Kapitel 11 - Die Nacht beginnt erst

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Das nächste, das ich bewusst wahrnahm, war ein Auto. Ich saß in einem Auto.
Eine Hand lag auf meinem Rücken und streichelte gleichmäßig darüber.
Langsam glitt mein Blick an dem dazugehörigen Arm hinauf und blickte schließlich in ein paar dunkle Augen.
Sofort zuckte ich zurück.
„Hey Kätzchen, alles gut. Ich bins nur." Francescos Stimme klang belustigt.
Tief atmete ich durch und fuhr mir durch die Haare. „Wie bin ich hier her gekommen?" Ich saß auf dem Beifahrersitz, seines großen K30 und blickte in die Dunkelheit. Das verlassene Restaurant lag vor uns und wurde durch die Autoscheinwerfer angeleuchtet.
„Ich hab dich getragen." Er zuckte unschuldig mit den Achseln.
In diesem Moment wurde mir erst bewusst, in wessen Auto ich mich eigentlich befand und wessen Hand es war, die da beruhigend über meinen Rücken strich.
Augenblicklich stieß ich seinen Arm weg, und sprang aus dem Wagen.
Während ich nach Luft schnappte und versuchte einen klaren Kopf zu bekommen, hörte ich Francesco leise lachen.
„Warum warst du überhaupt da?", fragte ich und ging in Gedanken, die Ereignisse in dem alten Lokal nochmal durch.
Die Person die durch die Eingangstür gestürmt war, war demnach also er gewesen.
Blieb nur die Frage, wem die anderen Augen gehört hatten...
Ich konnte mir das nicht eingebildet haben.
So etwas würde ich mir nicht einfach ausdenken!
Unmöglich.
„Ich wollte zu dir.", erklärte Francesco, als wäre er komplett unschuldig.
„Und woher wusstest du wo ich bin?" Ich wirbelte zu ihm herum, verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn wütend an.
Er lächelte nur leicht.
Das genügte mir als Antwort. Offenbar war er mir gefolgt. Oder einer seiner Leute...
„Du bist doch krank!", schnaubte ich, griff nach meinem Rucksack, der neben seinem Pick-Up lag und wollte mich an ihm vorbei drängeln. Einfach nur noch weg von diesem Ort. Und ihm.
Allerdings war er noch nicht fertig mit mir, denn er riss mich zurück und schubste mich gegen den großen Geländewagen.
Erschreckt keuchte ich auf.
„Du gehst erst, wenn ich es dir erlaube.", sagte er und keilte mich zwischen seinen trainierten Armen ein.
Ich schluckte meine Angst hinab und versuchte seinem Blick standzuhalten.
„Ich gehe, wenn ich gehen will.", meinte ich kalt, stieß ihm vor die Brust und war eigentlich schon fast weg.
Francesco hatte sich nur leider überhaupt nicht, von meiner kleinen Aktion beindrucken lassen, denn er grinste nur süffisant.
Dann legte er seine Hand um meinen Hals und hielt mich genau dort wo ich war.
Zwischen ihm und seinem Auto.
„Wir sind hier noch nicht fertig." Sein Gesicht kam meinem näher und etwas Dunkles funkelte ihn seinen Augen auf.
Langsam streichelte sein Daumen über die Haut an meinem Hals.
Konzentriert schloss ich die Augen und versuchte seine Berührung zu ignorieren.
„Das sehe ich anders.", flüsterte ich anders und wünschte, meine Stimme hätte ein kleines bisschen stärker geklungen.
Seine Lippen kräuselten sich verdächtig. „Du musst noch viel lernen." Seine Hand, die mich eben noch sanft liebkost hatte, legte sich nun wie eine Schraubzwinge um meinen Hals und drehte mir die Luft ab.
„Die wichtigste Regel ist, dass man das tut, was ich sage." Seine Lippen strichen über meine Wange, als er sprach.
Währenddessen versuchte ich irgendwie Luft zu bekommen. Ich japste und hustete und drückte seine Finger von meiner Luftröhre. Jedoch ohne Erfolg.
Mit jeder Sekunde wurde ich schwächer und langsam machten sich bereits schwarze Punkte in meinem Sichtfeld bemerkbar.
„Die zweite Regel ist, dass man mir nicht widerspricht." Eng presste er seinen Körper an meinen und nahm mir jeglichen Freiraum.
„Die dritte Regel ist, es gibt nur meine Regeln. Was ich sage, ist Gesetz und was ich tue wird nicht in Frage gestellt. Verstößt du gegen eines dieser Gesetze, wirst du bestraft. Zweifelst du an mir, wirst du bestraft. Widersetzt du dich mir, wirst du bestraft. Es ist eigentlich ganz einfach."
Arrogant lächelte er mich an.
„Okay!", krächzte ich heiser und nickte so gut es ging in seinem Griff.
„Okay?", echote er und knallte meinen Kopf gegen das Fenster hinter mir. So gut es ging, ignorierte ich den aufkommenden Schmerz dabei.
„Verstanden!", piepste ich mit der letzten Luft, die mir noch blieb. „Ich hab's verstanden."
Einen kleinen Augenblick beobachtete er noch, wie ich mich unter seinem Griff aufbegehrte und versuchte nicht ohnmächtig zu werden.
Dann ließ er mich einfach los und ich fiel zu Boden.
Laut hustete ich und keuchte unkontrolliert. Dabei drückte ich mir die Hände auf den Brustkorb und kämpfte darum, mich zu beruhigen.
Nach einigen Minuten, gelang es mir schließlich.
Mein Atem hatte sich reguliert und mein Herz schlug wieder so, wie es sollte.
Als ich aufblickte, sah ich Francesco an der Brüstung zum Wasser lehnen und rauchen.
Sein Blick lag aufmerksam auf mir und ließ mich keine Sekunde aus den Augen.
„Fertig?", wollte er nur wissen und blies den kalten Rauch der Zigarette in die Nacht hinaus. Böse blickte ich ihn an.
„Sieh mich nicht so an!", befahl er. „Denkst du meine Männer hören auf mich, weil ich liebevoll und gerecht zu ihnen bin? Warum sollte ein Land mich fürchten? Weil ich gütig und großzügig bin?"
Wackelig richtete ich mich auf und lehnte mich erstmal an das Auto in meinem Rücken, um nicht gleich wieder umzufallen.
„Wenn ich all das wäre, stände ich jetzt nicht da wo ich gerade wäre. Was bringt mir Freundlichkeit und Sanftmut in einer Welt wie dieser?" Erneut nahm er einen Zug von der Kippe zwischen seinen Fingern.
„In dieser Gesellschaft bringst du es nur zu etwas, wenn dir egal ist, was die Menschen von dir denken. Wenn du kalt bist. Hart. Wenn dir die Konsequenzen egal sind. Weil du die einzige Konsequenz bist, die die Menschen fürchten." Bedrohlich bohrte sein Blick sich in meinen.
„Ich glaube du solltest dir dringend einen guten Psychologen suchen.", knurrte ich leise und zählte alle meine Sinne zusammen.
„Das hab ich gehört.", rief Francesco, warf seine glimmende Zigarette auf den Boden und trat sie aus.
„Na klasse..." grummelte ich und schob meine Hände in die Taschen meines Jumpsuits.
Er fuhr sich durch die Haare, kam auf mich zu und öffnete demonstrativ die Beifahrertür.
Der Geruch von kaltem Nikotin hing an ihm.
„Steig ein." Er deutete mit dem Kopf ins Innere des Wagens.
Kritisch beäugte ich ihn. Ich würde nicht in dieses Auto steigen. Keiner wusste, ob ich jemals wieder zuhause ankam, wenn ich jetzt dort einstieg.
Als ich nicht reagierte, presste er seine Lippen zu einem dünnen Strich zusammen und ich konnte sehen, wie schwer es ihm fiel, seine Wut im Zaun zu halten.
„Ich werde jetzt bis drei zählen, wenn du bis dahin nicht eingestiegen bist, landest du hinten auf der Ladefläche. Mit zusammengebundenen Händen. Unter einer schwarzen Plane."
Bei seinen Worten wich mir sämtliche Farbe aus dem Gesicht.
„Das würdest du nicht...", begann ich und versuchte mir meine Angst nicht anmerken zu lassen.
„Möchtest du es drauf anlegen?" Provokant zog er eine Augenbraue in die Höhe.
Schnell schüttelte ich den Kopf und kletterte auf die durchgehende Sitzbank. Hinter mir warf Francesco die Tür zu und ging um den Wagen herum, um wenige Sekunden später ebenfalls einzusteigen und den Schlüssel herumzudrehen.
Polternd erwachte der Motor zum Leben und Francesco lenkte das Ungetüm auf die Straße.
So gut es ging, rückte ich von ihm weg und ließ ihn nicht aus den Augen.
An einer roten Ampel wandte er sich genervt zu mir. „Sieh mich nicht so an."
„Wie sehe ich dich denn an?", gab ich schnippisch zurück und verschränkte die Arme vor der Brust, nachdem ich meinen Rucksack zwischen uns platziert hatte. Als reine Sicherheitsmaßnahme verstand sich...
„So als würde ich jede Sekunde über dich herfallen..." Sein Blick wanderte von mir zur Ampel.
„Und würdest du? Also über mich herfallen?" Aufmerksam beobachtete ich ihn, um ihm Notfall schnellstmöglich zu handeln.
Wie ich dann jedoch handeln würde, wusste ich selber noch nicht.
Er lächelte sein eingebildetes Lächeln und sah kurz zu mir, ehe er sich wieder auf den Verkehr konzentrierte.
„Nein. Würde ich nicht.", gestand er dann. „Zumindest noch nicht jetzt.", fügte er dann noch leiser hinzu.
„Das hab ich gehört.", brummte ich.
„Sieh es als Kompliment." Mit einer Hand fischte er eine Packung Zigaretten aus seiner Hosentasche und hielt sie mir hin. „Mach mal an."
Böse blickte ich erst zu dem Inhalt seiner Hand, dann zu ihm.
„Nö.", entschied ich dann.
Drohend verfinsterte sich sein Gesicht ein wenig. „Das Thema hatten wir doch schon... Du tust was ich sage, sonst..."
„Sonst werde ich die Konsequenzen zu spüren bekommen! Ich weiß.", unterbrach ich ihn und verdrehte die Augen.
„Und warum fällt es dir dann so schwer, dich zu fügen?"
„Es fällt mir nicht schwer.", behauptete ich einfach, nahm trotzdem die Packung Zigaretten, die er mir entgegenhielt und angelte eine heraus.
Verwundert blickte er mich an.
„Ich will es nur einfach nicht.", erklärte ich dann, beugte mich zu ihm rüber, steckte ihm das runde Ding zwischen die Lippen und hielt das brennende Feuerzeug daran.
Das komische Lächeln auf Francescos Lippen, übersah ich die nächsten Kilometer einfach großzügig.
Schweigend fuhren wir durch die Dunkelheit und ich würde mich am liebsten für meine Dummheit ohrfeigen.
Warum, zum Teufel, war ich nur in dieses Auto gestiegen?
Das hier war definitiv nicht der Weg nach Hause.

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