Kapitel 6

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'Der schrecklichste Alptraum ist die Wirklichkeit.'

Wie in Trance wandte ich mich an Justin und sah ihn panisch an. „Ist was?“, fragte er. Ich sah zu Boden und murmelte: „Ich muss hier raus!“ Panisch stand ich auf, lief zum Hinterausgang der Cafeteria und hörte noch ein: „Da.. das ist sie!“ hinter mir her rufen. Orientierungslos lief ich im Gang herum, bis ich plötzlich von einer Hand gepackt und in einen kleinen Raum gezogen wurde. Mir wurde der Mund zu gehalten, um zu verhindern das ich hätte Schreien können. Hinter mir wurde der Raum leise geschlossen und das Licht eingeschaltet. „Justin!“, seufzte ich erleichtert auf und versuchte mich zu beruhigen, nachdem er mich los gelassen hatte. „Wie bist du hier so schnell-“ „Scht... sie sind im Gang!“, flüsterte er mir zu, was mich abrupt verstummen ließ. Schwere Schritte kamen auf uns zu und man hörte Nuscheln im Gang, von dem man leider nichts verstand. Ein paar Sekunden vergingen, bis wieder Ruhe da Draußen einkehrte. Mir wurde schwindlig, was dazu führte, dass ich mich an der Wand neben mir Abstützen musste. Ich sank langsam zu Boden und versuchte gleichmäßig zu Atmen. Besorgt kniete Justin sich neben mich und legte eine Hand auf mein Knie. Erst jetzt bemerkte ich, dass wir in einem Putzraum waren, doch dies tat nicht lange zu Sache, als ich merkte was für Schmerzen sich in meinem Bauch breit machten. Ich streckte meine Beine aus und hob langsam und vorsichtig das Top hoch. Angst breitete sich in mir aus, als ich sah wie der Verband um meine Hüfte vollkommen durchblutet war. Scharf zog ich die Luft ein und ein qualvolles Stöhnen entfuhr meinen Lippen. Die Schmerzen wurden schlimmer. Warum muss mir dass alles immer passieren? „Wir müssen dich hier raus schaffen!“, säuselte Justin, stand auf und lugte vor die Tür. „Die Luft ist rein. Kannst du aufstehen?“, fragte er und kam auf mich zu. Ich wusste, dass ich nicht mehr fähig war zu laufen, die Schmerzen waren einfach zu stark um jetzt auch nur aufzustehen. Ich schüttelte den Kopf und antwortete: „Du hast die Ehre mich zu tragen!“ „Na toll.“ Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen und streckte meine Arme nach ihm aus. Behutsam nahm er mich hoch, wobei ich auf winselte und das Gesicht vor Schmerzen verzog. „Bring mich in die Notaufnahme!“ „Und wo ist die?“, fragte er als wir im Flur panisch herumspazierten. „Den Gang hinunter!“ Er tat was ihm gesagt wurde und nach nur ein paar Sekunden standen wir vor einem Raum, auf dem oberhalb des Türrahmens ein Schild hing, mit einer roten Aufschrift darauf 'Notaufnahme'. Noch bevor ich realisieren konnte was passiert war, legte Justin mich sanft auf einer der Liegen ab, die eine Krankenschwester geholt hatte. Ich stöhnte auf vor Schmerz und merkte wie Übelkeit mich überrollte. Ängstlich versuchte ich  wach zu bleiben und konnte noch erkennen wie ich in einen OP gebracht wurde und eine Ärztin zu ihrer Kollegen meinte: „Propofol verabreichen!“ Diese kam mit einer Spritze in der weiße Flüssigkeit enthalten war, auf mich zu, drückte meinen Arm gegen die Liege und führte die Nadel in meine Vene. Meine Wunde am Bauchbereich schmerzte und fing an zu pochen wie verrückt. Die Ärztin schob mir das Top bis zum Ansatz meiner Brüste hoch und nahm mir vorsichtig den durchbluteten Verband ab. Ich stöhnte vor Schmerz, wobei sie mein Leiden bemerkte. „Sie braucht mehr Propofol!“, kommandierte sie ihre Gehilfin, diese führte erneut die gleiche Substanz in meine Vene, was schien zu wirken, da sich mein Körper schon viel mehr entspannte und ich fast einschlief. Ich sah vorsichtig an mir herunter und betrachtete, schweren Atems die offene Wunde. Sie war viel größer als ich sie überhaupt in Erinnerung hatte. Blut strömte aus ihr. Es mussten sich anscheinend Fäden gelöst haben. Die Ärztin nahm eine Nadel mit einem langen Faden daran zur Hand, womit sie begann die Wunde erneut zu Nähen. Schmerzen erfüllten meinen Körper und Tränen stauten sich in meinen Augen. Mein Körper wölbte sich vor Schmerzen, was die Assistentin bemerkte und mich gegen die Liege drückte, so dass die Ärztin ihre letzten Stiche machen konnte. Wo war Justin, wenn ich gerade jemanden brauchte der mich beruhigt? Erst jetzt bemerkte ich, dass er gar nicht mitgekommen war oder besser gesagt nicht durfte. Was auch immer. Mir wurde schummrig, von den ganzen Antibiotika die sie mir verabreichten. Ich hatte schon überhaupt kein Gespür mehr in meinem Körper. Anschließend verband und desinfizierte die Ärztin erneut meine Wunde, dabei flossen Literweise Tränen über mein Gesicht vor Schmerzen. Es fühlte sich an, als ob jemand die ganze Zeit mit einem Messer auf dich einstechen würde. Als die Ärztin ihre Arbeit beendet hatte, wünschte sie mir noch alles Gute und verließ den Raum. Daraufhin wurde mir wiedereinmal eine Infusion angebracht, die mit einer durchsichtigen Flüssigkeit gefüllt war. Ich spürte jeden Tropfen in mich hinein fließen. Mein Körper war gespürt schwach und meine Hände zitterten vor Schmerzen. Tränen rollten haltlos über mein Gesicht. „Ihnen wird es gleich besser gehen, Mrs. Firestone! Ich habe Ihnen eine Infusion mit Schmerzmittel angebracht. Es wird ein paar Minuten dauern, bis es wirkt. Solange schicke ich Ihren Vater zu Ihnen, er hatte Sie gesucht, doch anscheinend nicht gefunden...“, meinte sie freundlich und lief hinüber zur Tür. „Bitte.. Nein das wird nicht nötig sein!“, versuchte ich so gut wie es ging mit ihr zu Reden. Doch leider zu spät. Ein großer Mann, mit schwarzem Haar einem Hemd und einer Jeans betrat den Raum und setzte sich auf den Stuhl neben mir, bevor die Gehilfin den Raum verließ. Oh nein, bitte nicht bleiben sie hier! Lassen sie mich nicht allein mit diesem Irren... Meine Sicht war verschwommen, dank dem Tränenschleier meiner Augen. Mir wurde kalt und das Zittern meiner Hände wurden schlimmer, wobei ich aufpassen musste das er es nicht mitbekam. „Na wie geht’s meiner Prinzessin?“ Ich versuchte die Tränen zurück zu halten und sah in die andere Richtung. „Hilf-“, ich wurde unterbrochen durch seine Hand die gegen meinen Mund gepresst wurde. Meine Stimme klang zerbrechlich und kaputt. „Scht... wir wollen doch keine Aufmerksamkeit erregen, hab ich Recht?“, säuselte er in mein Ohr, was mir Gänsehaut bereitete, wobei mein Atem unregelmäßiger wurde. „Fick dich!“, wisperte ich so gut dies noch möglich war und kam ihm mit meinem Gesicht bedrohlich nah. Er spottete höhnisch, packte mein Kinn und drückte mich gewaltsam gegen die OP Liege. „Ach... dir jetzt noch Schmerzen zu zufügen wäre nicht sehr schlau von mir oder? Bist ja eh am verrecken..“ Ich schluckte hart, ich war einfach nicht in der Lage zu reden. Meine Kehle war trocken und Schmerzen machten sich in mir breit. „Wenn ich draußen bin, komm ich und bringe dich um! Das ist ein Versprechen!“, ich sammelte all meine Kraft für diese letzten Worte und setzte ein fieses Grinsen auf. Seine Augen weiteten sich und er fing unaufgefordert an zu lachen, was ihn dazu trieb von dem Stuhl aufzustehen und sich um seine eigene Achse zu drehen. „Hah, du glaubst doch nicht wirklich das ich es soweit kommen lassen werde?“, spottete er. „Na, komm? Bring mich um! Versuch es.. Hier vor allen Leuten.“, das Schmerzmittel wirkte, denn ich kam endlich wieder zur Sprache, „Hast mir sowieso schon alles versaut.“ „Du hast es verdient.“, meinte er und stütze sich an der Liege ab. „Nein, hab ich nicht. Anstatt das ich in Therapie muss, müsstest du es. Du bist Alkoholiker und bist dir überhaupt nicht im klaren was du mir damit antust. Ich erleide Schmerzen die du in meinem Alter nicht zugefügt bekommen hast. Schon gar nicht von deinem eigenen Vater! Ich hasse dich dafür und werde es dir auch nie in meinem ganzen Leben verzeihen können. Ich hab vielleicht nicht genug Beweise um dich in die Hölle zu schicken, aber glaub mir, ich kriege das schon noch hin!“, spuckte ich und merkte wie mein Kopf an fing zu Pochen. Mir wurde das alles zu viel. „Weißt du, ich finde es total amüsant wie du mir hier versuchst Angst zu machen. Doch eigentlich müsstest du Angst haben, nicht ich komme in eine Psychiatrie mit anderen kranken Personen so wie dir. Ich kann tun und lassen was ich will, im Gegensatz zu dir. Du wirst die sein, die Abends nicht einschlafen kann und Medikamente bis zum Umfallen schlucken muss. Und soll ich dir noch was sagen? Verreck' dort einfach! Komm nicht zurück! Ich brauch dich nicht.“, das waren also seine letzten Worte, denn er drehte sich in Richtung Tür und verließ den Raum. Tränen sammelten sich in meinen Augen, was mich dazu brachte sie für einen kurzen Augenblick zu schließen. Warme, kühle Tränen rollten an der Seite meiner Wangen herunter. Er hatte Recht! Ich war diejenige, die Abends nicht einschlafen würde und tausendmal am Tag Medikamente schlucken müsste. Dabei habe ich doch noch nicht einmal psychische Probleme. Doch durch meinen Vater hatte ich sie vielleicht doch? Weiß nicht. Laut seufzend versuchte ich mich aufzusetzen. Schluchzend wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht und richtete mein Top. Ich war echt Tod Müde, ein bisschen Schlaf würde jetzt nicht Schaden. „Madam, alles okay bei Ihnen?“, fragte die Gehilfin vorsichtig, als ob sie den Streit mit meinem Vater mitbekommen hatte. Ich hatte noch nicht einmal bemerkt, dass sie reingekommen war: „Alles okay, mir geht’s gut!“, versicherte ich ihr und setzte ein gespieltes Lächeln auf. Sie nickte verständnisvoll, kam auf mich zu und entfernte die Infusionsnadel. „Danke.“, wisperte ich schwach und versuchte aufzustehen. Plötzlich wurde mir schwarz vor Augen und der ganze Schmerz fing von vorne an. Wie in Trance schloss ich meine Augen, hielt mit der einen Hand instinktiv meine Wunde am Bauch und stützte mich an der Liege ab. „Sind sie sicher, dass ich nicht jemanden holen soll?“, fragte die Assistentin freundlich und hielt mich an der Hüfte fest. „Nein, das geht schon!“, versuchte ich eher mir dies einzureden wie ihr. Ich atmete tief ein und wieder aus, bevor ich schwere Schritte auf die Tür zumachte und sie laut quietschend öffnete. Wo war eigentlich Justin? Ich blieb im Türrahmen stehen und sah mich suchen nach ihm um. Ein bisschen Ablenkung, wäre jetzt das mindeste was ich brauchte. Ich wollte unbedingt meinen Vater aus den Gedanken bekommen. Nichts. Er war einfach gegangen? Na toll. Seufzend machte ich mich auf den Weg zu meinem Zimmer, schloss die Tür und ließ mich stöhnend vor Schmerz auf mein Bett fallen. Mein Körper erschlaffte und jeder Muskel lockerte sich. Wie spät war es eigentlich? Abrupt setzte ich mich auf und sah auf die Uhr, die auf dem kleinen Nachttisch neben mir stand. 17:57 Uhr, war darauf eingeblendet. Meine Augen weiteten sich. Ich sprang trotz, der Schmerzen auf und machte mich auf den Weg zum Parkplatzes dieses örtlichen Krankenhauses. Sicherheitshalber tastete ich meine Hosentaschen ab, um mich zu vergewissern, dass ich mein Handy bei mir hatte. Suchend sah ich mich nach Dr. Cunningham auf dem großen Parkplatz des Krankenhauses um, bis ich fündig wurde und er lässig an seinem grauen Mercedes lehnte. Seufzened lief ich auf ihn zu, wobei er mir die Tür der Rückbank aufhielt und ich mit einem dankenden Lächeln einstieg. Er drehte den Schlüssel im Zündloch um, sodass der Motor aufheulte und er vom Parkplatz fuhr. Ich traute mich nicht etwas zu sagen und blieb daher still. „Wie geht es dir denn so? Hab gehört dein Vater hat dich besucht?