Kapitel 5 - Neues Auto = Neues Ego

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Ich seufzte. "So langsam fange ich an zu verstehen."
Tino lächelte matt.
"Wahrscheinlich hätte ich in deiner Situation nicht mal anders gehandelt.", gestand ich und fuhr mir durch die Haare.
"Wenn ich eine andere Möglichkeit gehabt hätte, hätte ich sie sofort ergriffen, das kannst du mir glauben.", schnaubte er und stütze seinen Kopf auf der Handfläche auf.
"59.000 Euro sind schon eine heftige Summe.", meinte ich und dachte einen kleinen Moment darüber nach, was ich wohl machen würde, wenn ich so viele Schulden hätte.
Ich konnte Tino verstehen. Warum er zugesagt hatte diese Botengänge zu machen. Ich konnte verstehen, dass er Angst hatte das Restaurant als insolvent zu melden. Die Schulden hätten ihn und seine Mutter aufgefressen und schließlich zerstört.
"Oh ja.", flüsterte mein bester Freund leise.
"Aber warum hast du denn nicht früher etwas gesagt?", wollte ich wissen und musterte ihn streng.
Einige Minuten blieb er still und wandte sogar den Blick ab.
"Es war mir peinlich.", sagte er irgendwann leise und ich konnte von der Seite den Schmerz in seinen Augen sehen.
"Das Lokal ist alles was wir haben. Mama hätte es das Herz gebrochen, es aufzugeben oder verkaufen zu müssen. Es ist alles was uns von meinem Vater geblieben ist." Er zuckte mit den Schultern und ich sah, wie schwer es ihm fiel, diese Worte auszusprechen.
Tino war ein stolzer junger Mann, um nicht sogar zu behaupteten, er wäre manchmal ein wenig arrogant. Es fiel ihm schwer Schwächen zuzugeben oder Hilfe anzunehmen, aber noch schwerer war es für ihn über seinen Vater zu sprechen.
Als Tino gerade sieben geworden war, war sein Vater an einem Herzinfarkt ums Leben gekommen. Jede Hilfe kam zu spät.
An diesem Nachmittag war er draußen am Berg um seine Ernte zu überprüfen. Niemand sorgte sich, als er nach Einbruch der Dunkelheit noch nicht zuhause war. Es war ganz normal für ihn. Viele Nächte verbrachte er auf seinen Feldern um zu sehen, ob alles okay war.
Man fand ihn erst am nächsten Morgen. Ausgestreckt. Mit dem Gesicht auf den Erdboden gedrückt.
Starre Augen. Kalte Haut. Leblos. Tot.
Langsam legte ich meine Hand auf Tinos. "Ist schon okay.", erklärte ich sanft. "Ich denke ich kann nachvollziehen, warum du dieses Angebot angenommen hast."
Sein Augen waren feucht, als er mich ansah und schwach lächelte. "Danke."
Ich lächelte aufmunternd. "Für dich immer gerne."
Keine Sekunde später fand ich mich zwischen seinen großen Armen wieder.
Seine Brust an meinem Ohr und seine Nase tief in meinen Haaren vergraben.
Ich wusste, dass er genau das jetzt brauchte. Also hielt ich ihn einfach fest und ließ ihn dadurch wissen, dass ich immer für ihn da war. Dass ich ihn nicht verlassen würde.

"Was ist für heute geplant?", fragte ich, knapp eine Stunde später und kam aus dem Bad.
Tino saß auf meinem Bett und tippte auf seinem Handy herum. Auf seinem Gesicht lagen tiefe Falten.
"Alles okay?" Verwirrt blieb ich vor ihm stehen.
Ertappt blickte er mich an. "Hm?" Dann klärte sich sein Blick. "Achso ja, ja. Alles in Ordnung."
Skeptisch musterte ich ihn. "Bist du sicher?"
Er grinste. "Aber natürlich."
Noch nicht wirklich überzeugt, zog ich meine Augen zu Schlitzen zusammen.
Seufzend richtete er sich auf. "Mina. Vertrau mir."
Ich schüttelte nur den Kopf. "Tschuldige."
