Hope I 33 I

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»Hey, bist du dir sicher, dass ich nicht doch besser die Tasche nehmen sollte?«, James sieht mich besorgt von der Seite an, seine sonst so präsente Unbeschwertheit ist verflogen. Schon ganze zwei Wochen lang ist Ace jetzt nicht mehr hier, das schlägt uns allen aufs Gemüt. Vor allem Dávid. Er ist... geschockt. Seit er weiß, dass sein Bruder innerhalb der nächsten Tage, Wochen, Monate sterben wird, hat er mit niemandem mehr gesprochen. Als Jj mich heute aus dem Krankenhaus abgeholt hat, meinte er, dass sie sich wirklich Sorgen um ihn machen würden. Klara ist fast ununterbrochen bei ihm, aber so viel sie auch auf ihn einredet, er isst kaum, trinkt kaum, liegt nur in seinem Bett und starrt die Wand an. Es ist wirklich zum Heulen.

Und jetzt stehe ich hier. Vor den Mauern, die mir eigentlich zu einem sicheren Ort geworden waren. Aber diese Sicherheit ist auch verschwunden. Ace hat sie mit sich genommen, wie so vieles andere auch.

»Hope?« »Hm?«, verwirrt schaue ich auf, weiß nicht, worauf James hinaus will. »Die Tasche. Soll ich sie nehmen? Du siehst aus, als würdest du gleich umkippen.« Ich würde nicht umkippen, zumindest nicht äußerlich. Was mich schwanken lässt, ist mein durcheinander gebrachtes Inneres. Seit Ace weg ist, habe ich das Gefühl, den falschen Sender eingestellt zu haben. Ich spüre ihn noch immer, aber alles ist verschwommen und verzerrt. Nur manchmal kann ich wirklich erkennen, was er fühlt. Ich weiß nicht, ob das seine Absicht ist, aber ih bezweifle es, denn ich denke nicht, dass er mir das freiwillig antun würde. Es macht mich ganz kirre, ständig dieses graue Rauschen wahrzunehmen, ohne zu wissen, was es ist. Ich muss mich anstrengen, nicht den Bezug zur Wirklichkeit zu verlieren, aber trotzdem lässt es meine Gedanken immer wieder abschweifen.

»Hope!«, James steht vor mir, hat mich an den Schultern gepackt und schüttelt mich durch. Mein Blick wird wieder klarer. »Mir geht's gut. Mach dir keine Sorgen.« Trotz meiner Worte mustert er mich immer noch, als wäre ich schwerkrank. Aber zum Glück lässt er es darauf beruhen.

»Gehen wir zu David?« Ich bin froh um den Themawechsel, schüttele aber trotzdem den Kopf. »Ich möchte einfach nur ins Bett. Alleine.« Für einen winzigen Moment sehe ich die Enttäuschung in James' Blick, aber einen Moment später hat er sich wieder gefangen und nickt. »Ein einzelnes Zimmer musst du erst bei Alecia beantragen, aber ich könnte dich auch zu...«, er schluckt sichtlich und senkt den Kopf, »Ace' Zimmer bringen. Es wurde noch nicht ausgeräumt.« Ich muss mir fest auf die Lippe beißen, um nicht wieder anfangen zu weinen, dann nicke ich. Ich bin mir zwar absolut sicher, dass es mich nur noch weiter zerstören wird, aber so habe ich wenigstens einen winzigen Teil von ihm bei mir.

Die Nacht ist schon längst angebrochen, als ich immer noch wach bin und mich unruhig hin und her rolle. Sein Geruch umhüllt mich und sorgt dafür, dass ich, sobald ich die Augen schließe, Dinge sehe, die ich einerseits unglaublich vermisse, andererseits aber auch nie wieder sehen möchte. »Er hat dich verlassen.«, flüstere ich in die Dunkelheit, »Er hat dich alleine gelassen.« Aber egal, wie oft ich es auch wiederhole, es ändert nichts. Erst in den frühen Morgenstunden schieße ich meine Augen.

Nach wenigen erholsamen, von Albträumen durchzogenen Stunden öffne ich meine Augen. Mein Gesicht fühlt sich geschwollen und verklebt an. Ich habe wohl wieder angefangen zu weinen.

