Aschenhaar duckte sich unter den Blättern des riesigen Busches, um besser voranzukommen. Starker Zahn hinter ihm knurrte ungeduldig, doch das interessierte den grauen Kater nicht. Seine gesamte Aufmerksamkeit war auf die andere Seite des grünen Netzes gerichtet. Dort lag der Zweibeinerort, das Territorium des Stammes der tanzenden Knochen und das Gebiet, das die Verräterin mit ihrem Clan durchqueren musste. Und er würde da sein, wenn sie starb. Er würde sie mit seinen eigenen Krallen und Zähnen töten. Neun Mal, schließlich hatte sie von dem... dem SternenClan neun Leben bekommen. Das würde sein Geheimnis bleiben. Er hatte es nicht mal Feuerstern anvertraut, als dieser ihn nach der Verräterin gefragt hatte. Denn niemand durfte von diesen neun Leben wissen, sonst hätte er selbst keine Chance, seine Schwester zu töten. Hatte er eben seine Schwester gedacht? Die Verräterin! Krallenstern und Stachelkralle würden enttäuscht von ihm sein, wenn sie wüssten, dass er manchmal immer noch Schwäche zeigte und die Verräterin seine Schwester nannte. Er hatte keine Familie mehr. Nur noch Starker Zahn.
»Tod?«, fragte der Wolf hinter ihm ungeduldig. Aschenhaar antwortete nicht. Die Zweige des Busches krallten sich in sein Fell und zerrten daran als wollten sie ihm den Pelz abziehen. Fauchend riss er sich los und büßte einige Fellbüschel ein, doch er kämpfte sich weiter, immer weiter. Da! Mit der Schnauze stieß er gegen das grüne Netz, das den Wald vom Zweibeinerort abgrenzte. Die einzelnen Fäden waren hart, man konnte sie nicht durchbeißen oder verbiegen. Aber die Erde darunter...
Aschenhaar hatte die Sonnenumläufe nach der Konfrontation an der Grenze damit verbracht, die Katzen im Zweibeinerort zu beobachten. Die meisten lebten zusammen mit den Zweibeinern in diesen Steinbauten, aber da waren auch diese Kämpferkatzen, die zu dem Stamm der tanzenden Knochen gehörten. Ihre Augen blitzten immer wieder in den Schatten auf, besonders nachts, wenn sie auf die Jagd gingen. Aber sie jagten keine Mäuse oder Vögel, sie jagten die Katzen der Zweibeiner und hatten sie erst eine erlegt, schleppten sie ihren Körper auf einen der Donnerwege, sodass es aussah, als hätte ein Monster sie getötet. Diese Kämpferkatzen waren grausam, gewissenlos und gehorchten Blut und Splitter ohne zu zögern. Ein Mal, ein einziges Mal hatte Aschenhaar Splitter gesehen. Beinahe hätte der einäugige Kater ihn zwischen den Büschen auf der anderen Seite des Netzes entdeckt, doch zum Glück hatte er sich noch schnell genug geduckt.
Als Aschenhaar verstanden hatte, dass es hoffnungslos war, mit Blut und Splitter weiter zu verhandeln, geschweige denn, sie zu bedrohen, hatte er einen anderen Weg gesucht, den Zweibeinerort zu betreten. Einen besseren, heimlicheren. Den durch den riesigen Busch, in dem er immer noch feststeckte. Von den Kaninchenjagden beim FeuerClan wusste er, dass die Erde unter dichten Pflanzen besonders trocken und bröselig war, weil das Regenwasser dort nicht hingelangte. So war es auch hier, an diesem Stück des Netzes unter dem Busch. Es wäre eine Leichtigkeit für den grauen Kater, sich ein Loch zu graben und so auf die andere Seite zu kommen. War das erst geschafft, würde er die Nacht über noch im Schutz des Busches bleiben, während er Starker Zahn dabei half, das Loch zu vergrößern, damit er ebenfalls auf die andere Seite konnte.
Entschlossen stieß er seine Krallen in die lockere Erde und fing an zu graben. Bald war das Loch so groß, dass er mit der Pfote auf die andere Seite gelangen konnte. Sein graues Fell war über und über mit braunen Erdbrocken bedeckt. Es würde eine Ewigkeit dauern, sich zu putzen, aber das war unwichtig. Das einzige, was zählte, war die Rache an der Verräterin. Hätte sie eingegriffen, wäre Leuchtflügel noch am Leben. Leuchtflügel! Wie sehr er sie vermisste. Ihr weiches Fell. Ihre wunderschönen, gelben Augen. Sie war makellos gewesen, seine einzige Liebe. Und die Verräterin hatte sie einfach sterben lassen! Doch er fühlte keinen Schmerz. Schmerz bedeutete Schwäche. Er spürte nur diese Wut und diesen Hass tief in sich drin. Sie gaben ihm Energie und Durchhaltevermögen.
Beim Kampf gegen die Clanlosen und der Verfolgung der Verräter hatte er zum ersten Mal erfahren, was wahre Stärke bedeutete. Wahre Stärke bedeutete Wut, bedeutete Hass, bedeutete Blut, Tod und Gewalt. Wer dem allem trotzen konnte, war es würdig, der Stellvertreter des Waldes der Finsternis zu sein. Krallenstern hatte es ihm versprochen. Und er würde sein Versprechen halten. Er hielt es immer.
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Warrior Cats - Dunkle Sterne
FanficACHTUNG! Ihr müsst erst »Warrior Cats - Finstere Wolken« gelesen haben, bevor ihr das hier lest. Nach Schattensterns Flucht vor den Clans und den Gesetzen des Windes macht sich die Gruppe aus zweiundzwanzig Katzen auf den Weg zu den Überlebenden des...