Kämpfer und Wolf

2.1K 161 86
                                    

Die Nacht war eingebrochen. Eine Nacht ohne Sterne am Himmel. Der Mond war nur noch als schmaler, silberner Streifen zwischen den Baumkronen zu sehen. Voller Stolz blickte Aschenhaar hinter sich. Krallenmond, Rußfeder und Holzglut folgten ihm auf dem Weg zu dem vorläufigen Lager des WasserClans. Gleich nach seiner Rückkehr von Schattenstern hatte Feuerstern ihm den Auftrag gegeben, schon jetzt Eispfote und Taupfote zu holen. Die beiden Schülerinnen würden sich so besser in den FeuerClan einfügen, sollte er Wasserstern sagen.

Ein Schnurren stieg in seiner Kehle auf, das er aber gleich wieder unterdrückte. Die beiden jüngeren Töchter des WasserClan- Anführers würden ihnen neues Blut bringen. Selbst Feuerstern wusste, dass der FeuerClan nur weiterleben konnte, wenn es Kätzinnen gab, die Junge bekommen konnten. Und Sonnenblume war die einzige, die sich nicht diesen Fuchsherzen seiner Schwester angeschlossen hatte.

Aschenhaar dachte an letzte Nacht zurück. Die Nacht vor dem Angriff auf den Clan seiner Schwester. Schon da hatte Feuerstern mit der Prozedur für Sonnenblume begonnen. ›Kätzinnen sind zu nichts gut. Sie dürfen nur die Befehle ihres Gefährten ausführen.‹ Das erste Gesetz der Winde und der eine Grund dafür, dass Sonnenblume sich nicht wehren durfte. Der andere Grund war, dass Rußfeder sie verstoßen hatte und ihr nun der Schutz eines Gefährten vor anderen Katern fehlte. Jeder konnte mit ihr tun, was er wollte.

Letzte Nacht hatte Rußfeder sich ihrer bemächtigt. Aschenhaar fuhr ein kalter Schauer den Rücken hinunter. Nein, er würde so etwas niemals tun. Nicht um alles in der Welt. Er dachte an Leuchtflügel. Sie hatte ihn verlassen. Einfach so. Schattenstern hätte sie retten können! Doch das hat sie nicht getan.

»Was ist los? Warum gehst du nicht weiter?« Rußfeders Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er stehen geblieben war.

»Wir sind bald da«, antwortete er schnell und der schwarze Kater legte die Ohren flach an.

»Warum gehst du nicht weiter? Hast du Schiss, in ein Lager voller WasserClan- Katzen zu platzen, die uns sofort angreifen könnten?«

»Wir kommen mit friedlicher Absicht«, entgegnete Aschenhaar ruhig.

»Aber wenn Wasserstern sich weigert, uns seine Töchter zu geben, sollen wir angreifen«, knurrte Rußfeder. »Und nur die Mutigsten von uns bekommen Eispfote und Taupfote als Gefährtin.«

»Warum hast du Sonnenblume dann verstoßen, wenn du trotzdem eine Gefährtin haben möchtest?« Der graue Kämpfer legte den Kopf schief.

Der schwarze Kater fauchte gereizt und ließ die Muskeln unter seinem Fell spielen. »Ich führte aus, was man mir befohlen hat! Und jetzt geh weiter! Es muss doch einen Grund haben, warum Feuerstern dich, einen nutzlosen doppelten Verräter zu dem Anführer unserer Patrouille gemacht hat!«

Rußfeder rempelte ihn grob an, woraufhin Aschenhaar wütend die Augen zu Schlitzen verengte. Er fuhr seine Krallen aus und sah, wie Holzgluts Augen gierig aufleuchteten, während Krallenmond völlig gelassen blieb.

»Sag das nochmal!«, knurrte er den schwarzen Kämpfer an.

»Nutzloser doppelter Verräter!«, schleuderte Rußfeder ihm entgegen. »Wie konnte Feuerstern dich überhaupt wieder aufnehmen? Du könntest ihn jeden Moment wieder verraten!«

Aschenhaar heulte vor Wut auf und warf sich auf Feuersterns Stellvertreter. Seine Krallen fuhren ihm über die Schnauze und hinterließen rote Striemen. Er schlug seine Zähne in den Nacken des Katers und biss zu, als würde er eine Beute erlegen. Der Geschmack von Blut legte sich auf seine Zunge und vernebelte ihm die Sinne.

Rußfeder wehrte sich nicht. Der schwarze Kater hatte die Augen geschlossen. Er wusste, dass er zu weit gegangen war. Ein leises Knacken seiner Knochen besiegelte sein Schicksal. Die Ohren flach angelegt und das Nackenfell gesträubt trat der graue Kämpfer von Rußfeders Leichnam zurück. Eine rote Pfütze hatte sich um den leblosen Körper gebildet. Mit funkelnden Augen sah er zu Holzglut und Krallenmond. Während die blauen Augen des sandfarbenen Katers immer noch Rußfeder anstarrten, strahlte der dunkelbraune Kämpfer nur Ruhe aus. Krallenmond trat vor.

»Du hast Feuersterns Stellvertreter getötet«, stellte er sachlich fest. »Was denkst du, wie wird er dir dafür danken?«

Aschenhaar schüttelte unwillig den Kopf. Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Sein Blick wanderte erneut zu dem Leichnam und eine gewisse Befriedigung machte sich in ihm breit. Qual konnte nur mit Qual vergolten werden.

Er dachte an Sonnenblume. Ihr gelbbraunes Fell. Wie das von Leuchtflügel. Ihre blauen Augen. Wie die von Schattenstern. Seine beiden Seiten des Lebens in einer Katze vereint. Was hatte er getan? Ich habe Leuchtflügel gerächt und Schattenstern geholfen, dachte er und wusste sogleich, dass das keinen Sinn machte. Ich habe eine Katze meines Clans umgebracht!

Sein Stolz verwandelte sich in Panik. Voller Angst sah er Krallenmond in die Augen, der seinen Blick ruhig erwiderte. Aschenhaar nickte ihm zu. Ob dankend oder anerkennend wusste er selber nicht. Langsam wandte er sich um und fing an zu rennen.

Nur wohin? Wohin konnte er gehen ohne als Verräter zu zählen? Weder zu den Clans noch zu seiner Schwester. Die Clanlosen würden sich sein Aussehen gemerkt haben. Schließlich war er es gewesen, der den Angriff geführt und sie damit ins Chaos gestürzt hatte.

Er rannte weiter, sprang über einen umgefallenen Baumstamm und dann weiter, immer weiter. Aschenhaar schlug einen weiten Bogen um das Lager des WasserClans. Der Geruch von Sumpfmoder stieg ihm in die Nase. Rasch änderte er seine Richtung, als plötzlich eine große Gestalt vor ihm auftauchte. Schwarze Augen blickten auf ihn herab und ein Knurren erklang. Aschenhaar bremste abrupt ab und wich geschickt einer riesigen Tatze aus.

»Wer du?«, fragte eine tiefe und dunkle Stimme. Etwas daran kam ihm bekannt vor. Er erinnerte sich an die fünf Wölfe aus der Gruppe seiner Schwester. Große, wilde Bestien.

»Ich bin Aschenhaar«, antwortete der graue Kater zögerlich. »Und du?«

»Starker Zahn.« Der Wolf neigte seinen Kopf zu ihm herunter, sodass Aschenhaar seine langen Fangzähne sehen konnte. »Ich nach dich gesucht.«

***

»Der mit den Wölfen läuft...«, flüsterte Wind kaum hörbar. »Er ist da! Ich dachte, wir wären uns sicher, was seine Seele angeht! Ich dachte, er ist...«

»Nein!«, fuhr Fluss dazwischen. Sein Blick wanderte zu der Szene auf dem Teich. »Seine Seele ist sehr alt. So alt wie wir.«

»Ist er es wirklich?«, fragte Schatten. »Es gibt keinen Zweifel?«

»Nein«, miaute Fluss. »Kein Zweifel, er ist es. Der mit den Wölfen läuft ist da.«

»Der mit den Wölfen läuft«, flüsterte Donner. Sein roter Pelz war der hellste Fleck in der dunklen Steinhöhle. »Der Kater grau wie Stein. Der mit den Wölfen läuft. Der Leichen über Leichen häuft. Kommt und nimmt, was ist sein.«

Fluss schloss niedergeschlagen die Augen. Der mit den Wölfen läuft ist da. Und er wird den Anfang vom Ende bestimmen. Und jeder Anfang hat auch ein Ende. Nun ist es gekommen. Die Zerstörung der Clans wird beginnen sobald die Schwarze Blüte vom Starken Zahn getroffen wird.

..........................................................................................................................................................

Einige von euch haben in den Kommentaren gefragt, was denn das Wort ,bemächtigt' bedeutet, das ich in diesem Kapitel an einer Stelle benutze. Und auf jeden Kommentar habe ich gleich geantwortet: Ich werde es aus Schutz der Minderjährigen, die dieses Buch trotz meiner Empfehlung für über Sechzehnjährige lesen, nicht erklären. Wenn ihr alt genug seid, wisst ihr, was damit gemeint ist. Andernfalls steht es euch offen, durch die Kommentare zu scrollen und zu hoffen, dass ein anderer Leser es erklärt hat, oder zu googeln.

Warrior Cats - Dunkle SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt