Kapitel 22

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NIALL

Als ich am Morgen aufwachte, war ich alleine in meinem Zimmer. Wie lange war Zayn wohl geblieben? Hatte er die erste Gelegenheit ergriffen, um sich hinauszuschleichen? Zuzutrauen wäre es ihm, aber irgendetwas in mir weigerte sich, das zu glauben. Irgendwie konnte ich mir nicht vorstellen, dass er sein Versprechen gebrochen hatte, Vampir hin oder her. Mittlerweile glaubte ich sogar, dass er die Wahrheit gesagt hatte, was diese unschöne Begegnung gestern Nacht in Wald anging. Aber was, wenn er auch nicht gelogen hatte, was den ganzen Vampirclan betraf? Ein ganzer Clan, in unserem Stadtviertel. Und das Seltsamste war: Ich blieb ziemlich gleichgültig darüber. Normalerweise flippte man bei einer solchen Hiobsbotschaft doch aus und ergriff schreiend die Flucht, aber ich blieb nicht nur ruhig, nein, ich wollte mit Zayn darüber sprechen und ihn näher kennenlernen. Letzte Nacht hatte er bewiesen, dass er vielleicht nicht ganz so ein Idiot war, wie er es vorher erscheinen hatte lassen, sondern dass er durchaus freundlich und hilfsbereit sein konnte.

Tolle Adjektive für einen Vampir: Freundlich und hilfsbereit. Na ja, wieso nicht.

Kaum hatte ich einen Packen frischer Kleidung aus dem Schrank gewühlt und mich umgezogen, klingelte es an der Tür. Als meine Eltern unten in der Küche keine Anstalten machen zu schienen, zu öffnen, lief ich seufzend hinunter. Das war bestimmt wieder der Bote, der jedes Wochenende den Stapel Prospekte vorbeibrachte.

Ich hatte mir schon den Ablauf ausgedacht: Tür auf, Hallo sagen, freundlich lächeln, Prospekte nehmen, ins Haus legen, abhauen. Doch meinem tollen Plan wurde ein Strich durch die Rechnung gemacht, denn kaum hatte ich die Tür geöffnet, stand ein junger Mann mit dunkelbraunem Haar vor mir, der mir nur allzu bekannt vorkam: Es war der Typ mit der Zeitung von gestern, der im Restaurant gesessen hatte. Wie ich solche Zufälle hasste.

„Hallo?" Meine Begrüßung klang mehr wie eine Frage.

„Hi." Er schenkte mir ein Lächeln. „Nicht wundern, ich helfe nur aus." Er reichte mir den gewohnten Stapel an Geheften. „Sag mal, arbeitest du nicht unten im Club in der Bar?"

Ich versuchte, nicht allzu misstrauisch zu wirken. Wieso interessierte das plötzlich jeden so? „Ja, das stimmt."

Sein Lächeln wurde noch breiter. „Der Job muss echt cool sein."

„Geht so." Kurz angebundener konnte man eigentlich gar nicht antworten, aber ich konnte nicht anders, als diesem Typen Argwohn entgegenzubringen.

Sein Blick fiel auf meine Straßenschuhe. „Wo willst du denn jetzt schon hin?"

Was geht dich das an?

„Nur ein kleiner Spaziergang", antwortete ich vage. Die Wahrheit war, dass ich keine Ahnung hatte, warum ich eigentlich rausging, ich wollte nur nicht den ganzen Tag im Haus herumsitzen.

„Du könntest mich ja begleiten", bot er sofort an. „Ich bin ohnehin zu Fuß unterwegs."

Ich zuckte die Schultern. Ich war ihm zwar nicht gerade zugetan, aber was konnte es schon schaden, mit ihm eine Runde zu drehen? Er würde mich schon nicht zu Schnitzel verarbeiten. „Ich bringe nur schnell das Zeug rein."

Als ich mich umdrehte und zur Küche lief, kam mir in der Tür meine Mum entgegen, die mich fragend ansah. „Mit wem sprichst du so lange?"

Ich winkte ab. „Der Zeitungsbote."

„Und wo willst du jetzt hin?", fragte sie weiter, während sie den Papierstapel von mir entgegennahm.

Innerlich verdrehte ich die Augen. „Er hat mir angeboten, einfach mal eine Runde mitzugehen. Ich wollte sowieso gerade raus, wieso also nicht?"

Vampire (Ziall)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt