Leid und Trauer

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Aschenhaar kauerte sich ganz klein zusammen und legte die Ohren an. Er wollte nicht hören, was Schattenstern vorhatte. Er wollte nichts hören, gar nichts.

Am liebsten wäre ich jetzt taub, dachte er und wollte die Augen schließen, doch er hatte Angst. Wenn er jetzt die Augen zu tat, würde Krallenstern wiederkommen und ihm sagen, dass der Clan wichtiger war als das Blut.Oh Leuchtflügel. Wenn du nur hier wärst. Du könntest mir einen guten Ratschlag geben.

Der graue Kater stellte wachsam die Ohren auf, als seine Schwester den Bau betrat. Schattenstern hatte ein Kaninchen in ihrem Maul, das sie nun vor Aschenhaar ablegte.

»Hier«, miaute sie sanft und schob ihm die Frischbeute zu. »Du musst etwas essen, wenn du bei Kräften bleiben möchtest. Wir werden bald aufbrechen und können es uns nicht leisten, eine schwache Katze mitzunehmen. Die Gruppe ist so schnell wie das langsamste Mitglied. Aschenhaar, wir sind jetzt der WindClan. Wir müssen zusammenhalten.«

Der graue Kater sah kurz zu der schwarzen Kätzin und starrte dann das Kaninchen an. Es spricht nichts dagegen, wenn ich es probiere. Aber dann erwartet mich eine noch längere Zeit des Leidens. Warum muss ich mich ausgerechnet zwischen dem FeuerClan und meiner Schwester entscheiden.

Schattenstern schob das Kaninchen noch etwas weiter zu ihm hin, ließ sich dann auf dem weichen, mit Moos gepolsterten Nest neben ihm nieder und schmiegte sich an ihn.

»Ich weiß, wie sehr du wegen Leuchtflügel leidest«, erklärte sie mitfühlend. »Doch das Leben geht weiter. Du wirst sie doch wiedersehen. Im SternenClan.«Bei ihren letzten Worten legte sich ein Schatten der Trauer über die blauen Augen der Anführerin. Es war, als wüsste sie etwas, wagte jedoch nicht, es ihm zu sagen.

»Wenn ich mein ganzes Leben mit dieser Trauer leben muss, was nützt es mir dann noch?«, flüsterte Aschenhaar etwas zu laut, denn seine Schwester hatte es gehört.

Schattenstern schaute den grauen Kater erschrocken an. »Du hast mich. Du hast deine neuen Clan-Gefährten, die nicht mehr nach den Gesetzen des Windes leben. Was willst du mehr? Du bist noch jung. Du wirst eine neue Liebe finden.«Wieder legte sich Trauer auf ihre Augen. »Ich habe mich wohl auch geirrt, als ich mit Krallenmond zusammen sein wollte. So sehr kann man sich täuschen.«

Aschenhaar wollte gerade etwas erwidern, als fünf kleine Kugeln in den großen Bau rollten und am Boden wild hin und her kugelten. Grüne Moosfetzen flogen durch die Luft und einer von ihnen landete genau auf der Nase des grauen Katers. Dieser schnippte das Moos geschickt mit der Schwanzspitze herunter.

Junge sind neues Leben, überlegte Aschenhaar. Leuchtflügel, warum nur musstest du sterben. Du hast meine Jungen erwartet. Ich hätte sie aufgezogen und geliebt. Ich wäre Vater geworden.Er schaute Schattenstern aus dem Augenwinkel etwas neidisch an. Sie hatte das Glück, vier gesunde Junge aufziehen zu können. Gerade beugte sie sich über Nebeljunges und flüsterte ihm etwas ins Ohr, woraufhin der kleine Kater halb gehend halb stolpernd auf Aschenhaar zukam.

»Mama hat gesagt, dass du traurig bist«, ertönte seine glockenhelle Stimme, als er sich direkt vor dem älteren Kater hinhockte. »Ich soll dich trösten. Guck mal.« Nebeljunges streckte eine seiner Pfoten aus und legte sie auf Aschenhaars Schnauze. »Wir haben fast die gleiche Fellfarbe. Ich bin aber etwas dunkler.«

Aschenhaar schnurrte belustigt. Er könnte mein Sohn sein. So voller Lebensfreude und Energie.

Nebeljunges schaute den anderen Kater fröhlich an und sprang dann auf. »Komm, spiel mit uns!«

»Ich weiß nicht. Ich bin etwas müde«, meinte er.

In dem Moment kamen die restlichen vier Jungen zu ihm und fingen ebenfalls an zu betteln.

»Komm schon, Aschenhaar!«, rief Weises Reh begeistert und rannte im Kreis um den grauen Kater herum, während Funkenjunges auf seinen Rücken sprang und darauf herumtrampelte.

»Ja! Los! Ein Spiel!«, forderte der kleine, dunkelbraune Kater.

Aschenhaar sah hilfesuchend zu Schattenstern, doch die schnurrte nur belustigt. »So, jetzt fühlst du dich wie ein Vater. Spiel doch etwas mit den Kleinen. Und nimm dir ein Beispiel an ihnen: Auch sie haben vieles in ihrem Leben verloren und sind dennoch glücklich.«Die Anführerin verließ den Bau und ließ ihren Bruder mit den Jungen allein.

»Ist ja schon gut«, seufzte der graue Kater und rappelte sich auf, bevor Sprenkeljunges anfangen konnte, an seinem Ohr zu knabbern.

»Du siehst aber nicht glücklich aus!«, widersprach Dunkeljunges, der so etwas wie der Anführer der kleinen Gruppe zu sein schien, denn die anderen vier Jungen versammelten sich um ihn, sobald Aschenhaar sich erhoben hatte.

»Genau!«, stimmte Sprenkeljunges ihrem Bruder zu. »Um ein Spiel zu spielen, muss man fröhlich sein!«

Fröhlich sein..., überlegte der graue Kater. So lange habe ich gelitten. Da kann ich doch auch etwas Spaß haben und fröhlich sein.

Er rollte etwas Moos zu einer Kugel zusammen und warf sie hoch, woraufhin alle fünf Jungen hochsprangen und versuchten, sie zu fangen. Dabei purzelten sie übereinander und jagten sich gegenseitig von dem Moosball weg, um ihn zu bekommen.

So muss es sich anfühlen, ein Vater zu sein. Leuchtflügel, ich hoffe, du bist stolz auf mich. Stolz auf deinen Gefährten. Ich hoffe, du kannst mich hören. Tief in Gedanken versunken schloss Aschenhaar die Augen, bereute es jedoch sogleich wieder.

Ihn umfing tiefe Dunkelheit und die Stimme von Krallenstern drang an sein Ohr: »Clan vor Blut. Entscheide dich für die richtige Seite und deine Belohnung wird groß sein. Unglaublich groß.«

Erschrocken öffnete der Kater die Augen wieder. Wenn das so weitergeht, werde ich nie in Ruhe und Frieden leben können. Wenn ich doch nur eine Nacht durchschlafen könnte. Ohne diese Albträume. Ohne Krallenstern.

Warrior Cats - Dunkle SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt