32 more than you know.

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LOUIS

"Vielleicht begegnen wir uns wieder, 

aber da wo du mich verlassen hast, 

triffst du mich nie wieder."

[ Bertolt Brecht ]



Robin versteifte sich und sah mich völlig geschockt an. So als hätte er nie damit gerechnet, dass dieses doppelte Lottchen Spiel auffliegen könnte. Mir wurde bewusst, wie stark sie darauf geachtet hatten, dass sie sich nicht verrieten und in mir keimte die Frage auf, wie oft sie diesen Tausch schon gebracht hatten.

„Erzähl mir, was passiert ist, wieso ihr die Rollen getauscht habt!", langsam wurde ich wirklich harsch und ich musste mich zwingen Robin loszulassen.

Doch mein Sohn schwieg.

Er sagte nicht einen Ton und zum ersten Mal hatte ich das aufwallende Bedürfnis ihn ordentlich durchzuschütteln. Stumm nahm er den Blick von mir und sah auf seine Schuhspitzen.

Schließlich ließ ich von ihm ab und durfte eine Stunde später zu Robert.

Mir zog sich das Herz zusammen, als ich ihn endlich sah. Jemand schlug unaufhörlich in meinen Magen und ich unterdrückte den Drang mir die Würstchen auf der Stelle vorzuknüpfen, die ihn so zugerichtet hatten.

Sein Gesicht war überzogen von Blessuren und ich konnte direkt verstehen, wieso man ihn auf eine Hirnblutung hin untersucht hatte. Es war, als hätte jemand seinen Kopf kontinuierlich gegen einen Bordstein geschlagen. Später erfuhr ich, dass man genau das getan hatte.

Er konnte sein linkes Auge nicht öffnen und hatte zwei Zähne verloren. Doch von Robert kam nicht eine Klage, kein Wehlaut, noch in irgendeiner Form ein Ausdrucks des Schmerzes. Stattdessen ertrug er die Schmerzen stumm.

Ich sah mit an, wie Robin sich ans Bett setzte und nach Roberts unverletzten Hand griff. Beide sagten nicht ein Wort, aber ich hatte das Gefühl, dass sie trotzdem auf eine gewisse Art kommunizierten.

Eine gefühlte Ewigkeit saß Robin einfach nur bei Robert und als ich im Türrahmen stehen blieb, nachdem ich mir einen Kaffee holte, da bemerkte ich, wie Robin anfing zu weinen. Im ganzen Raum war es still. Lediglich das Klopfen des Regens gegen die Fensterscheiben war zu hören und ich sah mit an, wie Robert seinem Bruder Trost spendete, obwohl er derjenige war, der litt.

Mit kam es in diesem Augenblick jedoch vor, als wäre es genau anders herum. Als würde Robin den Schmerz viel tiefer spüren, als Robert.

Zwei gebrochene Rippen, die linke Hand verstaucht, die Schulter ausgekugelt, zwei ausgeschlagene Zähne, Platzwunden, ein zugeschwollenes Auge, eine schwere Gehirnerschütterung und mehrere Prellungen hielt mein Jüngster tapfer aus. Der Arzt meinte, dass mein Sohn Glück hatte, dass seine Lungen nicht kollabierten. Die Akte las sich, als wäre Robert ein Kollateralschaden von klischeehaften Gangs. Dabei hatte er sich lediglich mit Gleichaltrigen angelegt.

„Hör... auf zu heulen", hörte ich Roberts leise Stimme, doch Robin konnte die Tränen nicht zurückhalten. Sie rollten über seine Wange und er versuchte sie nicht einmal mit der Hand wegzuwischen.

Was er dann sagte, fühlte sich an, wie ein Hieb mit der Eisenstange.

„Ich habe dir versprochen... dass ich auf dich aufpasse."

Prompt dachte ich an den Feueralarm und an Roberts ernsten Worte. Obwohl mir übel wurde, spürte ich auch eine unglaubliche Wut auf diesen Jungen. Weshalb war er so verdammt stur und hörte nie auf das, was ich ihm sagte? Ging es nicht in seinen verfluchten Dickschädel, dass er ein Kind war?

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