Kapitel 12 - Haiauge

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„Was wollen wir hier?", fragte ich knapp eine halbe Stunde später.
Francesco hatte vor einem hässlichen Haus gehalten und den Motor abgestellt.
Hinter den trüben Fenstern schien mattes Licht.
Grau blätterte der Putz von der Fassade.
Kurz: Ich war nicht sehr scharf darauf, den Besitzer dieses Gebäudes kennenzulernen.
Ein wenig beunruhigt sah ich zu Francesco.
Dieser hatte die Arme überkreuzt auf das Lenkrad gestemmt und den Kopf darauf gebettet, während sein Blick auf dem Haus lag.
„Ich muss nur etwas abholen. Keine große Sache.", versuchte er die Sache runterzuspielen.
„Und was genau willst du da drinnen bitte abholen? Wenn du mich fragst, sieht das nicht unbedingt vertrauenswürdig aus..." Nur schwer gelang es mir, meine Nervosität und die damit verbundene Gereiztheit aus meiner Stimme zu verbannen.
Lachend wandte er sich mir zu. „Ich sehe doch auch nicht vertrauenswürdig aus und du sitzt trotzdem mit mir im selben Wagen."
„Das ist was ganz anderes.", knirschte ich. „Ich hatte ja auch schließlich keine Wahl." Mir entging natürlich nicht, dass er meine eigentliche Frage clever umging.
„Doch, die hattest du.", grinste er und zeigte nach hinten auf die Ladefläche...
Tolle Alternative! Wirklich.
„Lenk nicht ab!", fauchte ich und musterte ihn feindselig. „Sag mir was du abholen willst, denn ich habe wirklich keine Lust mich mitschuldig zu machen, weil ich mit dir im gleichen Auto sitze, während du irgendetwas transportierst, was höchstwahrscheinlich nicht legal ist."
Selbstgefällig sah er mich an. „Unschuldig wirst du aus dieser Nummer so oder so nicht mehr herauskommen. Das hat sich bereits in dem Moment entschieden, als ich dich das erste Mal gesehen hab."
Fassungslos starrte ich ihn an. „Du weißt, dass ich dich umbringen werde sobald ich die Möglichkeit habe, oder?"
Warnend zog er eine Augenbraue in die Stirn. „Pass auf was du sagst. Ich lasse dir viel durchgehen, weil du neu im Geschäft bist und ich dich mag. Aber ich warne dich: Treib es nicht zu weit. Ich möchte deiner Schwester nur ungerne einen Besuch abstatten müssen. Ich hab gehört, dass sie gerne tanzt. Wäre doch echt schade, wenn sie durch einen doofen Zufall ihre Beine nicht mehr benutzten könnte..."
Hatte ich zuvor noch zu einer giftigen Antwort ansetzen wollen, verstummte ich nun schlagartig.
„Das würdest du nicht tun." Meine Stimme klang dünn und ich merkte, wie Tränen sich in meine Augen schlichen.
„Wenn du mir keine andere Wahl lässt." Er wusste, dass er meine Schwäche gefunden hatte. Und ich hasste ihn dafür.
Zwei, drei Minuten blieben wir einfach still.
Ich versuchte seine Worte zu verarbeiten und einzuschätzen. Ich traute ihm durchaus zu, dass er zu so einer Tat bereit war.
Nur warum ihm offenbar so viel an meiner Mitarbeit und Nähe lag, konnte ich nicht sagen.
Es blieb mir schlichtweg ein Rätsel. Und zwar ein verdammt großes.
„Okay.", gab ich irgendwann nach. „Die Nachricht ist angekommen."
Er nickte. „Gutes Mädchen."
Im Normalfall würde ich ihn für diese Bezeichnung zumindest böse anschauen, aber gerade fehlte mir einfach die Kraft dazu. Die Drohung in Richtung meiner Schwester, hatte mir nur erneut gezeigt, dass er nicht zu unterschätzen war.
Sein Blick lag auf mir, als er ausstieg um das Auto herum ging und mich kurz darauf am Arm von meinem Platz zog.
„Du wirst vielleicht gleich Dinge sehen, die du als artige Tochter, vielleicht als verboten oder illegal bezeichnen würdest. Trotzdem bleibst du ganz locker und tust so, als würde dich das alles kalt lassen, okay?" Er warf die Beifahrertür zu und schloss den Wagen ab.
Ich nickte abwesend. Ich wollte nicht dort hinein.
„Die Jungs sind gefährlich. Natürlich nicht so gefährlich wie ich, aber sagen wir einfach, du möchtest sie nicht näher kennenlernen. Solange du bei mir bleibst, wird dir nichts passieren. Wenn dir jemand dumm kommt, sagst du einfach, dass du zu mir gehörst und du hast deine Ruhe. Ganz einfach."
Erneut nickte ich nur.