In die Bettdecke gehüllt stehe ich auf und taumele zum Fenster, das ich aufreiße, so weit es geht. Die Luft kühlt meine Haut und klärt gleichzeitig meinen Verstand. Ich weiß nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber als ein leises Klopfen ertönt, stehe ich immer noch dort und starre in die Ferne. Als ich spüre, wie hinter mir ein warmer Körper auftaucht, neige ich leicht meinen Kopf in seine Richtung. Es ist James, der mich in seine Arme zieht und hochhebt. Er trägt mich weg von dem Fenster, weg von der Kälte, die alles in mir zu betäuben vermag. Ich will mich wehren, will, dass er mich loslässt, aber über meine Lippen kommt kein einziger Ton. Gleichgültigkeit macht sich in mir breit. Und sie verlässt mich auch nicht wieder.

Tagelang liege ich in einem Bett, das nicht meins ist, erinnere mich, obwohl ich mich nicht erinnern will, und ertränke all das in Gleichgültigkeit. Es ist mir egal.

Sowohl Jj als auch Klara kommen immer wieder zu mir, sie wechseln sich ab, einer von ihnen ist bei mir, der andere bei David. Sie passen auf, dass wir nicht in unseren Gefühlen ertrinken, aber trotzdem verfallen wir ihnen immer mehr. Wir bereiten ihnen Sorgen, das sehe ich, aber ich kann nichts daran ändern. Meine Melancholie hat mich fest im Griff.

Nur noch selten dringen Gefühle zu mir durch, von denen ich weiß, dass es nicht meine sind. Meist ist es Verzweiflung, woran Ace mich teilhaben lässt, oft auch Schmerz, manchmal Wut. Unsere Verbindung leidet genau wie wir beide. Es ist, als würden immer mehr der Seile, die uns zusammenhalten, überspannt werden und reißen. Ich weiß, was das bedeutet, ich weiß, dass ich, könnte ich klar denken, dagegen ankämpfen würde, aber es ist mir egal. Vollkommen egal.

Das erste, was mich nach vielen Tagen wieder kümmert, ist der Eimer eiskaltes Wasser, der über meinem Kopf entleert wird. Prustend schrecke ich hoch, zitternd mustere ich James, der mit ernstem Gesichtsausdruck vor mir steht, Klara mit einem ebenfalls Klatschassen David im Schlepptau direkt hinter ihm. Es ist das erste Mal seit langem, dass ich ihn überhaupt sehe, und, was soll ich sagen, er sieht wirklich beschissen aus. Und aus seinem Gesichtsausdruck schließe ich, dass es um mich nicht anders steht. Aber es ist mir egal.

Als mein Blick zurück zu Jj wandert, steigt für einen Moment tatsächlich so etwas wie Wut in mir auf, aber die Gleichgültigkeit verschluckt es sofort wieder. Ausdruckslos erwidere ich also seinen Blick, der voller Sorge ist. »Hope, wir müssen reden.« Eine meiner Augenbrauen rutscht minimal nach oben, eine ausdrucksstärkere Reaktion kann ich mir nicht abringen.

James packt mich an den Armen und zieht mich auf meine Beine, aber mein Kreislauf ist so hinüber, dass ich sofort wieder in mich zusammensacke. Entschlossen packt er mich, zieht mich mehr oder weniger sanft hinter sich her, und stellt mich unter die Dusche. Das kalte Wasser vertreibt den Nebel in meinem Kopf zumindest so weit, dass ich wieder in der Lage bin, klar zu denken. Als ich mit zitternden Beinen wieder unter dem Tropfenvorhang hervortrete, ist mein Blick aufgeklart, und seit sehr langer Zeit nehme ich mein Umfeld wieder war. Ich sehe, wie James ans Waschbecken gelehnt fast im Stehen einschläft, sehe die Falten in seinem Gesicht und die glanzlosen Augen.

Mir war nicht klar gewesen, wie sehr wir ihm zugesetzt haben.

Ja, sie ist ein klein wenig weinerlich. Aber nur ein kleines bisschen. Is halt so.
Ansonsten... ich fahre morgen für zwei Wochen in den Urlaub. Keine Ahnung, ob ich es schaffe, zu updaten...

Schönes Wochenende xoxo

Hope II SeelenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt