▫Soju

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Wie bin ich nur hierher gekommen?
Vor mir steht ein Glas, dass stark nach Alkohol riecht. Es ist nur noch zur Hälfte gefüllt. Ich betrachte es eine Weile und schwenke es in meiner Hand hin und her, bis ich es langsam zu meinem Mund führe. Ich verstand selber nicht, warum ich es tat. Ich hasste Alkohol. "Hey!" Ich schreckte zusammen und der restliche Inhalt meines Glases sickerte langsam in meine weinrote Hose ein. Verärgert drehte ich mich um. "Was denken sie, was-" Ich stockte. Vor mir stand ein ziemlich großer dünner Typ. Er trug ein schwarz-weiß kariertes Hemd, schwarze Hosen und komischerweiße Turnschuhe dazu. Ich musterte ihn kritisch. "Oh, sorry. Das war nicht mit Absicht." Sein Blick zeigte allerdings kein Mitleid. "Ich dachte, du wärst jemand anderes." Ich erkannte ein leichtes Grinsen. Doch war ich mir nicht ganz sicher dabei, da mir der Alkohol immer mehr zusetzte. "Schon gut", meinte ich nur darauf. Ich hatte keine Lust darauf gehabt, eine komplizierte Diskussion zu führen. "Nein, nein. Ich gebe dir einen aus." "Brauchst du nicht." "Ach doch", widersprach er mir und setzte sich neben mich auf einen Barhocker. "Alsoo..." Er zog eine Augenbraue hoch. "Was machst du hier?" Er gab dem Barkeeper ein Zeichen, dass er zu ihm kommen sollte. "Weiß ich nicht", antwortete ich ihm. "Ah." Irgendwie wirkte er abwesend. "Du?", fragte ich ihn darauf. "Hm. Hatte lange Weile und wollte etwas Verbotenes machen." "Warum Verbotenes?", fragte ich ihn nun neugieriger. Vielleicht war er ja noch nicht volljährig. "Eigentlich dürfen wir nicht in Bars gehen. Wegen dem Image." Ich verstand nichts. "Hier." Er reichte mir eine Flasche Soju, ohne einen der kleinen Schnapsbecher, die auf der Theke standen. Zögernd nahm ich sie entgegen. "Prost!", meinte er und stieß mit seiner Flasche gegen meine. Er trank einen großen Schluck. Normalerweise trank man den Schnaps aus diesen kleinen Shots und wurde hier schräg angeguckt, wenn man sie nicht benutzte. Doch ihn interessierte das wenig. "Also, warum bist du in Seoul?" Ich gab keine Antwort. "Was machst du hier in Südkorea?" Er beugte sich etwas zu mir und schnippste einmal vor meinem Gesicht. "Ein Auslandsjahr. Meine Mutter meinte, dass Abwechslung mal nötig wäre." "Ouh. Okay." Er lehnte sich wieder zurück. "Trink deinen Schnaps, sonst schmeckt er nicht mehr." Er guckte mich erwartungsvoll an, als ich den Flaschenhals langsam zu meinem Mund führte. Ich nippte daran und verzog leicht das Gesich; ich hasste den Geschmack von Alkohol. Doch dann sah ich zu, wie er seine Hand nahm und die Flasche anhob, so dass ich den ganzen Soju in einem Zug austrinken musste. Ich hustete. "Geht doch." Er grinste mich an. Dann sagte er: "Wir hätten gerne noch zwei Flaschen." Ich schaute ihn empört an: "Warum? I...ich kann nich mehr... bah... dieses Zeug." Ich fing an leise zu lachen. "Trink noch eine Flasche, dann wirst du es lieben." Er reichte mir eine. Was will er von mir?
"Neeein", sagte ich empört. Ich führte die Flasche zu meinem Mund, roch aber nur daran. "Baaah", sagte ich. Dann hielt ich ihm die Flasche unter die Nase. "Riiiech du- doch mal." Ich schaute ihm dabei zu, wie er fast anfing zu lachen. Mein Kopf schwang leicht von einer Seite zur anderen. "Dieses Gebräu... bah-." Ausversehen hielt ich die Flasche etwas schräg und ein großer Teil des Inhaltes befand sich halb auf dem Boden, halb auf der Hose dieses Typen. Dann trank ich einen Schluck daraus. "Was machst du hier?", fragte ich ihn. "Man, ich bin einfach so hier. Hast du vorhins schon gefragt. Hast du's vergessen?", fragte er. "Was? Echt. Ach, man." "Zu viel Alkohol oder was?" "Nenene. Alles im Lot. Gahaha, so sagt man das in Deutschland. Da wo ich herkomme, das ist Deutschland", erklärte ich ihm. "Ah", meinte er nur darauf. "'Im Lot'. Hab nie verstanden, was das heißen soll." Ich lachte. "Diese Deutschen, hahaha." Mein Kopf schwang wieder hin und her. "Trinkst du nie?" "Uhm... naja." Ich wurde nervöser, da er sich wieder zu mir vorbeugte. "Eigentlich..." Ich brauchte eine ganze Weile zum Nachdenken. Doch mein Kopf hämmerte so sehr, dass ich meine Augen schließen musste. Ich fühlte mich so schwach, dass ich nur noch merkte, wie ich nach vorne kippte.

Eine lange Straße. Rechts und links von ihr hohe Bäume; es könnten Pappeln sein. Wenn ich die Straße genauer betrachte, sie es so aus, als ob sie eine Landebahn für Flugzeuge ist. Ich sehe etwas am Horizont näher kommen. Ein Flugzeug. Als es vor mir stehen bleibt, steigen zwei Personen aus. Meine Mutter und... Leo. Was machen die hier? Ich fange an zu weinen. Ich habe sie schon seit ein paar Monaten nicht mehr gesehen. Meine Mutter kommt auf mich zu und umarmt mich. "Komm zurück. Bitte", sagt sie. "Ich, ich weiß nicht. Ich habe keinen Bock mehr." "Bitte, Hana..." Meine Sicht wird trüb, doch ich höre nicht auf sie zu umarmen. "Gehe nicht wieder. Bleib hier. Ich will nicht zurück, aber wieso bleibt ihr nicht hier? Bitte." Ich drückte sie fest an mich.

"Bitte. Geh nicht." Ich drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. "Ich brauche dich doch." "What the- was tust du?!"

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