QUATRO

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Obwohl ich geschätzt erst so zwei Stunden geschlafen hatte, wachte ich pünktlich bei Sonnenaufgang auf. Ich verfluchte mit zusammengekniffenen Augen meine Mutter. Sie mich mit ihren unmenschlichen Erziehungsmethoden fürs Leben gestraft! Was war so toll dran an früh aufstehen? Ich blieb einfach im Bett liegen und versuchte mit Lesen wieder einzuschlafen. Leider riss mich das endgültig aus meiner Schläfrigkeit.

Als ich halbwegs dazu bereit war mich unter Menschen zu begeben, schlurfte ich in die Küche. Doch zuvor stiess ich wieder gegen unzählige Hindernisse, die empfindlich in die bereits vorhandenen blauen Flecken stiessen. Und das obwohl ich doch das Licht angeschaltet hatte. Vielleicht schlief ich ja doch noch ein bisschen.

Nonna werkelte schon in der Küche und es roch nach Kaffee. Ich setzte mich an den Tisch und murmelte ein Gutenmorgen. Nonna, die taube Nuss hörte natürlich nichts, aber hatte mich bemerkt und drehte sich zu mir um. „Und wie war es gestern?", erkundigte sie sich neugierig. „Es war schön", antwortete ich und griff nach der Zeitung die auf dem Tisch lag. „Möchtest du sonst noch was? Rührei? Pfannkuchen?", fragte sie mich weiter. Um der Antwort zu entfliehen schnappte ich mir ein Brötchen und stopfte es mir in den Mund. Geschäftig kaute ich drauf rum und blickte interessiert auf die Zeitung vor mir. Mir war es wirklich unangenehm so verwöhnt und bekocht zu werden. Zuhause sorgte ich für mich selbst, wie um mein Frühstück oder sonstigen Kram. Hier wollte Nonna alles für mich erledigen. „Nein, das ist gut so", erwiderte ich deshalb, nachdem ich den Brocken hinuntergeschluckt hatte. Interessiert überflog ich die Artikel und biss dazwischen weiter in mein Brot. Das meiste war langweiliges, politisches Zeugs, das ich meistens gar nicht verstand. Es kümmerte mich auch nicht welcher Politiker wann in ein Fettnäpfchen getreten war und welche Partei wieder eine Veranstaltung gegeben hat.

Doch dann, so zwischen dem zweiten und dritten Gebäck, das mir Nonna aufdrängte, erregte ein grosser Zeitungsartikel meine Aufmerksamkeit. Fett stand da «Baby-Killer brutaler als alte Bosse». Aufmerksam versuchte ich den Zeitungsartikel zu entschlüsseln. Es ging darum, dass in Neapel, am Festland, junge Mafiabosse durchdrehten. Jung, war angemerkt nicht etwa 20 oder so, sondern sechzehn bis achtzehnjährige. Wow, was für eine Laufbahn, kaum das erste Mal rasiert und schon Ladenbesitzer bedrohen. Nicht übel. Kopfschüttelnd konzentrierte ich mich wieder auf den Text.

Drogen nahmen sie noch! Vollgedröhnt setzten sie sich dann auf Mofas und schoss in den nächtlichen Gassen um sich. Weil die Polizei in Neapel ganze Arbeit geleistet hatte, standen die Junkies ohne Führung oder Ahnung der älteren Mafiosi da. Sie hätten keine Ahnung wie sie sich ihre Macht zurückkrallen sollten und machten dann solchen Blödsinn. Aww, mir taten die Kerle ja sowas von Leid! Nicht wirklich. Aber warum griff die Polizei nicht ein? Hatten die armen Waisen schon verstanden wie man Bullen bestach?

In Neapel wurde die Mafia Camorra genannt. Hier in Sizilien wurde sie Cosa Nostra genannt. Was übersetzt unsere Sache bedeutete. Bei mir zuhause hatte ich alle Bücher, die nur im entferntesten damit zu tun hatten, verschlungen und aufgesaugt wie ein Schwamm.

Sizilien war die Heimat der europäischen Mafia. Hier waren die Leute als erste darauf gekommen sich selbst zusammenzuschliessen. Ein Geheimbund sollte sie früher vor allem gewesen sein. Von mächtigen Persönlichkeiten und Familien um noch mehr Macht zu bekommen.

Mein Nonno kam um die Ecke geschlendert. «Buongiorno! «, grüsste er mich fröhlich. «Buongiorno», murmelte ich scheu. Zögerlich zeigte ich auf den Artikel. «Gibt es das», ich wedelte mit der Hand herum, «Hier? « Mit zusammengezogenen Augenbrauen zog er den Text zu sich und setzte sich mir gegenüber. Gespannt wartete ich auf seine Antwort.

Ruppig legte er ihn zur Seite. «Das ist Blödsinn! Die Mafia ist hier nicht mehr! Was dort oben passiert ist eine Schande für Italien. Sizilien kann nichts für was die dort treiben. Immer schieben sie die Schuld auf uns! « Ich nickte nur erschrocken über seinen Ausbruch und liess es dabei beibleiben. Die Hochburg der Mafia soll verlassen sein? In seiner Vorstellung vielleicht. Warum hat ihn das so aufgeregt? Konnte ihm doch am Arsch vorbeigehen was mit der Mafia war. Jaja, die Ehre von Italien, was die anderen über seine Heimat dachten. Er musste sie dadurch ziemlich im Stolz verletzt fühlen.

Das und auch einfach der alleinige Gedanken an eine Mafia hier liess mich nicht mehr los. Waren die illegalen Müllentsorger von gestern auch von der Mafia gewesen? Gestern hatte ich nicht mehr darüber nachgedacht, doch jetzt spukte der Gedanke unablässig in meinen Kopf herum.

Wo hatte sich die Mafia wohl versteckt? Wo hatten die Capos, die Oberhäupter, ihre Villen. Wo wickelten ihre Handlanger ihre Geschäfte ab? Die verschiedenen, realen Gewerbe der Mafia wurden in den Büchern nie so genau genannt. Bloss Drogen und Waffenhandel, manchmal auch Menschenhandel. Aber das konnte doch nicht alles sein! Wie langweilig wäre denn das?

Nonno hatte sich in meiner Träumerei währenddessen die Zeitung gekrallt und ist aus dem Zimmer gerauscht.

Ich hätte doch eigentlich bestürzt sein sollen, kriminelle Taten wurde im grossen Stil im Versteckten verübt, aber ich war aufgeregt. Wahrscheinlich rund um den Block und im jedem Viertel hier geschahen solche Dinge! Und gab es auch so Romanzen zwischen Töchtern von Antimafia-Richtern und Nachwuchs-Mafiabossen?

Verträumt dachte ich über so eine aufregende Beziehung nach als meine Nonna rief. „Hä?", rief ich verwirrt zurück. „Un' amica!", brüllte sie schon fast. Sie war richtig aus dem Häuschen. Was für eine Freundin? Neugierig kam ich zu ihr zu der Tür. Im Treppenhaus stand Cordelia und strahlte mich an. Ich vergewisserte mich, dass Nonna nicht mehr hinter mir stand und nachspionierte, doch sie war nirgends zu sehen. Misstrauisch fragte ich dann: „Warum bist du hier?" Sie schien ja nett zu sein, doch nach gestern war ich immer noch ein wenig eingeschnappt. „Damit wir etwas zusammen machen! Gabriele hat ja gesagt, dass du ausser ihm niemanden hier in deinem Alter kennst. Deswegen, damit du nicht so einsam hab' ich gedacht, ich komme dich besuchen!", sprudelte sie hervor. „Und was willst du?" „Wir gehen an den Strand! Gabriele hat ja gesagt, dass du's ja nicht kannst aber du sprichst schon sehr gut!", lobte sie mich und wollte bei mir einhaken, doch ich wehrte schnell genug ab. „Warte, ich muss mich zuerst anziehen und mein Zeug packen", erklärte ich ihr. „Na gut, dann warte ich halt", sagte sie leichthin und betrat die Wohnung. Ich schloss die Tür hinter ihr und machte mich in mein Zimmer auf, um mich umzuziehen.

Ich trat in das Wohnzimmer, wo sie auf dem Sofa sass und gebannt auf ihr Handy starrte. „Mit wem schreibst du?", fragte ich sie. Erschrocken blickte sie auf. „Ach nur mit Giuliano", antwortete sie und stopfte ihr Handy schnell in ihre Umhängetasche. Also lief da doch etwas! Selbstzufrieden betrachtete ich sie, bis sie zu mir geeilt ist. Ich hatte halt ein gutes Gespür bei Leuten. „Gehen wir? Sonst sind alle guten Plätze schon vergeben und ich möchte nicht allzu weit vom Wasser liegen." „Klar" Diesmal hatte ich auch einen Schlüssel. Und musste meine Nonni dann nicht stören, falls ich mal wieder mitten in der Nacht zurückkam.

Cordelia kannte einen kürzeren Weg als ich, abwesend folgte ich ihr. Mit den Gedanken war ich immer noch bei der Mafia, als wir den Strand erreichten und Cordelia zielstrebig durch die Leute hindurchging. Stolpernd lief ich ihr hinter her und bemerkte nur am Rand wie sich s ziemlich rücksichtslos einen Platz suchte. Sie wollte halt einen möglichst nahe am Wasser.

Zwischen einer lärmenden Familie und einem alten Ehepaar hatte sie schliesslich genügend freien Platz gefunden. Sie nahm das Tuch aus ihrer Tasche und schmiss beides demonstrativ auf den Boden. Dann zog sie sich ihr Kleidchen über den Kopf und warf es ebenfalls hin. Ich nahm meine Sonnencreme raus und fing mich an einzucremen. Ungeduldig wartete sie auf mich als sie jemand anrief. Verblüfft kramte sie nach ihrem Handy und nahm ab. „Pronto?" Mit zusammengezogenen Augenbrauen entfernte sie sich und begann zu diskutieren. Ich sah ihr kurz zu, dann cremte ich mich weiter ein. Zum Glücke war sie jetzt beschäftigt, sie machte mich ganz nervös, wenn sie so ungeduldig herumzappelte.

Als mir nur noch mein Rücken fehlte, trat sie zumir und funkelte mich aufgeregt an. „Rate mal wessen Tante eine Reise auf diedrei Inseln vor Trapani geschenkt hat?", fragte sie grinsend. Mir schwanteÜbles. „Die deiner Eltern und du hast ein freies Haus?", versuchte ich michblöd zu stellen. „Nein, du Dummerchen! Meine natürlich! Und du wirst michbegleiten!", erwiderte sie lachend. Schockiert sah ich sie an. Ich hatte es jageahnt. Aber ausgesprochen, hörte es sich noch bescheuerter an. „WAS? Du kennstmich ja gar nicht und du schenkst mir einfach so eine Reise?" „Mit wem sollteich sonst gehen? Mit einem von den Jungs? Nie im Leben. Und ausserdem sollteich dann meine Tante auch noch besuchen und wenn ich eine Freundin mitbringen,muss ich bestimmt nicht so lange bei ihr herumhängen. Ist doch super!",quatschte sie mich einfach zu Tode, damit ich überhaupt nichts erwidern konnte.Ich seufzte einmal laut und reichte ihr wortlos die Sonnencreme und drehte ihrden Rücken zu. Lachend nahm sie die Tube und fing schon davon zu schwärmen.„Das wird soooo toll werden, glaub mir!"

Ein Sommer in der HeimatWo Geschichten leben. Entdecke jetzt