Schockiert stehe ich da. Sie hat diese Worte mit einer solchen Inbrunst hervorgebracht, ich denke nicht, dass ich sie jemals wieder vergessen werde. Und dennoch bin ich verwirrt. Sie scheint sehr überzeugt von sich zu sein, aber ich? In mir löst das alles nur immer weiter und immer mehr Verwirrung aus, auch wenn es wahrscheinlich viel mehr sein sollte.
Alecia Benett mustert mich eindringlich, ihr Blick wandert an mir herab, sie sieht mich von oben bis unten an, scheint aber zu keinem Ergebnis zu kommen. Jetzt ist ihr Blick fragend, Verwunderung spiegeltnsich in ihm. "Und?", sie mustert mich argwöhnisch. Scheinbar tanze ich mal wieder aus der Reihe. "Wie fühlst du dich?" Das hört sich ganz so an, als wären die richtigen Antwortmöglichkeiten sehr begrenzt. Dumm nur, dass ich die dunkle Ahnung habe, dass meine so falsch ist, wie sie nur sein kann.
"Noch verwirrter als vorher.", ihre Augenbrauen wandern in luftige Höhen, ihre Stirn legt sich in unvorteilhafte Falten. "Verwirrt. Ganz sicher?" "Wäre ich mir meiner Stimmungslage ganz sicher, so würde ich nicht mit 'verwirrt' antworten.", argwöhnisch mustere ich sie. Ich habe das dumpfe Gefühl, dass sie mich nicht ernst nimmt. Und auf meine Antwort hin mustert sie mich auch noch, als hätte ich einen Seelenklempner nötigt.
Nach fünf weiteren, peinlich stillen Sekunden, endet das ständige Wechseln ihrer Gesichtszüge schließlich. Ein überheblicher Ausdruck macht sich breit und Alecia bedenkt mich mit einem schmallippigen Lächeln. "Wie dem auch sei", meint sie sehr schlecht gespielt unbeeindruckt, "Ich werde dir jetzt dein neues Zuhause zeigen und dich dann deinen Mitbewohnern überlassen. Du fühlst dich in gleichaltriger Gesellschaft sicher gleich weniger... verwirrt." Sie setzt sich in Bewegung während ich ihr mal wieder nur perplex hinterher starre. "Moment mal", sie hält inne, "Ich werde hier garantiert nicht leben. Ich kenne niemanden von Ihnen, was in aller Welt sollte mich dazu bringen, hier einzuziehen?" Unbeeindruckt geht sie weiter, dreht sich nicht einmal um, während sie mir antwortet: "Die Tatsache, dass du außerhalb dieser Mauern keine fünf Sekunden überleben würdest. Reicht das nicht aus?"
Super. Mir bleibt also nichts anderes übrig, als ihr zu folgen. Das macht wirklich Mut.
Es dauert nicht lange, nur wenige Minuten, und wir treten durch ein sehr massiv aussehendes Tor in einen Innenhof. Es ist hell hier, warm, ganz und gar nicht so, wie man sich Burgen eigentlich vorstellt. Allerdings ist es sehr still. Zu still. Meinte sie nicht, sie würde mich meinen 'Mitbewohnern' vorstellen? Sind das vielleicht alles Geister? "Die Burg ist in unterschiedliche Bereiche aufgeteilt. Im Groben sind das die Trainingsräume und der Freizeitbereich. Genaueres werden dir deine drei Zimmergenossen erklären." Neugierig sehe ich mich um, erwarte, dass da irgendwo jemand steht. Aber: nichts. Gähnende Leere.
Doch plötzlich spüre ich an meinem Hals ein flüchtiges Kitzeln, wie, als würde mir jemand mit einem Grashalm über die empfindliche Haut dort streichen. Definitv ein Gänsehaut-Gefühl, welches aber genauso schnell wieder verschwindet, wie es auch gekommen ist, als plötzlich eine weibliche Stimme ertönt: "Dávid! Lass den Mist. Du wirst ihr schon in ihrer ersten Minute hier einen Herinfarkt verpassen!" Suchend sehe ich mich um, will wissen, wer das gesagt hat, bis plötzlich ein Seufzen hinter mir ertönt. Sehr nah hinter mir. Auf alles gefasst wende ich vorsichtig meinen Kopf und mache in der nächsten Sekunde einen Satz nach hinten. Mein Herz schlägt fast so schnell wie in der Gasse vor ein paar Stunden. Der Grund: Ein Mann. Ein Mann, der wie aus dem nichts so nah hinter mir aufgetaucht ist, dass er mir ins Ohr hätte beißen können. Hätte er es denn gewollt. Aber dass er es nicht getan hat, spricht wohl für ihn. Sein aufmüpfiges Grinsen eher weniger.
"Entschuldige bitte", eine weitere Stimme in meinem Rücken, ein weiterer Satz, mit welchem ich mich aus der Gefahrenzone befördere, "Dávid vergisst gerne den Moment, in dem er zum ersten mal hier gestanden habe. Und ich offenbar auch." Mehr oder minder entsetzt starre ich das Mädchen an, welches mich gleich in eine feste Umarmung zieht. "Ich bin übrigens Klara." "Und ich bin James." Dieses Mal schreie ich nicht auf, allerdings habe ich das Gefühl, dass mich meine Beine nicht mehr länger tragen werden, wenn das jetzt so weiter geht. Aber wenigstens kommt der unverschämt gut aussehende Typ, der sich als James zu erkennen gegeben hat, nicht von hinten sondern taucht plötzlich, ohne Vorwarnung, hinter Dávid auf. Was mich nicht weniger schockt. Für einen kurzen Moment dachte ich wirklich, Dávid wäre ein zweiter Kopf gewachsen.
An diesem Ort scheint alles möglich zu sein. Ob ich das so gut finde, weiß ich noch nicht.
DU LIEST GERADE
Hope II Seelenhüter
FantasyII Das Leben des zwei Wochen alten, namenlosen Mädchens hatte gerade erst begonnen und war schon fast wieder vorbei. Aber nur fast. Denn Abigail und Henry gaben ihr Hoffnung. Hope. Heute ist sie sechzehn Jahre alt und hat drei Geschwister sowie Elt...