“, fragte er und fuhr Links in eine Kurve. „Gut.“, log ich und versuchte zu lächeln, da er durch den Rückspiegel mit mir Augenkontakt hielt. Ich versuchte seinen Blicken auszuweichen und schaute weiterhin aus dem Fenster, bis mir ein großes Gläsernes Gebäude in den Blickwinkel fiel. Gänsehaut durchfuhr mich, als der Wagen auf dem Parkplatz parkte und ich ausstieg. Ich betrachtete das Gebäude und lief mit Dr. Cunningham zum Eingang. Freundlich hielt er mir Wiedermals die Tür auf, wobei ich die Gelegenheit ergriff und ins Gebäude hinein huschte. Wir liefen Richtung Rezeption, wo Dr. Cunningham etwas mit einer Frau besprach, wobei ich ihr keine Beachtung schenkte, sondern mich umsah. Das Gebäude war groß, dies bekam man auch drinnen zu spüren. Man konnte Kindergekichere in den Gängen wahr nehmen, was mich entspannen ließ. Ich lief den Gang entlang, doch ich blieb abrupt stehen als ich bemerkte wie ich beobachtet wurde. Ein Junge meines Alters stand an einem Türrahmen gelehnt und musterte mich mit einem Blick der mich Schaudern ließ, wodurch er keine einzige Miene dabei verzog. Pechschwarzes Haar hing ihm schlaff im Gesicht, doch dies wurde gut von seinen blauen Augen ausgeglichen. Wie lange er wohl schon hier war? Plötzlich berührte mich eine Hand an meiner Taille, was mich wiederum aus meinem Tagtraum zurück in die Realität brachte. Erschrocken sah ich an dem Arm hoch und sah wie Dr. Cunningham total überfordert auf den Zettel starte, der ihm gegeben worden war, seine Hand zurück zog und total verwirrt den Gang nach meinem zukünftigen Zimmer absuchte. Ich wandte mich von dem Blick des Jungens ab und folgte dem Psychiater auf Schritt und Tritt. „343! Das ist es!“, triumphierte er und öffnete die Tür. Eine kühle Brise kam mir entgegen, bevor ich das Zimmer betrat und mich umsah. Es war ordentlich eingerichtet, doch trotz dessen könnte ich mir nicht vorstellen hier für einiger Zeit zu leben. Ich möchte sterben! „Also...“, begann er und sah - nachdem er die Tür geschlossen hatte, wieder auf den Zettel, „Bettruhe ist hier ab 22 Uhr und Frühstück gibt es ab 8 Uhr im Essensaal. Duschen sind im Vorderbereich und über den Rest wirst du bestimmt noch informiert. Unsere Sitzungen fangen nächsten Montag an, also übermorgen. Ich werde dich dann hier in deinem Zimmer aufsuchen.“ Abgesehen davon, dass ich ihm nicht zugehört hatte, nickte ich einfach und setzte mich vorsichtig auf dem Bett ab. „Ich werde morgen Früh nach dir sehen, doch jetzt muss ich erst einmal gehen. Meine Familie erwartete mich schon. Ich wünsche dir gute Besserung und ach ja, Madi...“, setzte er an und kratzte sich überlegend an seinem Bart, jedoch der Blick auf den Boden gerichtet, „Halte dich von ihm fern!“ Sein Blick war warnend, da Ungewissheit, Angst und Besorgnis sich darin widerspiegelten. Mein Herz klopfte wie wild in meiner Brust. „Wen meinen Sie?“ „Ich meine den Jungen in Zimmer 340! Wenn du hier raus willst, halte dich einfach von ihm fern. Er ist kein guter Umgang.“ Schmerzen machten sich wieder in mir breit und die Angst umschlang meinen Körper. Eingeschüchtert von dieser Information versuchte ich mich vorsichtig auf das Bett zu legen, legte meinen Kopf auf meinen Händen ab und sah auf die kahl weiße Wand gegenüber mir. „Wir sehen uns dann Morgen!“, meinte er und verließ den Raum. Was wohl dieser Junge getan hatte das er hier gelandet war?

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