Ace I 31 I

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Ich liege dort, regungslos. Ich weiß nicht, was gerade passiert ist, kann mich nicht an das erinnern, was ich gesagt habe. Ich sehe nur immer wieder vor mir, wie Hope zurückweicht, immer weiter zurück, und dann die Tür hinter sich ins Schloss knallt.

Es mag ja wirklich sein, dass du bis gerade eben der einzige mit einem Problem warst. Aber das hat sich geändert! Wir haben jetzt auch eins! Und zwar ein gewaltiges!

Das hat sie gesagt. Aber warum? Warum ist sie so wütend auf mich? Was habe ich getan? Ich kann mich einfach nicht erinnern! Alles ist so verschwommen... Wir wollten doch eigentlich reden! Wie konnte das so aus dem Ruder laufen? Und warum sagt sie, dass wir ein gewaltiges Problem haben? Ich will keine Probleme! Wir müssen doch zusammenhalten! Verdammt, ich liebe die Frau, die gerade mit mir Schluss gemacht hat. Ich weiß zwar nicht, warum, aber ich muss doch irgendetwas getan haben, dass sie dazu gebracht hat! Warum nur kann ich mich nicht daran erinnern? Was ist los mit mir!? Die Hilflosigkeit, die ich verspüre, verursacht mir eine Gänsehaut. Da ist dieses dumpfe Gefühl, dass etwas anders ist. Etwas hat sich essenziell verändert. Etwas... fehlt.

Und mit einem Schlag ist alles wieder da.

Ich kann es absolut nicht leiden, wenn man mir auf die Nerven geht, und ganz genau das tust du gerade! Kapierst du das nicht? Also lass... lass mich in Ruhe...

Wie konnte ich das nur zu ihr sagen? Und vor allem, wieso habe ich es zu ihr gesagt? Ich habe ihre Hilfe doch so sehr benötigt, ohne sie kann ich das unmöglich schaffen! Wieso zur Hölle also habe ich etwas getan, das nur ein absolutes Arschloch tun würde? Ich verstehe es einfach nicht.

Dafür verstehe ich aber, was mir fehlt.

Hope.

Sie ist weg.

Ich schreie.

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»Ace! Verdammt, antworte mir!« Etwas trifft mich mit solcher Wucht mitten im Gesicht, dass mein ganzer Kopf nach hinten geschleudert wird. Es schmerzt. Ich genieße es. Es ist das, was ich verdiene. »Sachte, Dávid. Sonst hast du ihm gleich das Genick gebrochen.« »Das wäre mir um Welten lieber als wenn er an seinem eigenen Geschrei ersticken würde.« Ich warte. Warte darauf, dass weitere Schläge folgen. Ich will sie. Ich brauche sie.

»Ace! Mach keinen Scheiß, hörst du? Du musst mit mir sprechen!!« Seine Stimme bebt. Ich weiß, dass ich meinem Bruder gerade wirklich Angst mache, aber ich kann nicht anders.

Ich bin ein Unmensch.

Eine Abartigkeit.

Eine Bestie.

»Washington, ich warne dich!«, wieder rüttelt er an meiner Schulter, »Wenn du jetzt nicht endlich deine verdammten Augen öffnest, werde ich so lange auf dich einschlagen, dass du in 50 Jahren immer noch blaue Flecken haben wirst! Das verspreche ich dir!« Ich weiß nicht, wann Dávid mich das letzte Mal bei meinem vollen Namen genannt hat. Aber das ist auch egal. Alles, was zählt, ist das Versprechen, das er mir gerade gegeben hat.

Ich rühre mich nicht.

Mein Bruder holt tief Luft, seine Finger krallen sich in meiner Schulter fest. »Das ist jetzt deine allerletzte Chance. Und denk dran. Alles, was du fühlst, fühlt auch Hope. Willst du ihr das wirklich antun?« Ich kann nicht mehr, ich breche zusammen. Allein die Erwähnung ihres Namens reicht aus, um mich in ein Häufchen Elend zu verwandeln. Eine einsame Träne kämpft sich ihren Weg aus meinen noch immer geschlossenen Augen.

Ich höre, wie jemand scharf die Luft einzieht. »Weint er?« Niemand geht darauf ein. »Ace, sprich mit uns! Was ist mit dir und Hope passiert? Wo ist sie?« Ich kämpfe mit mir, kämpfe dagegen an, wieder in den Sog gezogen zu werden, der mich immer und immer wieder den Moment durchleben lässt, in dem Hope hinter sich die Tür geschlossen hat. Ich bin nur Millimeter davon entfernt, in den Abgrund zu stürzen.

»Sie ist weg.« Ich flüstere nur, aber ich weiß, dass sie mich verstanden haben. »Ich bin dafür verantwortlich, dass sie weg ist. Ich habe sie verscheucht.« Als ich die Augen öffne, ist mein Blick verschwommen. Dávid, James und Klara stehen vor mir, starren mich erschrocken an. Das Licht blendet. Ich schließe die Augen wieder. »Verstehst du das, Dávi? Sie ist weg.« Ich verziehe mein Gesicht. »Es tut weh.« Meine Hand krampft sich zusammen. Sie liegt direkt über meinem Herzen. »So weh.«

Meine Tränen laufen mir über die Wangen, ohne dass ich sie wirklich bemerke. Auch die Arme, die sich um mich legen, bemerke ich nur am Rande. Alles versinkt im Nebel, während ich immer weiter rede. Ich erzähle ihnen alles. Wenn sie mich schon hassen, dann sollten sie auch die ganze Geschichte kennen. Und ich bin mir sicher, dass sie es tun werden. Mich hassen.

Ich weiß zwar nicht, wie viel Zeit vergangen ist, aber ich denke, dass es nicht so viel gewesen sein kann, wie ich zuerst gedacht habe. Es wird gerade erst dunkel. Und es regnet, die ganze Zeit schon. Ich starre aus dem Fenster und frage mich, wo sie wohl sein könnte? Befindet sie sich noch im Gebäude? Oder ist sie dort draußen? Vielleicht ist sie in den Wald gelaufen? Ich weiß es nicht. Dort, wo sie eigentlich sein sollte, befindet sich nur ein riesiges Loch.

Ich wende meinen Blick auch dann nicht vom Fenster ab, als sich hinter mir jemand regt. Ich spüre Hände, die sich auf meine Schultern legen, höre jemanden angestrengt atmen. Die Hände zittern. »Wir müssen sie suchen, Ace. Sie könnte sonst wo sein.« Ich drehe mich um, mustere Klara, sehe die Angst in ihrem Gesicht, ohne selbst auch nur die kleinste Gefühlsregung zu verspüren. Der Nebel wird immer dichter. »Verstehst du mich, Ace? Sie könnte verletzt sein und Hilfe brauchen. Willst du uns begleiten?« Ihre Stimme klingt verzerrt, ich nicke. Ich bin überfordert. Ich habe Angst.

Unsere Schritte hallen von den Wänden wieder, als wir hastig durch die leeren Flure nach draußen laufen. Alles ist wie ausgestorben.

Meine Sicht wird immer undeutlicher, ich stolpere den anderen hinterher, bemühe mich, nicht umzukippen. Immer wieder sehe ich Hope vor mir. Ich brauche sie. Alles in mir schreit nach ihrer Nähe.

Und dann sehe ich sie.

Ich stürze auf sie zu.

Ich kann geradeso noch wahrnehmen, wie sie da vor mir liegt, am Fuße eines Baumes, zusammengerollt zu einer Kugel.

Mir knicken die Beine ein, ich schlage auf dem Boden auf. Ich spüre sie.

Kalt.

So kalt.

Zu kalt.

Leutchens, das hier ist wahrscheinlich das Kapitel, dass für mich am schwierigsten zu schreiben war. Ich habe mir wirklich große Mühe gegeben, dass es so rüberkommt, als wäre er ein sicherer Anwärter auf einen dauerhaften Platz in der Klapse. Habt ihr das so empfunden? Eure Meinung würde mich wirklich interessieren!

Übrigens, dieses kleine Special passt nicht nur gerade ganz gut ins Geschehen, ich wollte mich damit auch für 1k bedanken :) Ich hoffe, euch gefällt's!

Hope II SeelenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt