Kapitel 7

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'Sei nie wie die Welt, sei wie ein Märchen, das sich selbst erzählt.'

Inzwischen war es 20 Uhr. Ich war zwar müde aber, ich wollte mich hier einmal umsehen. Vorsichtig richtete ich mich auf und stütze mich mit meinen Armen ab. Mein Kopf schmerzte immer noch, doch immerhin hatte die Blutung am Bauchbereich aufgehört. Gedemütigt von allem, schlenderte ich zu dem kleine Waschbecken in dem Zimmer. Ich hatte Augenringe, meine Locken hatten schon längst den Glanz verloren und meine vollen Lippen waren rissig und trocken. Seufzend legte ich mein Handy auf das Nachtisch neben meinem Bett und öffnete die gut geölte Zimmertür. Ich lief den Gang entlang, hörte noch wie meine Zimmertür ins Schloss fiel und konnte gut gelauntes Kindergekichere wahrnehmen. Die Zimmer waren nach Nummer angeordnet und als ich die Zimmernummer '340' las, fiel es mir wieder ein. Dieser Junge. Sollte ich anklopfen? Doch Dr. Cunningham hatte gesagt ich sollte mich fernhalten. Also ließ ich es lieber. Ich lief weiter, bis ich von hinten an gestupst wurde. Mit einer gekonnten Bewegung drehte ich mich um meine eigene Achse und sah ein wunderschönes kleines Mädchen, mit braunem Haar und glänzend blauen Augen vor mir stehen. Geschätzt sah sie aus wie fünf, jedoch machte ihr langes Haar sie wesentlich älter. In der einen Hand hielt sie einen Plüschhasen und trug ein rosarotes Kleidchen mit Spitzen. „Willst du mit mir spielen?“, fragte sie mit sanfter Stimme und presste ihr Kuscheltier gegen ihren Brustkorb. Langsam streckte sie ihre Hand nach meiner aus, wobei ich ihre freundlich entgegen nahm und sie mich in einen Raum voller Kinderspielzeug brachte. Einige andere Kinder befanden sich auch in diesem Raum, wo sie friedlich malten oder mit Lego-Steinen spielten. Das Mädchen führte mich zu einem kleinen Tisch, wo sie begann ein Haus in einem Walde dahinter, zu malen. Ich beobachtete jeden ihrer Züge mit dem Buntstift, bis sie wie aus dem Nichts fragte, warum ich eigentlich hier war. „Ich- ähhm-..“, stammelte ich und wusste nicht ganz ob ich es ihr erzählen sollte, „Ich habe Depressionen, laut meines Vaters und deswegen hat er mich hier reingesteckt.“ Ich ließ lieber die Details mit dem Tisch und den Splitter weg, wer weiß was sie denken könnte. Ohne gestört zu werden malte sie jedoch weiter. „So wie Logan!“, antwortete sie mehr zu sich wie zu mir. „Wer ist Logan?“ Abrupt hörte sie auf, auf das Blatt zu kritzeln und seufzte. Sie legte den Stift zur Seite, schnappte nach meiner Hand und zog mich raus auf den Flur. Stur stracks blieb sie vor einer großen Glastür stehen, die in den eingezäunten Garten, dieser Klinik führte. „Siehst du, das ist Logan!“, berichtete sie und zeigte mit dem Finger auf denselben Jungen, der damals im Türrahmen stand und mich beobachtete. Der Junge hatte weiße Kleidung an, saß alleine auf einer Bank und starrte ins Nichts. „Warum ist er hier?“, fragte ich vorsichtig und leise das kleine Mädchen, um sie nicht zu verängstigen. Ihr Druck um meine Hand wurde stärker und ich bemerkte ihre Angst. „Er hat Menschen getötet. Viele Menschen..“, ihre zittrige Stimme gab den Geist auf und sie schluchzte. Ich schluckte hart, wagte mich nicht mehr weiter zu fragen und schon zog sie mich durch die große Tür. Eigentlich nichts neues für mich oder? Ich meine Justin hat auch Menschen umgebracht? Der Wind kam uns entgegen, was sich an meiner Haut beruhigend anfühlte. Logan's Blicke lagen auf mir, was mir Gänsehaut bereitete. Wie lange muss ich hier nochmal bleiben? Das Mädchen zog mich zum Sandkasten, wo weitere Kinder beruhigend Sandburgen bauten. Logan war nicht der einzige in seinem Alter, der hier draußen saß. Eine Bank weiter saßen zwei weitere, wobei diese gemütlich aßen und tranken. Dieser Ort machte mir solche Angst. Ich setzte mich neben das Mädchen in den Sand und fing an wirre Kreise in den Sand zu malen. „Mrs. Firestone? Sind sie hier?“, suchte mich einer der Pfleger, indem er die Glastür - die in den Garten führte, aufriss und sich nach mir umsah. Mein Atem stockte von der plötzlichen Aktion und ich fuhr hoch. „Wir sehen uns später okay?“, wisperte ich gewandt an das Mädchen, dessen Namen ich noch nicht mal wusste. Sie nickte ohne mich auch nur anzusehen und ich lief zum Pfleger hinüber. „Sie erwartet Besuch.“, berichtete er mit gelangweilter Miene. Er war weiß wie jeder andere hier gekleidet, mit Ausnahme von mir. Schwarze verschwitzte Haare klebten ihm an der Stirn, wobei sein drei Tage Bart dies angenehm ausglichen. „Folgen sie mir!“, befahl er und lief voraus. In den Gängen nahm ich den Geruch von Desinfektion war, der sehr unangenehm in der Nase brannte. Der mittelgroße Mann führte mich in eine Empfangshalle, wo mehrere meines gleichen saßen und mit ihrem Besuch redeten. Der Mann winkte mich höflich in den Saal, bis er kehr machte und hinter mir verschwand. Suchend hielt ich Ausschau, bis ich Justin in der Menge wahrnahm. Meine Miene entspannte sich abrupt und wie in Trance lief ich auf ihn zu und fiel ihm in die Arme. Diese Aktion hätte ich nie im Leben von mir erwartet, aber das war dass mindeste was ich gerade brauchte. „Wohooh...“, brachte Justin überrascht hervor und erwiderte meine Umarmung. Als ich mich erleichtert von ihm löste, ließ ich mich auf den Stuhl gegenüber ihm fallen. „Na, wie geht's meiner Schlampe denn so?“, fragte er und hatte ein widerliches Grinsen im Gesicht, wobei ich schon bereit war es ihm heraus zu prügeln. Das ist jetzt nicht wirklich sein Ernst? „Du verarscht mich doch.“, stellte ich fest und ließ meinen Kopf auf die Holzplatte fallen. „Ich glaube eher weniger, dass ich gerne Späßchen mache.“ Ich sah von der Tischplatte hoch: „Nochmal zum Mitschreiben, ich bin weder deine noch sonst jemandem seine Schlampe!“, kochte es in mir. „Du hast immer noch nicht meine Frage beantwortet.“, wies er mich darauf hin und ignorierte meine Aussage. „Gut.“, log ich und lächelte ihn an. Höhnisch fing er an zu lachen und sah mir in meine verzweifelten Augen. „Du bist echt witzig!“ „Und du bist ein solches Arschloch.“, seufzte ich und stütze meinen Kopf mit dem Ellenbogen auf dem Tisch ab. „Ach man, warum hab ich dich nicht einfach damals abgeknallt, du bist so nervig..“, nörgelte er und zog seine Augenbrauen dabei zusammen. Ich grinste, weil ich sein Benehmen einfach nur amüsant fand und keine Kraft hatte mich auch nur annähernd darüber aufzuregen. „Ich stimme dir zu, du hättest mich echt einfach nur abknallen sollen, dann wäre ich hier nicht gelandet.“, wisperte ich, „Ich meine, den Jungen den wir im Wald gefunden haben, hast du ja auch abgeknallt. Wäre ja keine große Sache gewesen, dass gleiche mit mir und Kelsey zu tun.“ „Ich glaub die Pfleger da vorne haben es noch nicht mitbekommen, wen ich alles so umgelegt habe, könntest du es vielleicht noch einmal wiederholen?“, sah er mir mit finsterer Miene in die Augen. Gänsehaut lief mir über den Rücken: „Du holst mich hier raus und ich verrate dich nicht an die Polizei. Wie klingt das? Hm?“ „Du verarscht mich oder was? Weißt du wie schwer es ist hier überhaupt reinzukommen ohne abgesucht zu werden?“ „Ich glaube eher weniger, dass ich gerne Späßchen mache.“, benutze ich seine damalige Antwort als Konter, „Abgesehen davon, bist du mir das Schuldig! Wenn du schon als Auftragskiller arbeiten kannst, ist das ja wohl ein Klacks..“ Plötzlich ertönte ein Ohrenbetäubendes Geräusch - eine Klingel, die allen hier sagen sollte, dass die Besuchszeit zu Ende sei. Ich stand von meinem Stuhl auf und sah ihn Justin's wütendes Gesicht. „Ach ja, danke für deinen Besuch.“, meinte ich Ernst und lief aus dem Saal. Okay ehrlich gesagt wollte ich, dass auch nicht, aber ich möchte hier auch nicht die nächsten 10 Jahre verbringen, schon gar wenn ich raus kommen würde, würde mich sowieso niemand erwarten. Es tut mir Leid Justin! „Mit wem hast du da gerade geredet?“, wurde ich unaufgefordert angehalten. Erschrocken sah ich hoch. „Logan?“, mir verschlug es die Sprache. Was passiert jetzt? „Mit wem-“, er drückte mich gegen die Wand und presste seine Hand gegen meinen Hals, wobei sich seine Finger in mein Fleisch gruben, „-hast du da gerade geredet!“ Ich versuchte mich aus seinem Griff zu lösen, da mir die Luft zum Atmen ausging. Keuchend nach Luft sah ich ihm in die Augen und wisperte ein „Justin.“ hervor, wobei er seinen Griff löste, ich zu Boden flog und los hustete. Immer noch außer Atem, rieb ich mir meinen Hals entlang - an der Stelle, an der er seine Finger noch vor wenigen Sekunden in mein Fleisch bohrte und versuchte mich hinzustellen. Wo zum Teufel sind die Pfleger, wenn so was passiert?! Ich sah in Logan's erschrockenes Gesicht und versuchte meine Wut zu unterdrücken. „Was sollte das?“, bellte ich und ballte meine Hände zu Fäusten. „Er hat viele Menschen getötet, aber dass weißt du doch oder?“, fragte er, ohne einen einzigen Mienenzug. „So wie du oder was?“, spuckte ich und versuchte mich zu beherrschen nicht zu zu schlagen. Er seufzte höhnisch und sah enttäuscht zu Boden: „Natürlich glaubst auch du diese hirnlose Geschichte, wie konnte ich bloß dass übersehen?“, versuchte er Sarkasmus mit einzubringen und kratzte sich nachdenklich im Nacken. „Oh mein Gott... ich lebe hier echt mit Verrückten! Bitte bringt mich einer um!“, flehte ich, fuchtelte verwirrt mit meinem Armen in der Luft und drehte mich Stur Stracks in die Richtung meines Zimmers. „Hey-“, hörte ich es noch hinter mir her rufen, wobei ein grober Griff mich am Handgelenk packte, wieder zurück zog und mich in Logan's Gesicht sehen lies. Was mach ich bloß hier?! „-lass mich es dir Erklären. Bitte!“ Die grobe Aktionen von ihm, machten mir Angst. Wieder war ich kurz davor meine Nerven zu verlieren und völlig durchzudrehen. Ich merkte wie sich Tränen der Verzweiflung in mir versuchten, an die Oberfläche zu gelangen. Eine Träne lief meine Wange entlang, doch diese kam nicht weit, da ich sie instinktiv mit meinem Daumen wegstrich und mich aus seinem Griff löste. „Du hast sie doch nicht mehr alle!“, keuchte ich schniefend und lief die Gänge bis zu meinem Zimmer entlang, doch trotzdem konnte ich ihn vor sich hin Fluchen hören. Ich riss die Tür meines Zimmers auf und schlug sie Gewaltsam wieder zu. Weinend vergrub ich meine Hände in meinem Haar und ließ mich total übermüdet zu Boden fallen. Ich war einfach so wütend auf alles, auf meinen Vater, Justin, Dr. Cunningham und Logan... einfach auf alle! Warum muss alles immer schief laufen? Kann ich nicht auch mal eine Auszeit haben? Tränen der Angst, Wut und Enttäuschung bahnten sich einen Weg an die Oberfläche. Dass alles machte mich einfach nur kaputt. Irgendwann würde ich einfach in tausend Teile zerspringen und bevor mich meine Probleme von Innen auffressen - weil ich keine Vertrauensperson bei mir habe mit der ich darüber reden könnte, ließ ich sie lieber mit Gewalt aus. Schniefend und Müde stand ich vom Boden auf, stellte mich vor die große, neu gestrichene weiße Wand und begann darauf einzuschlagen. Schmerzhaftes Knacksen meiner Knöchel und das Schniefen meiner Nase war in meinem Raum zu hören. Ich hasse dich Dad, dank dir bin ich hier! „Ich bring dich um!“, entfuhr es meinem Mund. Immer weiter schlug und trat ich gegen die Wand, wo sich bald schon Blutspuren, meiner Hände sichtbar machten. Ich konnte mir in diesem Moment nichts anderes wünschen, wie einfach in den Arm genommen zu werden und gesagt zu bekommen, dass alles wieder gut werden würde - auch wenn es dies nicht würde. Knacksen meiner Fingerknöchel und der fließend spürbare Blutstrom - der aus ihnen strömte, brachte mich von meinem Depressionentrip wieder in die Realität. Erst jetzt bemerkte ich wie lange ich auf die Wand eingeschlagen hatte, denn sie war nicht mehr weiß, sondern ging jetzt in einen rötlichen Farbton über. Abgesehen davon war ich total außer Atem und setzte mich, im Rückwärtslaufen auf mein Bett. Meine Hände zitterten und Schweiß lief meiner Stirn entlang. Um mich zu beruhigen, sah ich meinem Blut zu, wie es Tropfenweise auf dem Boden aufkam und nochmals „verspritzte“. Plötzlich wurde meine Tür aufgerissen und zwei Pfleger kamen in das Zimmer gestürmt. Ich fuhr hoch, doch ehe ich mich versah kamen beide auf mich zu und drückten mich jeweils gegen das Bett, wobei der eine mir eine kleine Spritze in den Nacken jagte. Ich zappelte wie ein Kind herum und schrie nach Hilfe. Doch wer Bitteschön würde mir Helfen kommen? Genau, Niemand. Mein Körper erschlaffte abrupt und sie schleiften mich, mit festen Griffen, aus meinem Zimmer, wobei Totenstille in der Klinik handelte. Jugendliche und auch Kinder lugten aus ihren Zimmern, unter anderem auch Logan. Er stand im Türrahmen angelehnt mit verschränkten Armen vor der Brust und einem Blick der vermutlich aus Erfahrung sprach. Meine Sicht schliff vor mich hin, doch trotz dessen, konnte ich gut erkennen wie an meinen Händen, dass Blut hinunterlief und sie Blau anliefen. Im Moment war ich Immun gegen seelischen und auch körperlichen Schmerz, was in dieser Situation sehr gut im Vorteil war. Die beiden Pfleger schleiften mich durch die Gegend, vorbei an der Rezeption und an den Zimmern der Patienten. Mir war übel von dem Zeug und ich war schon im Überlegen ob ich dem einen der Pfleger auf die Schuhe kotzen sollte. Doch als sich eine der Türen, vor denen wir standen öffnete, hatte ich leider keine Gelegenheit mehr dazu. Wo wir den Raum betraten, wurde ich auf einer harten, nicht sehr gepolsterten Liege abgelegt. Nur verschwommen zarte Umrandungen der Personen, die sich um mich kümmerten waren zu sehen. Auf mich wurde eingeredet, aber von der Droge - die mir verabreicht wurde, war schwer auf dies zu Achten. Unruhig lag ich da und versuchte nicht einzuschlafen, doch dies fiel mir schwer, da ich nur das Beruhigende klopfen meines Herzens wahrnehmen konnte. Meine Augenlider wurden schwerer und schwerer bis ich dann endlich im Land der Träume ankam.

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Schwer atmend und total müde, schlug ich mühsam meine Augen auf. Die Sicht war verschwommen, wodurch ich ein paar mal mehr Blinzeln musste, bis sie klar wurde. Stöhnend vor Schmerz versuchte ich mich aufrecht hinzusetzen und erst einmal festzustellen, wo ich eigentlich war. „Scht...“, sprach eine Stimme auf mich ein und drückte mich zurück auf das Bett, „Du brauchst jetzt erst mal viel Ruhe.“ Schockiert sah ich hoch und bemerkte wie Dr. Cunningham neben mir auf einem Klappstuhl saß und mich behutsam musterte. Ich kniff meine Augen zu, da das Sonnenlicht zu hell war und in meinen Augen brannte. Langsam lies ich mich von Dr. Cunningham auf das Bett drücken und fragte mit gedämpfter Stimme, wo ich eigentlich sei. „In deinem Zimmer. Nach deinem Anfall, haben sie dich auf die Krankenstation gebracht und dich dort zusammengeflickt. Anschließend brachten sie dich dann zurück in dein Zimmer und erzählten mir was passiert war. Was zum Teufel ist denn in dich gefahren? Ging's dir nicht gut oder was?“ Verschlafen rieb ich mir meine Augen und ließ seine Worte erst auf mich wirken. „Ich.. ich weiß nicht ganz.“, nuschelte ich und behielt den wahren Grund für mich. „Das können wir uns wirklich nicht leisten, Madi! Es ist inzwischen viertel vor zehn. Um die Uhrzeit sollte ich eigentlich zu Hause bei meiner Familie sein und mich etwas Ausruhen, bevor ich dann morgen früh hierher gefahren wäre. Stattdessen werde ich angerufen und man berichtet mir, dass meine Patientin sich nicht unter Kontrolle halten konnte?“ Tut mir sehr leid, dass ich mein Leben hasse!

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