"Macht doch nichts.", schob er meine Bedenken beiseite.
"Was willst du denn heute machen?", wechselte er das Thema.
Ich strich mir durch die vom Duschen noch nassen Haare und ließ mich neben ihn fallen.
"Ich will ans Wasser.",  beschloss ich und konnte spüren wie mein Herz sich erwärmte bei dem Gedanken an Strand, Meer und Sonne.
"Dann also Baden.", erklärte Tino sich einverstanden.
Jubelnd begann ich meine Sachen zu packen und stand keine zehn Minuten später vor der Tür unseres Hauses.
Munter hakte ich mich bei dem Jungen neben mir unter und ließ mich quer durchs Dorf führen, während ich ihm ausführlich erzählte, wie es mit dem Schreiben momentan lief.
Bei seiner Mutter im Lokal machten wir einen kurzen Stop und frühstückten ausgiebig.
Wir mussten Alessia versprechen vor Einbruch der Dunkelheit zurück zu sein, bevor sie uns entließ.
"So und jetzt quetschen wir uns wieder gemeinsam in deinen uralten Fiat Punto.", überlegte ich laut, als wir auf dem Parkplatz ankamen.
Tino schnaubte nur und zog seinen Schlüsselbund aus der Hose. "Du hast ja keine Ahnung."
"Dann klär mich auf.", lachte ich und beobachtete wie er auf einen knallroten Alfa Romeo zusteuerte.
Die Blinker leuchteten kurz auf und Tino öffnete die Fahrertür. "Kommst du?"
Selbst von hier aus konnte ich sein breites selbstgefälliges Grinsen sehen.
Langsam ging ich zu ihm und stellte mich an die Beifahrertür. "Du hast noch 11.000 Euro Schulden, hast dir aber erstmal nen Alfa gegönnt?"
Sein Grinsen wurde noch breiter. "Er war ein Geschenk und jetzt steig endlich ein."
Etwas perplex ließ ich mich auf den Sitz fallen und starrte meinen Freund an, als er den Motor starrte und gekonnt aus der Parklücke fuhr.
"Ein Geschenk von wem?", wollte ich ernst wissen.
Tino zögerte.
"Okay. Ich denke ich weiß schon Bescheid.", lenkte ich kopfschüttelnd ein.
Das war doch nicht zu fassen!
"Ich hab ihn als Dankeschön nach meinem ersten Botengang bekommen." Stolz tätschelte er das Lenkrad. "Und seien wir mal ehrlich: Ist doch viel besser als mein alter Fiat."
Im Stillen musste ich ihm wohl Recht geben.
"Aber wieso nimmst so etwas an?", brauste ich auf und blickte ihn anklagend an.
Er zuckte nur mit den Schultern. "Warum denn nicht?"
"Warum denn nicht?", rief ich und gestikulierte wild mit den Händen. "WARUM DENN NICHT? Vielleicht weil dein Boss, wie du ihn nennst, ein MÖRDER ist. Oder weil er ein DROGENHÄNDLER ist. Ein Menschenhändler. VERDAMMT TINO! Der Kerl ist wahrscheinlich der meist gesuchteste Mann Europas!?" Entsetzt sah ich ihn an. "Und du nimmst seine Geschenke an?!"
"Es reicht jetzt!", schrie er und machte eine Vollbremsung.
Schmerzhaft wurde ich nach vorne geschleudert.
"Ich will nicht, dass du so über ihn redest." Wut und Entschlossenheit blitzten in seinen Augen auf und erschreckten mich. "Francesco ist ein guter Mann!"
Wütend verschränkte ich die Hände vor der Brust und blickte geradewegs aus der Windschutzscheibe.
"Wären er und sein Bruder nicht gewesen, hätten Ma und ich das Restaurant schon lange zu machen müssen. Verstehst du denn nicht, dass das Leben in das durch ihn geraten bin, so viel besser ist, als alles zuvor.", fragte er und ich konnte nur mühsam unterdrückten Zorn hören.
"Ich kann verstehen, dass du seine, oder ihre Hilfe angenommen hast.", lenkte ich leise ein. "Aber ich kann nicht verstehen, dass du einen Menschen wie ihn so... bewunderst."
Tino richtete sich auf und ich wurde immer kleiner in meinem Sitz.
Seine Augen leuchteten gefährlich.
Bevor er jedoch etwas sagen konnte, unterbrach ein lautes Hupen uns.
Erschreckt zuckten wir beide zusammen.
Tino fluchte laut auf Italienisch, als er endlich weiterfuhr.
"Ich denke es ist besser, wenn wir dieses Thema einfach nicht mehr ansprechen. Irgendwie sorgt das zwischen uns für Spannungen.", schlug er sanft vor, als wir ein paar Kilometer gefahren waren. Es ging immer weiter runter. Durch enge kleine Straßen. Auf der einen Seite war stets der Abgrund und auf der anderen befanden sich Felswände oder vereinzelt mal Wiesen oder Häuser.
"Nett formuliert.", meinte ich nur und schüttelte den Kopf.
"Mina.", sagte er mahnend und ich warf kapitulierend die Arme in die Luft. "Ist ja gut."
Wenige Zeit später, parkte er seinen Wagen in einer schmalen Seitenstraße, weit weg von den überfüllten Touristenplätzen.
Schweigend stiegen wir aus und machten uns auf den Weg ans Wasser.
Ich schaffte es jedoch nicht länger wütend auf ihn zu sein, denn eigentlich ging es mich ja auch gar nichts an.
"Genial.", seufzte ich, nachdem ich mein Handtuch auf einem der großen Felsen ausgebreitet hatte.
Diese waren hier nämlich überall verteilt und boten perfekte Plätze zum Sonnen. Die Wellen schwappten gegen den unteren Teil und überraschender Weise, war es heute relativ leer hier.
Touristen fand man hier so oder so kaum. Die kannten diesen abgelegenen Fleck nicht, stattdessen quetschten sie sich lieber mit dreißigtausend anderen Menschen an den überfüllten Kiesstrand.
Das Wasser dort war an manchen Tagen sogar braun und trüb, durch die vielen Massen.
Hier war alles friedlich.
Man konnte die Möwen kreischen hören. Das Wasser war klar und warm.
Kurz: Es war perfekt.
"Da gebe ich dir Recht.", stimmte Tino mir zu und zog sich das T-Shirt über den Kopf.
Seine Brust war trainiert und sein Bauch deutete einen kleinen Sixpack an.
Er hatte sich verändert. Ziemlich sogar. Warum fiel mir das erst jetzt auf?
Unauffällig musterte ich ihn, während er seinen Platz einrichtete.
Er stylte seine Haare anders und trug auch nicht mehr die zu großen, schlabbrigen Klamotten. Eine große Uhr prangte an seinem Handgelenk und glänzte unübersehbar in der Sonne.
Eines musste ich mir eingestehen. Tinos Selbstbewusstsein war mit seinem Einstieg in diese Gang ziemlich gewachsen.
"Mina?", riss er mich aus meinen Gedanken und mein Blick zuckte ertappt von seinem Körper zu seinem Gesicht.
"Alles in Ordnung?", fragte er grinsend. Er wusste ganz genau, warum mein Kopf einen rötlicheren Ton hatte als sonst.
"Ja!", antwortete ich schnell. Etwas zu schnell. "Ja, alles bestens."
Er lachte nur, während ich mich aus meiner Hose kämpfte und danach mein Top beiseite legte.
Danach nahm er sich alle Zeit der Welt und ließ seinen Blick über mich wandern und ich musste mir eingestehen, dass ich mich irgendwie seltsam dabei fühlte.
"Ich brauche jetzt ganz dringend eine Abkühlung.", meinte ich und strich mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
"Bin ich etwa so heiß, dass du schon Ausreden suchst um den Blick von diesem..." Er deutete mit seiner Hand auf seinen Bauch "...Traumkörper abwenden zu können."
"Pahh!", lachte ich nur. "Offenbar trainierst du nicht nur deinen Bauch sondern auch dein Ego."

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