Beschlüsse und Verkündungen

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»Wir können Traumschweif und Seelenpfote unmöglich ausliefern!« Die normalerweise eher ruhige Weißklee peitschte zornig mit dem Schweif und ihre gelben Augen durchbohrten Spitzfell mit Blicken.

»Wir sind nicht geflohen, um an solchen Kleinigkeiten zu scheitern«, antwortete der hellbraune Kater bestimmt. »Ich finde, die Clans sollten bekommen, was sie wollen. So werden wir auch Katzen bei ihnen im Lager haben, die uns nach ihrer Befreiung berichten, was der FeuerClan als nächstes plant.«

»Dein Herz ist immer noch kalt wie Eis, Spitzfell«, miaute die Ziehmutter von Funkenjunges. »Todesfeder ist in ihrer Gewalt! In der Gewalt von grausamen Katzen, die wer-weiß-was mit ihr anstellen! Meine Tochter ist womöglich schon auf dem Weg zum SternenClan, wenn wir sie befreien!«

Terra beobachtete die Diskussion mit einigem Abstand. Schattenstern hatte ihre engsten Freunde und Verbündete zu einem Beratungsgespräch eingeladen. Dazu zählten außer Weißklee, Spitzfell und ihr noch Hechtkralle, Efeubein und Luchsohr.

Der Kater mit dem steifen Hinterbein erhob sich nun schwankend. An seiner Schnauze waren schon die ersten grauen Haare zu sehen. Er musste sehr alt sein. »Ich schlage vor, wir machen eine Abstimmung. Wer möchte, dass Traumschweif und Seelenpfote ausgeliefert werden, um sie dann zu befreien und mehr Informationen über die Clans zu bekommen?«

Spitzfells Schweif schnellte sofort in die Höhe. Genauso wie der von Luchsohr. Efeubein zögerte, schloss sich ihnen dann jedoch an. Terra überlegte. Ich kann unmöglich zwei Katzen zu unseren Feinden schicken ohne zu wissen, was dort mit ihnen passiert. Als sich keiner mehr rührte, nickte Schattenstern leicht mit dem Kopf.

»Wer ist dafür, dass wir Traumschweif und Seelenpfote nicht ausliefern, aber dabei riskieren, dass Todesfeder, Eulenpfote und...« Efeubein sah sie unsicher an.

»Fremdschatten«, flüsterte Terra leise, aber laut genug, dass der dunkelbraune Kater sie hören konnte.

»... und Fremdschatten dabei zu Schaden kommen?«

Die hellgrau-schwarze Kätzin schüttelte den Kopf. Ich kann nicht zulassen, dass ihm etwas geschieht. Er war mein einziger Freund bei den Clanlosen. Er hat mir beigestanden, als... der Unfall passiert ist. Wieder leuchteten die grünen Augen in ihrer Erinnerung auf. So schön war die Zeit mit ihm gewesen...

»Terra?« Schattensterns Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Gehetzt blickte sie sich um, beruhigte sich aber schließlich. »Ist alles in Ordnung? Möchtest du dich ausruhen?«

»Nein, es geht schon.« Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie Hechtkralle sie besorgt ansah und sich dann an die WindClan- Anführerin wandte.

»Ich möchte mich gerne enthalten«, miaute der blaugraue Kater mit fester Stimme. »Ich finde, man sollte nicht entscheiden, welches Leben lebenswerter ist. In beiden Fällen kommt eine Katze zu Schaden.«

Schattenstern nickte leicht und wirkte tief in sich versunken. Ihre Schwanzspitze peitschte aufgebracht hin und her. »Was ist mit dir, Terra?«

Die ehemalige Clanlose erstarrte. Sie hatte ihre Wahl noch nicht getan. Verzweifelt sah sie von einer Katze zur anderen. Jede von ihnen sah sie hoffnungsvoll an. »Ich...«, stotterte sie. »Ich enthalte mich auch.«

»Dann steht es drei zu zwei, dass wir Traumschweif und Seelenpfote ausliefern, um sie danach zu retten«, stellte Efeubein fest. Der dunkelbraune Kater drehte sich erwartungsvoll zu der schwarzen Anführerin um. »Doch die Entscheidung liegt bei dir, Schattenstern.«

Die Kätzin regte sich immer noch nicht. Ihre Ohren zuckten nur kurz und Terra bemerkte, wie sie ihre Krallen immer wieder ein- und ausfuhr.

»Es ist schon bald Sonnenhoch. Wir brauchen eine Entscheidung«, miaute Luchsohr leise. Der gelbbraune Kater war ein Rätsel für Terra. Er wollte so gar nicht zu den Katzen des WindClans passen. Nicht nur vom Aussehen, sondern auch vom Charakter her. Meistens saß er einfach nur da und starrte ins Leere, während seine Gefährtin Tannennadel sanft auf ihn einredete. Traumschweif hatte ihr erzählt, dass er der Sieger des ErdClans bei den Kämpfen gewesen sei. Manchmal sah sie auch, wie Luchsohr die Anführerin anstarrte. Als gäbe es eine gewisse Verbindung zwischen ihnen. Als wüsste er etwas, das niemand anderes wusste. Manchmal sah sie in seinen Augen einen Hauch von Angst, aber auch Respekt. Flammenfarbenes Fell und rotes Blut. Doch vielleicht irrte sie sich auch. Terra schüttelte ihre Gedanken ab.

»Meine Entscheidung ist gefallen«, verkündete Schattenstern. »Wir werden Traumschweif und Seelenpfote ausliefern.«

Stille legte sich über die kleine Versammlung. Nur das stetige Klopfen eines Spechtes war aus weiter Ferne zu hören.

»Aber Schattenstern...« Weißklees Stimme war voller Trauer. »Du hast selbst dagegen gestimmt!«

»Und ich habe mich geirrt.« In der Stimme der Anführerin lag ein bestimmender Ton, der keinen Widerspruch duldete. »Es wäre besser, wenn wir die Leben von bald vielleicht mehr als drei Katzen retten. Todesfeder ist deine Tochter, Weißklee. Sie verdient besseres, als ihre Jungen in Gefangenschaft herausgeschnitten zu bekommen.«

Die alte, weiße Kätzin duckte sich leicht unter den machtvollen Worten ihrer Anführerin. »Es wird ihr hier auch nicht besser gehen. Ich habe sie schon lange aufgegeben. Es gibt keine Hoffnung mehr für sie, die Geburt lebend zu überstehen. Eine Königin, die in den Kampf gezogen ist, womöglich einen Stoß in den Bauch bekommen hat und dann brutal entführt wurde, kann so etwas nicht schadenlos überstehen.«

»Aus dir spricht der Wald der Finsternis, Weißklee.« Eine Andeutung von Knurren lag in Schattensterns Stimme. »Ich weiß, dass du niemals deine eigene Tochter aufgeben würdest. Nicht, wenn sie aus deinem ersten Wurf stammt. Ich weiß, dass du kurz vor dem Tag des Windes Glutjunges gewählt hast. Deinen eigenen Sohn. Und du hast deiner Schwester Schneeauge gesagt, dasselbe zu tun.«

Die weiße Kätzin zuckte zusammen.

»Ist das wahr?«, fragte Luchsohr betreten. »Du hättest dein eigenes Junges in den Tod geschickt, wenn es nicht vorher gestorben wäre?«

»Es war nicht der Sohn von dem Kater, den ich liebe. Er ist vor mehr als zehn Monden bei den letzten Kämpfen ermordet worden«, sagte sie nur, drehte sich dann um und lief davon. Terra sah ihr nach. Weißklee war die Schwester ihrer Mutter. Hatte White sie deshalb fortgeschickt? Um sie loszuwerden?

»Spitzfell, Luchsohr!« Die beiden angesprochenen Kater traten vor und neigten respektvoll den Kopf vor Schattenstern. »Holt Traumschweif und Seelenpfote und bringt sie zum Waldrand.« Ihr Schweif wirbelte staubige Wolken vom Boden auf. »Es kann sein, dass Holzglut und Aschenhaar dort auf euch warten. Fangt bloß keinen Kampf an. FeuerClan- Kämpfer kennen keine Ehre. Sie würden euch töten, bevor ihr auch nur Gelegenheit zu einer Flucht hättet.«

Spitzfell nickte, doch Luchsohr legte den Kopf schief. »Was passiert, wenn sie Todesfeder, Eulenpfote und Fremdschatten nicht mitbringen?«

»Sagt ihnen, dass ich Traumschweif und Seelenpfote dann von meinen Wölfen zerfetzen lasse.«

»Was?« Terra sprang auf und fauchte Schattenstern wütend an. »Das kannst du nicht machen!«

»Werde ich auch nicht«, entgegnete die schwarze Kätzin ruhig. »Aber ich vermute mal, dass der FeuerClan sie lebendig braucht. Ich werde Brud sagen, dass er und seine Gefährten sich mit Kaninchenblut beschmieren sollen. Das lässt sie furchteinflößender aussehen.«

Terra zwang sich dazu, sich wieder zu beruhigen. Sie nickte Schattenstern anerkennend zu, schwieg aber. Auch Hechtkralle neben ihr sagte kein Wort, sah nur abwechselnd zu der hellgrau-schwarzen Kätzin und der Anführerin.

Spitzfell und Luchsohr entfernten sich langsam von ihnen und ihre Schwanzspitzen verschwanden in der Katzenmenge, die nicht weit entfernt von ihnen rastete. Auch Terra wollte sich erheben, doch ein Zucken von Schattensterns Ohren hielt sie zurück.

»Ihr beide könntet mir auch helfen«, miaute die schwarze Kätzin freundlich. »Sorgt bitte dafür, dass keine Feindseligkeiten im Clan entstehen. Du, Terra, kennst sicher Geschichten von Fremdschatten, die du deinen Clan- Gefährten erzählen könntest. Und du, Hechtkralle, bist gut darin, dir etwas auszudenken. Bereite kleine Wettbewerbe vor, mit denen der WindClan weiter zusammenwächst. Wir dürfen uns nicht in zwei Gruppen aufspalten, sonst haben wir keine Chance gegen Krallenmond und seine Verbündeten.«

Beim Weggehen war Terra tief in Gedanken versunken. Warum hat Schattenstern Krallenmond so erwähnt, als wäre er der Anführer des FeuerClans?

Warrior Cats - Dunkle SterneWo Geschichten leben. Entdecke jetzt