Es ist bereits nach Mitternacht, doch ich renne noch immer hellwach in meinem Zimmer herum und reiße alte Fotos von der Wand. Ihr Gesicht scheint mich anzustarren und ich komme einfach nicht zur Ruhe.
Erschrocken fahre ich zusammen, als die Klingel ertönt und ihre Stimme gedämpft ins Haus dringt.
"Lia?"
Scharf ziehe ich die Luft ein und laufe die Treppe herunter, bis nach vorne an die Haustür. Barfuß stehe ich da, ganz still und warte darauf, dass sie erneut etwas sagt.
"Lia, bitte mach auf. Lass es mich erklären. Es ging nicht anders."
Sofort sammeln sich Tränen in meinen Augen und ich schlucke verkrampft, die verdrängt geglaubten Gefühle schießen wieder in mir hoch. Am liebsten würde ich sofort die Tür aufreißen, Ashs Gesicht sehen und sie in meine Arme schließen, um mich von ihr trösten zu lassen. Umso mehr schmerzt es zu wissen, dass sie es dieses mal war die mich verletzt hat. Es heißt nicht länger wir gegen die Welt und ihre Arme würden mich nicht länger vor dem Schmerz schützen, sondern darin einschließen.
"Hast du mich überhaupt jemals geliebt, Ash?"
Der Vorwurf klingt hart und tut mir sofort leid, die Feage ist jedoch ernst gemeint. Es kommt mir vor als wären wir nicht miteinander bekannt. Als wären die letzten Monate nie gewesen. In ihrer Stimme höre ich Verunsicherung."Natürlich liebe ich dich. Ich liebe dich mehr als alles andere auf dieser Welt, Lia. Das wird sich nie ändern."
"Du hast mir ins Gesicht gesagt, dass es falsch ist. Das es vorbei ist."
"Okay, bitte gib mir zwei Minuten es zu erklären. Es war nicht so gemeint, okay?"
"Hör auf. Hör einfach auf Ash."
Durch die Tür höre ich wie sie anfängt zu weinen und halte mich verzweifelt an der Türklinke fest, als würde es mich ihr näher bringen."In dem Moment dachte ich es wäre die beste Idee, einfach zu sagen was sie hören wollen. Meine Eltern haben so sehr überreagiert, dass sie mich wegschicken wollten. Ich musste sie irgendwie vom Gegenteil überzeugen, bis ich wegkonnte. Zu dir. Sie haben davon geredet umzuziehen. Von einer Therapie um mich zu heilen und mir verboten dich jemals wiederzusehen. Mein Handy haben sie mir auch weggenommen, sodass ich dich nicht mehr erreichen konnte. Sobald es ging, habe ich meine Sachen gepackt und bin heimlich abgehauen. Ich kann keinen Tag mehr in diesem Haus verbringen. Bitte glaub mir, Lia. Ich kann nicht mehr dahin zurück."
Nach und nach fügt sich alles in meinem Kopf zusammen, wie ein Puzzle, welches vorher nicht richtig Sinn ergeben hat und erst jetzt, mit den fehlenden Teilen ein Ganzes ergibt. Es ergibt mehr Sinn, als meine völliger aus der Panik heraus entstandene Version. Natürlich tut es das.
"Bitte, Lia, ich will dich nicht verlieren." fleht sie von draußen.
Eine Welle der Erleichterung überrollt mich und ich schäme mich beinahe dafür, ihre Liebe jemals in Frage gestellt zu haben. Nach allem, was wir gemeinsam durchgestanden haben.
"Ich dich doch auch." flüstere ich, als ich die Tür aufziehe und endlich meine Hände in den Stoff ihrer Jacke kralle.
"Es tut mir so leid." flüstert sie und ihre Tränen hinterlassen dicke Flecken auf meinem Shirt.
"Mir auch." schluchze ich. "Ich hätte nicht so schnell urteilen sollen, ich dachte bloß ich hätte dich verloren und dann konnte ich an nichts anderes mehr denken."Als wir uns beide wieder etwas beruhigt haben, weiche ich ein Stück zurück und lasse mein Blick über sie schweifen, um sicher zu gehen, dass es ihr gut geht. Mit großen Augen hebt sie meine Hände hoch und ich sehe, wie die Schuldgefühle in ihr aufkommen, als sie die Schürfwunden sieht.
"Es tut mir so leid!"
"Alles okay." versichere ich ihr und lächle, denn was spielt es noch für eine Rolle. Sie ist hier. Bei mir.
"Aber schmeiß mich bitte nie nie wieder raus." füge ich schnell hinzu.
"Versprochen." Sie lächelt gequält und streicht vorsichtig meine Haare zurück. Dann verschränkt sie meine Finger mit ihren und starrt gedankenverloren auf den Boden.
"Alles okay?"
Stumm schüttelt sie den Kopf und schluckt krampfhaft.
"Ich hätte zwar nie erwartet, dass sie es sofort verstehen, aber zumindest das sie es akzeptieren. Ich meine... sie sind immerhin meine Eltern. Ich dachte sie lieben mich."
Mitfühlend drücke ich sie an mich und stelle mir vor, meine Eltern hätten auch so reagiert - es schmerzt schon bei der Vorstellung. Krampfhaft suche ich nach einer Antwort die sie tröstet, doch es fällt mir schwer nette Worte für ihre Eltern zu finden. Auch ich bin zu tief verletzt von ihrer Reaktion. Es geht hier nicht um mich, ermahne ich mich. Ich schlucke. "Ich bin mir sicher, sie lieben dich sehr. Sonst hätten sie nicht so stark darauf reagiert, meinst du nicht." flüstere ich und drücke ihren Kopf an meine Schulter, als könnte ich sie von ihrem Schmerz abschirmen. "Sie lieben dich."
Widerwillig schüttelt sie den Kopf und ich bin mir sicher, wenn sie jetzt geantwortet hätte, wäre ihre Stimme vor Trauer gebrochen. Über ihre Schulter hinweg sehe ich mehrere Rucksäcke stehen und wechsele schnell das Thema.
"Hast du das alles zu Fuß hier hergetragen?"
Nickend hebt sie einen der Rucksäcke hoch und reicht mir einen weiteren."Ich kann nicht mehr zurück. Ich habe ihnen einen Brief geschrieben. Habe ihnen erklärt, wie sehr es mich verletzt hat wie sie reagiert haben und das ich dich liebe. Das ich dich immer lieben werde... wie kann ihnen mein Leben so egal sein, Lia?"
Nun laufen die Tränen doch wieder ihre Wangen herab und ich spüre, wie auch ich einen Kloß im Hals habe.
"Schau, egal an was sie glauben, ihre Reaktion war falsch. Du hast keine Schuld an ihrer Reaktion. Und du kannst es nicht ändern, das können nur sie selbst. Gib ihnen Zeit.""Ich weiß nicht, ob ich das kann."
Unschlüssig sucht sie nach meinem Blick und ich versuche so viel Sicherheit wie möglich in meine Stimme zu legen: "Komm, erstmal bringen wir deine Sachen rein. Du kannst bei uns wohnen, bis sich alles beruhigt hat und in ein paar Tagen sehen wir dann weiter." und als sie noch immer zu zweifeln scheint, füge ich hinzu: "Meine Eltern lieben dich!", obwohl ich weiß, dass es nur ein schwacher Trost ist.So leise wie möglich tragen wir ihre Taschen nach oben in mein Zimmer. Meine Eltern haben den ganzen Trubel verschlafen. Ich bin mir jedoch sicher, dass sie sich freuen werden Ash zu sehen. Es wird kein Problem sein, sie hier vorerst unterzubringen. Während sie im Bad ist, sammele ich die abgerissenen Fotos vom Boden auf und lege sie sorgfältig auf meinen Schreibtisch. Kurze Zeit später machen wir es uns im Bett gemütlich, ihr Kopf ruht dabei auf meiner Brust und ich streiche ich beruhigend durch die Haare. Wir reden darüber, was war und wie es weiter geht. Darüber, dass wir uns nie im Stich lassen werden. Wir reden, bis es draußen hell und ihr Atem endlich flacher wird. Tief in unruhigen Träumen versunken liegt sie neben mir und ich betrachte sie still. Ich habe das Gefühl, dass mein Herz bersten müsste, so sehr schmerzt es mich was Ash durchstehen muss. Gleichzeitig kann ich nicht anders, als sie für ihre Stärke zu bewundern.
Als die Geräusche im Haus langsam lauter werden, beschließe ich, dass es keinen Sinn mehr hat, sich jetzt noch schlafen zu legen. Sanft ziehe ich die Decke von mir und lege sie langsam zurück neben Ash, bevor ich mich auf leisen Sohlen die Treppe hinab und in Richtung des Kaffee-Geruchs bewege, um meinen Eltern die Neuigkeiten zu erzählen.
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Forbidden Love || GirlxGirl
Teen Fiction[abgeschlossen] Lia und Ash verstecken ihre Beziehung seit Monaten, doch ihnen ist klar früher oder später wird es ans Licht kommen. So entscheiden sie sich den nächsten Schritt zu wagen und es Ash's stark religiösen Eltern und ihren gemeinsamen Fr...