Blut und Splitter

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Aschenhaar legte die Ohren knurrend an und starrte enttäuscht auf die andere Seite des grünen Geflechts, das den Wald vom Zweibeinerort abtrennte. Starker Zahn an seiner Flanke hatte das Fell gesträubt. Der krumme Zahn, der aus seinem Maul ragte, blitzte kurz im Licht eines Sonnenstrahls auf, der sich in die Dunkelheit unter den Baumkronen verirrt hatte. Der graue Kater dachte an die Verfluchte, wie er beschlossen hatte, seine Feindin zu nennen. Sicher hätte sie ihrem Clan gut zugesprochen und ihnen Hoffnung gemacht, dass sie über diese Barriere klettern könnten. Dabei gab es keine Hoffnung. Nicht für ihn. Dieses Geflecht war zu hoch und zu dünn, als dass er auf der Oberseite Halt finden könnte. Geschweige denn der riesige Wolf.

»Wir bleiben hinter Grenze«, bellte Starker Zahn fordernd und scharrte mit den Pfoten im Dreck.

»Bleiben wir auch. Wir wollen ja nicht, dass die Zweibeiner dich jagen und töten.«

»Ohneschnauzen«, berichtigte der Wolf ihn. »Was tun jetzt?«

Aschenhaar fauchte verärgert. Die Verfluchte war sicher schon im Zweibeinerort, es sei denn etwas hatte sie aufgehalten. Das war aber sehr unwahrscheinlich. Er hatte Todesfeder gesehen und dass der FeuerClan ihr die Ohren abgerissen hatte. Sicher war es Holzglut gewesen. Er war nicht mehr er selbst seit sein Vater, der alte Feuerstern bei den Kämpfen nach dem Tag des Windes gestorben war. Und dann hatte sein eigener Bruder ihm auch noch seine einzig wahre Liebe Vogelschweif einfach so weggenommen. So war ihm niemand anderes als Todesfeder übriggeblieben, die er als Gefährtin wählen musste, wenn er ein richtiger Kämpfer des FeuerClans werden wollte. Holzglut hatte es getan, obwohl er diese weiße Kätzin bis auf den Tod nicht ausstehen konnte. Daher auch ihr Name. Die Verfluchte konnte unmöglich eine Kätzin wie Todesfeder mit zum Zweibeinerort nehmen, deren Wunden von einem Windwahrer versorgt werden mussten und die zusätzlich noch die Last ihrer ungeborenen Jungen trug. Oder doch?

Starker Zahn neben ihm knurrte und riss Aschenhaar aus seinen Gedanken. Der Wolf hatte die Ohren flach angelegt und die Augen auf einen Punkt hinter dem Geflecht gerichtet. Der graue Kater folgte seinem Blick und erstarrte. Aber nur für einen Augenblick.

Hinter der gelöcherten Barriere stolzierte ein Kater mit leuchtend rotem Fell auf sie zu. Doch irgendwie sah der Pelz seltsam aus. Irgendwie verklebt an den Spitzen und nur einige Haare am Schweif waren weiß. Seine Augen waren ebenfalls rot und durchdrangen Aschenhaar bis zu seiner Seele.

»Wer seid ihr?«, fragte der Fremde und blieb einige Schritte von dem Geflecht entfernt stehen. »Gehört ihr zum WasserClan? Zeigt eure Markierung!« Den letzten Satz fauchte der Kater heraus und zeigte seine ungewöhnlich spitzen Zähne.

»Wir sind Verbündete des WasserClans«, log Aschenhaar und strich Starker Zahn beruhigend über die Flanke, woraufhin er sich etwas entspannte. Doch sein Fell war immer noch gesträubt.

»Soweit ich weiß hat Wasserstern all seinen Verbündeten befohlen, sich markieren zu lassen. Zeigt eure!«, befahl der Kater und kniff seine roten Augen misstrauisch zusammen. »Ich habe weder dich noch deinen Wolf bei den Verbündeten Wassersterns gesehen. Doch mir wurde gesagt, dass es eine Rebellin gibt, die fünf Wölfe um sich versammelt hat.« Der Fremde fuhr die Krallen an einer seiner Vorderpfoten aus und hielt sie dem grauen Kater entgegen. »Gehörst du zu ihr?«

Aschenhaar sträubte sein Nackenfell und fauchte laut. »Sie ist meine größte Feindin. Ich habe vor, sie im Zweibeinerort zu überraschen und zu töten.«

Der rote Kater weitete überrascht die Augen. »Sie kommt hierher?«

Starker Zahn knurrte leise. »Tod«, grollte er und drückte seine Schnauze gegen das silberne Geflecht, das ihn von dem Gras eines großen, weißen Zweibeinerbau trennte.

Sofort schoss der fremde Kater vor und schlitzte dem Wolf laut kreischend die Nase auf. Starker Zahn taumelte überrascht zurück und gab ein tiefes Bellen von sich, bevor er sich mit ganzer Kraft gegen die Barriere stemmte. Das ganze Geflecht fing an gefährlich hin und her zu schwanken, während der rote Kater seine blutbefleckte Pfote am Gras abwischte. Gleichzeitig hob er seinen Schweif und aus allen Winkeln und Schatten strömten Katzen herbei. So zahlreich und geschmeidig wie die einzelnen Tropfen eines Flusses. Jede von ihnen hatte struppiges Fell, einige trugen seltsame Bänder um ihre Hälse und unter dem Pelz aller Streuner bewegten sich starke und trainierte Muskeln. Ein schneeweißer Kater mit nur noch einem, eisblauen Auge blieb direkt neben dem Roten stehen.

»Jeder, der ohne Markierung das Gebiet des Stammes der tanzenden Knochen betritt, wird getötet. Jeder, der sich uns in den Weg stellt, wird getötet. Jeder, der uns verrät, wird mit seinem Leben dafür bezahlen. Ich, Blut, habe diesen Stamm gegründet. Und er wird erst aufhören zu existieren, wenn mein eigenes Blut die Erde getränkt hat«, rief der rote Kater Aschenhaar entgegen und der schneeweiße Kater neben ihm bedachte Starker Zahn mit einem hasserfüllten Blick.

»Ich habe mein Auge durch einen wie dich verloren«, fauchte der Weiße grimmig. »Wölfe sind unsere Feinde so wie die Rebellin und ihr Clan es ist. Kein Wolf und keine Katze des WindClans wird den Zweibeinerort lebend betreten!«

»Blut und Splitter!«, kreischten die Streunerkatzen. Einige von ihnen waren einen kleinen Zweibeinerbau hochgeklettert und peitschten kampflustig mit ihren Schweifen. Leuchtende Augen in den Schatten und blitzende Krallen im Gras. »Blut und Splitter!«

Der rote Kater, Blut, erhob seine Stimme über den Lärm seiner Anhänger. »Wasserstern wird seinen Vertrag einhalten. Wir bekommen die beiden Kätzinnen, seine Töchter, und wir lassen sie passieren. Der Tod wird auf die Rebellin warten. Und auf alle anderen ohne Markierung.« Seine roten Augen richteten sich auf Aschenhaar.

Der graue Kater unterdrückte unwillig eine scharfe Bemerkung und gab Starker Zahn zu verstehen, dass sie sich zurückzogen. Laute Schreie und Verhöhnungen folgten ihnen auf ihrem Weg zurück in Wald.

Aber ich werde nicht aufgeben. Vielleicht kann ich den Zweibeinerort alleine nicht betreten, doch wenn der Kampf tobt, werden Blut und Splitter zu beschäftigt sein, um die Grenze zu kontrollieren. Ich werde meine Rache bekommen. Auch wenn Leuchtflügel es nicht mehr erfahren wird.

Zwischen den Wurzeln einer Eiche rollte er sich zusammen und drückte seinen Rücken gegen Starker Zahns große Pfoten. Unwillkürlich glitt er hinüber in die Dunkelheit seiner Traumwelt. Der Wald der Finsternis. Die Höhle. Das schwarze Fell von Krallenstern, das dunkelbraun getigerte Fell von Tigerstern oder das flammend rote Fell von Flammenzorn. In welcher Gestalt würde sein Mentor diesmal erscheinen? Aschenhaar sah sich um in der Steingrotte, deren Decke aus der schimmernden Wasseroberfläche des Teichs im SternenClan bestand. Ungläubig kniff er die Augen zusammen, als er Rußfeder auf sich zukommen sah. Doch aus seinem schwarzen Pelz wurde plötzlich Grau und Weiß. Aus gelben Augen wurde dunkles Bernstein.

»Was...?«, entfuhr es Aschenhaar.

»Mein Erlöser«, knurrte der veränderte Rußfeder. »Von dem heutigen Tage an werde ich dich abwechselnd mit Tigerstern trainieren.«

»Wer...?«

»Wer ich bin?« Der weiß-graue Kater schnurrte amüsiert. »Du kanntest mich nur in deiner zweiten Seele. Mein Name war einst Stachelkralle.«

Warrior Cats - Dunkle SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt