Epilog

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Das hohe Gras wehte sanft hin und her, streichelte den dreckigen Pelz der Kätzin, die sich geschickt durch die gelblichen Halme schlängelte. Sie schien ein bestimmtes Ziel vor Augen zu haben. Bog ohne zu zögern links ab, rechts ab, schlüpfte zwischen zwei dicht beieinander wachsenden Himbeersträuchern hindurch und rannte weiter. In ihrem Maul baumelte ein Junges, dessen leuchtend rotes Fell mit schwarzen Sprenkeln durchsetzt war.

Als ein hölzernes, kleines Zweibeinernest in Sicht kam, drosselte die Kätzin ihr Tempo. Flüchtige Blicke nach links und rechts werfend, rannte sie zu einem dunklen Loch, das ins Innere führte und quetschte sich hindurch. Drinnen blieb sie stehen, senkte sofort den Kopf und starrte auf den Boden. Das Junge setzte sie zu ihren Pfoten ab.

Die Gespräche, die zuvor geführt worden waren, verstummten abrupt. Ein schwarzer Kater mit weißer Brust und weißem Bauch erhob sich von seinem Platz auf mehreren übereinander gestapelten Hölzern. Seine gelben Augen ruhten auf der Kätzin, die es nicht wagte, den Blick zu heben. Der Kater machte ein missmutiges Gesicht, wandte sich an einen Kater an seiner Seite, dessen Fell zwar ebenfalls mit Schlamm bedeckt war, aber nicht mit so viel wie das der angekommenen Kätzin, und flüsterte ihm etwas zu.

»Der Große Stern möchte wissen, was dein Begehr ist«, rief der angesprochene Kater der Kätzin zu. »Dies ist eine Versammlung, der nur die Anführer der Clans und ihre engsten Vertrauten beiwohnen dürfen.«

»Ich bitte aufrichtig um Vergebung«, miaute die Kätzin, den Blick immer noch gesenkt. »Möge die Strafe des Großen Sterns mich treffen, wenn ich mich in der Wichtigkeit dieses Jungen irre.« Sie stupste die kleine Katze mit der Pfote an, die sich daraufhin erschrocken aufplusterte.

Der schwarz-weiße Kater musterte das Junge für kurze Zeit, bevor er dem Kater neben sich erneut etwas zuflüsterte.

»Der Große Stern fragt, wer dieses Junge ist.«

»Es gehört zu besagtem WindClan«, antwortete die Kätzin. »Es hat eigenwillig die Grenze überquert und wollte vermutlich in das Lager des WirbelClans eindringen.«

»Nein! Ihr versteht das falsch!«

Lautes Fauchen erhob sich unter den anwesenden Katzen, als das gesprenkelte Junge diese Worte aussprach. »In Anwesenheit des Großen Sterns ist es nicht erlaubt, die Stimme ohne ausdrückliche Aufforderung zu erheben!«, zischte eine etwas ältere, dunkelbraune Kätzin mit weißen Sprenkeln, die hinter dem Großen Stern selbst hervortrat.

»Nein, Habichtmond, lass es sprechen«, fuhr eine andere Stimme dazwischen. Sie gehörte einer langhaarigen, dunkelgrauen Kätzin. Ihre Augen funkelten in unterschiedlichen Farben: eines blaugrau, das andere hellgrün.

»Maße dir nicht mehr an, als dir zusteht, Regenmond«, fauchte Habichtmond mit angelegten Ohren. Mit einer Schwanzgeste umfasste sie sich, ihre Widersacherin und noch zwei weitere Kätzinnen, die weiter hinten saßen. »Ich bin die Älteste von uns Vieren!«

»Aber es geht um meinen Clan«, antwortete die dunkelgraue Kätzin mit einem drohenden Unterton. »Ich bin die Anführerin des WirbelClans!«

»Aber wir alle unterstehen dem Großen Stern!«, sprach Habichtmond und setzte sich schließlich. »Der Große Stern wird entscheiden.«

Kaum hatte sie das gesagt, beugte der schwarz-weiße Kater sich wieder zu dem Kater neben ihm und flüsterte ihm etwas ins Ohr. Diesmal dauerte es lange, bis dieser das Wort an die Kätzin richtete, die immer noch mit gesenktem Kopf vor dem Loch in der Wand stand.

»Der Große Stern betrachtet den Grenzübertritt des Jungen als Versehen und hat entschieden, dass es zurück zu seinen Clan-Gefährten gebracht wird«, erklärte der Kater. »Dennoch sollte jeder Verbündete im Kopf behalten, dass der WindClan uns des Mordes beschuldigt hat und droht, die Grenze zu überqueren. Sollte auch nur eine Katze ihre Pfote auf eines unserer Territorien setzen, wird der WindClan zum Feind erklärt. Der Große Stern erteilt den Verbündeten die Erlaubnis, jeden Feind zu töten, sollte dieser Fall eintreffen.«

Während Habichtmond zufrieden mit den Ohren zuckte, blickte Regenmond eher finster drein. Die Kätzin, die das Junge mitgebracht hatte, nahm es wieder auf und bewegte sich rückwärts aus dem hölzernen Zweibeinernest hinaus. Drinnen kräuselte ein schlammbedeckter Kater unzufrieden die Lippen und fuhr die Krallen nachdenklich ein und aus.

***

In einer dunklen Höhle saßen zwei Kater nebeneinander. Mit wachsamen Augen beobachteten beide die schimmernde Fläche an der Decke, die wie die Oberfläche flüssigen Wassers aussah. Sie schienen auf etwas zu warten, das jedoch nicht eintrat. Schließlich schnippte der leuchtend rote Kater verärgert mit dem Schweif. Die tiefe Narbe, die sein rechtes Auge entstellte, wirkte in Abwesenheit des Lichts wie ein schmaler Spalt, durch den man in eine andere Welt der Finsternis gelangt.

»Er wird nicht kommen«, zischte der Kater. »Warum auch immer hat sich seine Seele dem SternenClan und nicht uns angeschlossen.«

»Wir werden weitere Gelegenheiten haben, Flammenzorn«, knurrte sein Begleiter. Sein schwarzes Fell fing an sich zu verflüchtigen und an seiner statt sprossen ihm graue und weiße Haare aus der Haut.

»Du scheinst Gefallen daran zu finden, die Gestalt deiner früheren Geburt anzunehmen, Rußfeder«, meinte der leuchtend rote Kater mit der Narbe leicht amüsiert. Schnell wurde er aber wieder ernst. »Wir müssen jemanden finden, der leichter zu verführen ist. Jemanden, der noch jung ist und zu wenig Lebenserfahrung hat.«

Rußfeder wechselte seinen Pelz wieder zurück und starrte den Kater neben sich mit großen, gelben Augen an. »Du meinst...«

»Ja«, antwortete Flammenzorn. »Mein Sohn wird sich anhören, was ich zu sagen habe. Ich spüre, dass er unbedingt wissen möchte, wer sein Vater ist.«

»Und wenn er Ahornschatten ein weiteres Leben genommen hat«, setzte Rußfeder den Gedankengang des roten Katers fort, »wird der See über uns erneut zufrieren. Aber diesmal werden wir bereit sein.«

Flammenzorn nickte grimmig. »Denn wir sind viele.«

In dem finsteren Wald hinter den zwei Katern blitzten hell funkelnde Augen auf. Muskulöse Körper durchteilten das Unterholz. Krallen fuhren über Baumstämme und hinterließen tiefe Spuren in der Rinde.

»Die WindClan-Krieger wissen nicht, wo all die dunklen Seelen hinkommen, die sie auf ihrem Weg töten«, knurrte der Kater mit der Narbe. »Und wenn sie es erfahren, wird es schon zu spät sein. Zu spät für sie und zu spät für den SternenClan. Denn keine dieser ach so reinen Seelen ahnt, wer der Verräter auf ihrer Seite ist. Wer uns gezeigt hat, wie man die Gestalt seiner früheren Geburt annimmt.« Seine Schnurrhaare zuckten. »Sie werden es erst erfahren, wenn es zu spät ist. Bis dahin müssen wir ausharren.«


Warrior Cats - Dunkle SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt