Kapitel 15

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Ohne mich anzusehen marschierte er zu dem Tisch hinüber, an dem ich bis eben noch gesessen hatte, und lehnte sich dagegen – ganz offensichtlich wollte er sich nicht setzen, vermutlich um falls nötig schnell fliehen zu können. Als ich an ihm vorbei ans andere Ende des Tisches ging, drückte ich mich absichtlich so nahe wie möglich an ihm vorbei und hauchte ihm einen Atemzug in den Nacken. Grinsend stellte ich fest, dass er unwillkürlich erschauerte und sich Gänsehaut auf seinen Armen bildete.

Kaum hatte ich mich hingesetzt und einen erwartungsvollen Ausdruck auf mein Gesicht gezaubert, stützte er sich mit den Ellbogen auf die Tischoberfläche und fragte ganz direkt: „Okay, was bist du?"

Damit hatte ich gerechnet. „Ich bin Zayn."

„Es ist mir scheißegal, wie du heißt." Sein Ton zerrte allmählich an meinen empfindlichen Nerven. „Ich will wissen, WAS du bist. Und jetzt komm mir nicht mit der Herumlügerei, die roten Augen und die Zähne wären nur Halloween-Verkleidung gewesen."

„Und wenn ich genau das sage?" Ich zog einen Mundwinkel hoch und zeigte ihm die makellose obere Zahnreihe, natürlich ohne die Vampirzähne an den Ecken. „Ich habe ganzjährig Zähne. Erstaunlich, nicht wahr?"

„Ich rede von ... spitzen Zähnen." Nialls Nervosität stieg sichtlich immer weiter an.

„Also doch Halloween ...", setzte ich an, doch jetzt schien er genug zu haben, denn er trat mit voller Wucht gegen den Tisch und fauchte: „Hör endlich auf mit deinem witzlosen Schrott! Weißt du was? Ich werde jetzt schnurstracks zur Polizei gehen."

Mir entschlüpfte ein verächtlichen Lachen. „Dein Ernst? Und was sollen die ausrichten? Ohne Mami und Papi glaubt dir doch da eh keiner."

„Von mir aus. Dann sag ich es eben Mami und Papi", äffte er mich erstaunlich gelungen nach, drehte sich auf dem Absatz um und wollte wütend in der Menge verschwinden, doch wie automatisch schoss ich blitzschnell über den Tisch und ergriff Nialls Arm in einer schraubstockartigen Umklammerung. Obwohl er sich mit Händen und Füßen sträubte, zog ich ihn so nahe an mich heran, wie es der Tisch zwischen uns erlaubte, um mit dem Mund an sein Ohr heranzukommen. „Du willst dieses kleine Geheimnis doch nicht etwa ausplaudern?", hauchte ich gegen seine Wange. Nialls Atem ging stoßweise und ich glaubte, sein Herz schneller schlagen zu spüren. Und sein Blut – oh fuck. Wenn ich nicht aufpasste, würde ich ihn vermutlich irgendwann versehentlich aussaugen. Ich musste mich ordentlich zusammenreißen, um mir nicht über die Lippen zu lecken und meine Zähne in seinen Hals zu schlagen, immerhin war ich nur Zentimeter davon entfernt. Millimeter, um genau zu sein.

Mühsam riss ich mich von den Gedanken los und lehnte mich ein wenig zurück, um ihm ins Gesicht sehen zu können. Verwundert stellte ich fest, dass er die Augen zusammengekniffen hatte.

„Mach schon."

Es dauerte eine Weile, bis ich kapierte, dass sich seine Lippen bewegt hatten und Niall es war, der da eben so tonlos gesprochen hatte. „Du bist doch ein Vampir, oder? Wenn du mich aussaugen willst, dann mach es doch einfach."

Beinahe wäre ich bestürzt ein paar Schritte zurückgetaumelt und lockerte den Griff um seinen Arm – ich hatte ihn wohl etwas zu fest gepackt, denn nun zeichneten sich dort dunkle Druckstellen ab. Manchmal unterschätzte ich meine übernatürlichen Kräfte noch immer. „Bitte?!"

Niall schlug die Augen auf – und schon wurde ich von dem tiefen Meeresblau überwältigt, das aus ihnen strahlte. „Das willst du doch schon die ganze Zeit, oder? Gestern Nachmittag, gestern Nacht ... und jetzt."

„Wie kommst du darauf, dass ich dich beißen will?" Dass ich ein Vampir war, hatte ich zwar damit so gut wie zugegeben, aber es war ja nicht so, dass er es nicht vorher schon gewusst hätte.

Vampire (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt