Kapitel 39 - "Neue Hoffnung"

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Verträumt sehe ich aus dem Fenster in der Küche und auf die Stadt hinaus. Dylan und Cameron sind mit Owen vor einigen Stunden, nachdem er gebadet hat zum Arzt gefahren und seitdem nicht zurück gekommen. Ich bin hier geblieben, um den Jungs etwas gesundes zu kochen und Dawn über den gesundheitlichen Zustand ihres Bruders in Kenntnis zu setzen.

Nun bin ich seit etwa fünf Minuten fertig, das Essen wartet darauf gegessen zu werden und ich frage mich, was ich tun soll bis die Jungs wiederkommen. Dawn hatte angekündigt, dass sie bald vorbei kommt, aber keinerlei Zeitangabe gemacht.

Seufzend setze ich mich auf einen Stuhl und umfasse meine Tasse Tee, die ich in der Hand halte. Ich puste hinein und sehe nachdenklich hinaus. Es schneit wieder und die Straßen, Wege, Häuser und Bäume werden von einer leichten weißen Schicht bedeckt. Die Welt sieht so friedlich und ruhig aus. Wenn ich so drüber nachdenke, demonstriert sie mir das Gegenteil von dem wie ich mich fühle.

Die Sache mit Cole beschäftigt mich immer noch. Unsere Eltern sehen Weihnachten immer so einsam aus, wenn sie nur mit mir zusammen feiern. Sie vermissen Cole und ich tue das auch. Ich vermisse meinen Bruder Cole und nicht diesen Cole, den ich hier angetroffen habe.

Eigentlich hatte ich vor nach zwei Wochen wieder zu meinen Eltern zurück zu kehren und ihnen ihren verlorenen Sohn zu präsentieren. Seit meiner Ankunft hier sind aber bereits fast drei Wochen vergangen und mit Cole habe ich mich nur gestritten. In knapp drei Wochen ist Heilig Abend und ich bezweifle, dass Cole bis dahin wieder normal ist.

Ich möchte dieses Jahr nicht wieder in die traurigen Gesicht meiner Eltern sehen, wenn alle ihre Geschenke ausgepackt haben und nur noch die von Cole unter dem Weihnachtsbaum stehen. Jedes Jahr kaufen wir Geschenke für ihn, decken für ihn mit den Weihnachtstisch und bereiten sein Zimmer vor - doch jedes Jahr hätten wir uns diese Arbeit sparen können.

Vielleicht wäre es einfacher für meine Eltern, wenn er tot wäre. Das ist zwar ein grauenhafter Gedanke, aber es ist doch wesentlich angenehmer damit abzuschließen, als zu wissen, dass ein einst geliebter Mensch lebt, aber keinen Kontakt mehr zu uns hat.

Meine Eltern tun mir leid und ich wünschte, ihre vergangenen und kommenden Jahre würden anders verlaufen. Sie haben zwei Kinder groß gezogen und geblieben ist ihnen nur ihre unentschlossene Tochter.

Ihre Tochter, die sich in einen Freund ihres Bruders verliebt hat und am liebsten an seiner Seite bleibt. Wenn ich bei Owen bleibe, dann verlasse ich auch meine Eltern und dann ist ihnen nicht einmal mehr ihre Tochter geblieben, fällt es mir in diesem Moment so ein.

Wieso fällt mir das erst jetzt ein? Warum kam mir dieser Gedanke nicht schon vorher?

Wie würden meine Eltern reagieren, wenn ich ihnen sage, dass ich jemanden kennengelernt, mich verliebt habe und nun in Amerika bleibe? Das ich also nicht mehr nach zuhause zurückkehren werde?

Einerseits würden sie sich vielleicht für mich freuen, dass ich endlich mein eigenes Leben führe, aber andererseits wären sie bestimmt traurig, weil sie nun keines ihrer Kindern mehr bei sich haben. Wie würde ich reagieren, wenn ich zwei Kinder hätte und beide nicht mehr zuhause, sondern in einem ganz anderen Land leben?

Tränen steigen mir in die Augen und ich schluchze. Meine armen Eltern, das haben sie nicht verdient!

Das Klingeln meines Handys reißt mich aus meinen Gedanken und ich ziehe es aus meiner Hosentasche. Ohne auf den Display zu achten, nehme ich den eingehenden Anruf an.

"Hallo?", melde ich mich und schlucke den Kloß in meinem Hals runter.

"Du hörst dich gar nicht gut an", meldet sich die traurig klingende Stimme meiner besten Freundin aus dem Telefon. Ich streiche mir eine Strähne aus dem Gesicht und seufze ehrlich. Mit Lacey kann ich locker über all meine Sorgen und Probleme sprechen. Sie weiß immer, was sie sagen muss, damit man sich besser fühlt und in dem endlos dunklen Tunnel, doch noch ein Ausgang voller Licht erscheint.

"Wie geht es meinen Eltern?"

"Deine Mutter macht wie immer einen recht lebhaften Eindruck und dein Vater scheint nicht gerade angetan von der Tatsache, dass deine Mutter so viel einkauft. Sie bereitet schon alles für Weihnachten vor", erzählt Lacey, deren Stimme langsam nicht mehr so belegt klingt. Irgendetwas belastet sie, dass höre ich ihr an.

"Was ist los?", frage ich und beiße mir auf die Unterlippe. In letzter Zeit habe ich nur an mich gedacht, dass ich meine beste Freundin vernachlässigt habe. Ich sollte das bei Gelegenheit wieder gut machen.

"Meine Eltern. Du kennst sie doch - immer dieselben Probleme", seufzt sie und ich nicke. Laceys Eltern sind echt ein Buch für sich. Als Geschäftsleute sind sie wirklich gut, aber als Eltern haben diese beiden wirklich versagt. Ein Glück, dass Lacey und Ria von sich aus so gute Menschen sind.

"Wie läuft's mit Owen? Was macht Cole?", fragt Lacey und ich stelle den Tee neben mir auf dem Tisch ab und seufze.

"Wir waren gestern feiern und Owen geht es seitdem immer schlechter. Cameron und Dylan sind gerade mit ihm beim Arzt und Cole - von ihm hab ich seit Ewigkeiten nichts mehr gehört", gestehe ich und beiße mir auf die Unterlippen. Mission failed!

"Dann wird das also wieder ein einsames Weihnachten", sagt Lacey auf der anderen Seite und ich nicke. Da freue ich mich schon wieder riesig drauf.

"Ich hab eine Nachricht für dich - vielleicht munter dich das auf", unterbricht Lacey nach einigen ruhigen Sekunden, die sich wie Minuten angefühlt haben die Stille. Sofort unterbreche ich meine Gedanken bezüglich eines weiteren einsamen Weihnachtsfestes und warte darauf, was Lacey mir erzählt. Wenn sie ankündigt, dass es mich vielleicht freut, dann wird es mich wahrscheinlich auch wirklich freuen.

"Ich habe mit meinen Eltern gesprochen und den Flug bereits gebucht. Ich werde Freitag landen und bin dann endlich bei dir", verkündet Lacey und ich kreische vor Freude auf. Sie hat es geschafft. Sie kann doch endlich kommen und ist in drei Tagen dann endlich hier. Nur noch drei Tage!

"Oh mein Gott Lacey. Vielen herzlichen Dank", rufe ich erfreut in den Hörer und stehe von meinem Stuhl auf, um mich Freude im Kreis zu drehen. Meine beste Freundin kommt hierher und ich hab endlich wen aus meiner Heimat hier vor Ort. Gut, Cameron kommt auch da her, woher ich komme, aber für mich ist er schon ausgebürgert und nun Amerikaner.

"Bitte. Camy, ich muss jetzt auflegen. Wir hören spätestens Freitag wieder von einander. Bis dann und gute Besserung an Owen", sagt Lacey und ich verabschiede mich von ihr. Wenn Lacey da ist, dann kann nur noch alles besser werden.

Vielleicht schaffen wir es doch noch aus Cole den alten zu machen.

Vielleicht gibt es dann doch kein einsames Weihnachtsfest, sondern eins mit lächelnden, erfreuten Gesichtern anstatt traurigen!

Vielleicht wird doch alles gut - ich hoffe es!



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