat immer gesagt: Non seguire la strada, segui il tuo cuore. Was so viel heißt wie, folge nicht dem Weg, folge deinem Herzen.", philosophierte er vor sich hin, während ich tief in meinen Gedanken ertrank.
„Du weißt genau, dass ich das nicht kann.", stoppte ich ihn.
„Aber warum? Was ist so falsch daran an sich selber zu denken? Seit ich dich kenne, verdrängst du dich selber um es allen anderen Recht zu machen. Wenn du so weiter machst, wirst du irgendwann daran kaputtgehen.", drohte er mir und schüttelte den Kopf.
Daraufhin sagte ich erstmal eine Zeit lang gar nichts mehr. Was sollte ich darauf auch erwidern. Irgendwie hatte er ja schließlich Recht.
„Wenn es ums Geld geht brauchst du dir keine Sorgen machen. Das Schreiben wird dich locker über Wasser halten.", fegte er meine Ängste zur Seite.
„Das wage ich doch sehr zu bezweifeln.", lachte ich bitter und riss frustriert einen Grashalm nach dem anderen aus dem vertrockneten Grund.
„Mina.", sagte Tino ernst. „Ich weiß wie gut du bist! Und nicht nur ich."
„Ich weiß doch auch nicht, warum ich so bin wie ich bin, okay?!", fuhr ich ihn an und schloss die Augen.
Jetzt war Tino es, der nichts mehr sagte.
„Ich möchte nur, dass du immer einen Platz an meiner Seite hast.", sagte er dann leise und lächelte mich sanft an.
„Und das weiß ich ehrlich zu schätzen.", bedankte ich mich und umarmte ihn.
Wir saßen den ganzen Tag dort und redeten. Gemeinsam träumten wir davon wie es wäre sich hier gemeinsam eine Zukunft aufzubauen.
Irgendwann setzte die Dämmerung ein, doch wir bemerkten es gar nicht.
Erst als die Kirchturmuhr verkündete, dass es bereits zweiundzwanzig Uhr war, wurde uns bewusst, wie lange wir hier verbracht hatten.
„Oh Shit!", fluchte Tino plötzlich und sprang auf die Füße.
„Was ist denn jetzt los?", fragte ich und zog die Augenbrauen zusammen, während ich meinen besten Freund beobachtete, wie er alle seine Habseligkeiten hektisch einpackte.
„Es ist schon viel zu spät.", meinte er beinahe panisch und riss mich am Handgelenk nach oben.
„Ja und?" Offenbar passierte hier etwas von dem ich nicht die leiseste Ahnung hatte.
„Verdammt Mina!" Er schnappte sich meine Hand und zog mich durch das hohe Gras zurück auf den Weg und weg von der alten Ruine. „Es ist Nacht, verstehst du nicht?"
Gemeinsam rannten wir den steilen Weg hinab und versuchten nicht auszurutschen oder nach vorne über zu fallen.
Nach wenigen Minuten kamen wir am Bach an. Der Mond über uns spiegelte sich im Wasser und verlieh der ganzen Szene etwas schrecklich Unheimliches.
Klischeehaft eigentlich.
Mein Puls raste, als Tino mir über die Steine auf die andere Seite des breiten Baches half.
In dem Moment in dem wir einen Fuß auf das rettende Ufer gesetzt hatten, hörten wir es.
Ein helles Heulen.
Es sollte das eines Wolfes sein, doch es klang nach einem Menschen.
Und erst da wurde mir bewusst, warum Tino plötzlich so panisch war.
Mein bester Freund suchte meinen Blick uns schluckte.
Ich sah die Angst in seinen Augen.
Bevor ich etwas sagen konnte, zog er mich den schützenden Schatten eines Abhangs.
„Runter!", befahl er wispernd und drückte mich auf den Boden.
Wenig später erklang ein weiteres Heulen. Viel näher dieses Mal.
Dem Heulen folgte ein dunkles Lachen.
„La caccia ha inizio.", schrie jemand und ich drückte mich unwillkürlich enger in die Dunkelheit.
Fragend sah ich zu Tino. „Die Jagd beginnt.", übersetzte er für mich und das war der Moment in dem ich am liebsten einfach umgefallen wäre.
Ich dachte mein Freund hatte maßlos übertrieben, als er von der neuen kriminellen Bande in der Stadt geredet hatte. Aber nun...
Nun glaubte ich ihm.
Und ich hatte tierische Angst.
Mein Herz schlug mir bis zum Hals und mein eigener Atem klang viel zu laut.
Tinos Blick suchte meinen.
Er nickte aufmunternd.
„Wenn ich jetzt sage, läufst du verstanden? Und das rapidamente!", befahl er stimmlos und ich konnte nur nicken.
„Ich sorge dafür, dass du sicher nach Hause kommst, versprochen." Er drückte meine Hand und zwinkerte mir zu.
Wir verharrten einige Minuten und lauschten einfach nur.
Mit jeder Sekunde die verstrich, starb ich ein kleines bisschen mehr. Was für eine bescheuerte Idee von meinen Eltern, dieses Jahr wieder hierher zu fahren um Urlaub zu machen.
Vermutlich könnten sie meine Leiche morgen früh vom Dorfplatz kratzen.
Dann stieß Tino mich in die Seite und nickte. „Jetzt!"
Ich sprang auf und rannte los.
Meine Füße bewegten sich von ganz alleine und ließen sich nicht anhalten. Selbst wenn ich es gewollte hätte.
Ich rannte, als wäre der Teufel hinter mir her.
„Tino?", keuchte ich irgendwann, nachdem ich die alte Schotterstraße verlassen hatte und am Fuße des Berges stand.
Er war nicht hinter mir. Verdammt wo war er?
„Tino?", sagte ich etwas lauter in die erschlagende Dunkelheit, die sich hinter mir ausbreitete.
„Das ist nicht witzig.", zischte ich und taumelte ein wenig nach hinten, als sich vor mir auf dem Weg etwas bewegte.
Seine Worte von zuvor kamen mir wieder in den Sinn und am liebsten hätte ich ihm, wegen seiner Sturheit in den Arsch getreten. Ich sorge dafür, dass du sicher nach Hause kommst...
Tja ich würde mein Bestes geben, dachte ich noch. Dann drehte ich mich um und rannte einfach weiter.
Ich hatte keine Lust als Wolfsfraß zu enden und das im wahrsten Sinne des Wortes.
Nach wenigen Minuten kam endlich der unterste Teil des Dorfes in Sicht und ich atmete erleichtert auf, bevor ich in den Schatten der Siedlung verschwand.
Hier war alles ruhig.
In vereinzelten Abständen konnte man eine Katze fauchen hören, aber das wars dann schon.
Warum musstest du auch nur so blöd sein und deinem besten Freund nicht glauben, fragte ich mich selber und knallte meinen Kopf kurz gegen die Wand der Kirche.
Dann hörte ich plötzlich Schritte hinter mir und erstarrte.
Meine Augen schlossen sich zitternd und ich schluckte.
Entfernt zerriss ein weiteres Heulen die Nacht.
Dann legte sich eine kalte Hand in meinen Nacken.
Ich wollte schreien, weglaufen, um mich treten. Aber es war, als lähmte mich etwas.
Ein dunkles Lachen ertönte und ließ mich erschaudern.
Der Mann murmelte etwas auf Italienisch und ich merkte, wie er dichter an mich herantrat.
„Bitte.", flüsterte ich leise und war überrascht wie stark meine Stimme doch klang. Sie war das komplette Gegenteil zu dem wie ich mich fühlte.
„Una tedesca.", schrie er in die Nacht hinaus und mehrere Heulen antworteten ihm.
„Was suchst du hier draußen, Kleine?", wollte der Unbekannte wissen und trat um mich herum.
Sein Gesicht lag im Dunklen und automatisch hoffte ich, dass er der Fremde von letzter Nacht war. Doch die Schultern dieses Mannes waren breiter. Um einiges breiter.
„Ich bin auf dem Weg nach Hause.", antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Du bist neu hier, stimmts?", fuhr er fort und kam näher.
Ich nickte.
„Dann bist du bestimmt die Kleine über die Tino ständig redet.", vermutete er und ich wurde hellhörig. Tino gehört zu denen?
Oder wurde er von ihnen erpresst? Aber warum sollte er dann über mich reden? Das hieß doch wohl nicht... Oh hoffentlich nicht.
„Ich wüsste nicht, was Tino damit zu tun hat." Stolz reckte ich das Kinn in die Höhe und starrte herausfordernd auf den Punkt unter seiner Kapuze, an der ich seine Augen vermutete.
Er lachte nur. „So unwissend."
Seine Reaktion bestätigte meinen Verdacht, dass Tino zu dieser Bande Krimineller gehörte, nur noch mehr. Mir wurde schlecht.
„Besser unwissend, als dumm.", erwiderte ich und ging ein paar kleine Schritte nach hinten.
Der Mann folgte mir und kam immer näher.
Die Mauer der Kirche bohrte sich beinahe schmerzhaft in meinen Rücken.
Er lachte wieder leise, als er die Angst in meinen Augen sah. „Du wirst ihnen nicht entkommen. Das kann keiner."
Langsam hob er eine Hand und legte sie sanft auf meine Wange.
Mein Atem wurde flacher und ich schluckte.
Kurz schloss ich meine Augen und suchte nach einem Weg aus dieser Situation. Nur weg von ihm und seinen kalten, widerlichen Händen.
Als ich meine Augen wieder öffnete, blickte ich geradewegs in die meines Gegenübers und wünschte mir, ich würde weiterhin nichts sehen.
Denn in seinen dunklen Augen, war nur Belustigung und Freude zu sehen.
Es machte ihm offenbar Spaß mit mir zu spielen und meine Angst zu genießen.
„Lass mich in Ruhe.", knurrte ich dünn.
Seine Hand wanderte unendlich langsam von meiner Wange über mein Kinn bis hin zu meinem Hals.
Dort drückte er zu. „Scusa?" Wie bitte, fragte er mich. Ein Lächeln lag auf seinen dünnen Lippen.
„Du hast mich ganz genau verstanden.", röchelte ich, während seine Hand mir mit jeder Sekunde mehr Luft abdrückte.
„Ach ja?" Herausfordernd blitzten seine Augen mich an.
„Ja...", hauchte ich und begann zu husten.
Er kam mit seinem Gesicht ganz nah an meins.
Sein Atem traf auf meine Lippen.
„Weißt du ich könnte dem Ganzen ein Ende bereiten.", wisperte er und sein Blick zuckte begierig von meinen Augen zu meinen Lippen.
„Also verrate mir..." Sein abartiges Lächeln wurde für einen kurzen Moment noch ein Stück breiter. „...wie viel ist es dir wert, dein Leben?"

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