„Gut!" Seine Hand wanderte von meinem Arm zu meiner. Sanft verschränkten seine Finger sich mit meinen.
Unwillkürlich kribbelte es in meinem Bauch komisch. Doch so schnell dieses Gefühl gekommen war, so schnell war es auch schon wieder fort.
Ich schob es auf die Nervosität und die Übelkeit.
Hinter Francesco stand ich auf der Treppe vor der runtergekommenen Haustüre und beobachtete, wie er klopfte.
Wenige Augenblicke später wurde die Tür ein Stück geöffnet und das erste, das ich sah, war der Lauf einer Waffe.
Automatisch klammerte ich mich fester an die Hand in meiner und hoffte, dass ich lebend aus der ganzen Sache wieder raus kam.
Fürs Erste würde es mir jedoch reichen, dieses Haus lebend zu verlassen.
Leise sagte Francesco etwas zu der Person, die die Waffe hielt und kurz darauf wurde ich in einen dreckigen Flur gezogen.
Zuerst bemerkte ich den Riesen, der mich skeptisch anblickte.
Er trug eine ausgeblichene Jogginghose und ein weißes Unterhemd. Auf seinem kahlen Kopf befand sich nicht das Einzigste Haar und überall wo man hinsah hatte er Tattoos.
Ob Francesco wohl auch tätowiert war? Verdammt, wie kam ich auf solche Gedanken?
Raus, raus, raus aus meinem Kopf!
Francesco sagte etwas auf Italienisch zu dem Ungetüm, woraufhin dieser die Waffe sinken ließ und schließlich in den Hosenbund an seinem Rücken schob.
Brummend nickte der Riese, dann wackelte er vor uns den nur spärlich beleuchteten Flur entlang.
Alle Zimmer an denen wir vorbeikamen waren leer und unbewohnt.
Nur aus einem Raum am Ende des Flurs, drangen Stimmen.
Offenbar war das auch unser Ziel.
Bevor wir das Zimmer betraten, drehte Francesco sich zu mir und sah mir tief in die Augen.
„Sprich nur, wenn du dazu aufgefordert wirst. Und bitte, mach nichts Unüberlegtes. Das sind wichtige Geschäftspartner von mir.", bat er und drückte meine Hand, ehe er ins Licht eintauchte und mich hinterherschliff.
Ein süßlicher Duft lag in der Luft und ich brauchte nicht lange, um einzuordnen, nach was genau es roch.
In der Mitte des Raumes saßen drei Männer auf dem Boden um einen flachen Tisch. Auf dem Tisch lagen verschiedene Pistolen.
Einer der Männer zog gerade ein weißliches Pulver durch ein dünnes Röhrchen in seine Nase und atmete danach tief durch.
Ungefähr vier Beutel mit ähnlichem Inhalt lagen ebenfalls neben den Waffen.
Langsam ließ ich meinen Blick durch die Umgebung gleiten und zählte vier weitere Männer, mit großen Gewähren in den Händen, an den Wänden positioniert. Mir wurde flau im Magen...
„Salve Francesco.", rief einer der jungen Männer erfreut, als er meinen Begleiter entdeckte und richtete sich auf.
Er kam auf uns zu und umarmte Francesco kurz brüderlich. Er war nicht sehr groß, trug eine enge Jeans und ein weißes Hemd, was er an den Ärmeln hochgekrempelt hatte. Seine hellen Haare brachten seine eiskalten Augen nur besser zur Geltung. Seine Augen waren hellblau und wirkten in gewisser Weise tot. So wie die eines Haies.
Danach fiel der Blick des Unbekannten, der hier offenbar das Sagen hatte auf mich und er pfiff anerkennend durch die Zähne.
Er drehte sich zu den anderen beiden Männern, die noch immer auf dem Boden saßen und inzwischen, die weiß gefüllten Tütchen und die Waffen verschwinden lassen hatten und machte die zwei auf mich aufmerksam.
Unbemerkt schob Francesco sich ein wenig vor mich, und ich dankte ihm im Stillen dafür, denn die Blicke der Fremden waren mehr als unangenehm.
Der Mann, der vor uns stand, lächelte mich dreckig an, ehe er sich an Francesco wandte und auf Italienisch etwas fragte.
Da sein Blick dabei unverwandt auf mir lag, konnte ich mir denken um was es bei seiner Frage ging.
Francesco antwortete direkt und blickte von der Seite zu mir. Ein lockeres Lächeln auf seinen Zügen.
Haiauge klatschte amüsiert in die Hände, dann bat er uns einen Platz vor dem flachen Holztisch an.
„Was hast er gesagt?", fragte ich Francesco leise, während wir uns auf dem Boden niederließen.
„Er wollte wissen, wie viel er für dich zahlen müsste.", erklärte er und grinste frech.
Entsetzt sah ich ihn an. „Und was hast du geantwortet?"
Sein Grinsen wurde breiter. „Dass du unverkäuflich seist."

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