Hope I 34 I

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»Jj?«, meine Stimme ist mehr als rau, fast nur ein Flüstern. Und dennoch erschrecke ich James damit. Sein Kopf schnellt nach oben, er reißt die Augen auf und steht blitzschnell vor mir. Sein Blick ist unendlich sanft, als hätte er Angst, mich zu verschrecken. Seine Hände legen sich warm an meine Wangen, umfangen meinen Kopf, halten ihn. Die paar Schritte haben mich unglaublich erschöpft. »Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du mit mir sprechen würdest.«, ein trauriges Lächeln legt sich auf seine Lippen, »Bei Dave hat es Stunden gedauert, bis wir ihm ein auch nur ein simples Ja oder Nein abringen konnten...« »Es tut mir leid.«, krächze ich, »Ich wollte euch nicht verletzen.« »Du hast mich nie verletzt, H!«, der Druck seiner Hände wird fester. »Doch. Du hast wegen mir gelitten. Ich habe dir dein Leben schwer gemacht, obwohl er auch dein Freund war. Es tut mir leid. Ich habe es überhaupt nicht verdient, dass du dich um mich kümmerst.« »H, du hattest alles Recht dazu, so zu reagieren. Genau wie Dávid auch. Es hat uns zwar alle getroffen, dass wir ihn verloren haben, aber für euch ist es doch noch einmal ganz anderes als für mich und Klara.«

Ich schließe meine Augen, lasse seine Worte einfach so im Raum stehen. Ich habe keine Kraft mehr, um ihm zu widersprechen. »Was machen wir jetzt?«, flüstere ich, den Tränen nahe. »Wir können doch nicht einfach so weitermachen und ihn vergessen, oder?« »Gott, Hope, nein! Natürlich nicht!«, geschockt sieht James mich an, »Das würde doch auch niemals jemand von uns erwarten. Aber wir können auch nicht zulassen, dass ihr beide euch immer weiter selbst zerstört.«, er holt tief Luft, fixiert meinen Blick mit einer solchen Dringlichkeit, dass ich instinktiv die Luft anhalte, »Klara und ich haben in den letzten Tagen viel miteinander gesprochen.«, prüfend mustert er mich, als würde er versuchen herauszufinden, ob ich seinen Worten standhalten kann, »Wir sind beide der Meinung, dass wir zumindest versuchen müssen, Ace zu helfen. Die Hüter verfügen über eine unglaublich große Sammlung uralter Schriften, aber auch neuer Untersuchungsergebnisse. Es hieß zwar immer, dass euer Fall einzigartig ist, aber das kann eigentlich überhaupt nicht sein. Es gibt uns schon so lange, ich bin davon überzeugt, dass wir in dieser Bibliothek alles mögliche finden können. Und so oder so ist niemand gewillt, Ace einfach so aufzugeben.«

Während seiner letzten Sätze sind meine Augen immer größer geworden, meine Hände zittern vor Aufregung und ich muss nach Luft schnappen, weil ich kurzzeitig vergessen habe zu atmen. »Aber Hope, es kann auch sein, dass es zu spät ist, bis wir endlich etwas gefunden haben. Es könnte jetzt schon zu spät sein...« Das verpasst meinen Hochgefühlen einen gewaltigen Dämpfer. Gerade hatte ich noch eine Motivation in mir, die für zehn gereicht hätte, jetzt bebt meine Unterlippe wieder, als würde ich jeden Moment anfangen zu weinen. Ich hoffe wirklich, dass diese Gefühlsschwankungen meiner Verwirrtheit zuzuschreiben sind.

»H, ich will nur nicht, dass du dir jetzt Hoffnungen machst, die eventuell überhaupt nicht erfüllt werden können. Du bist meine Freundin und dich so leiden zu sehen, könnten weder du noch ich ein zweites Mal ertragen...« Ich nicke hektisch, schlucke krampfhaft meine Tränen hinunter und atme tief ein. »Okay.«, meine Stimme zittert zwar noch immer, aber sie klingt schon um einiges kräftiger. »Lass uns anfangen. Ich kann spüren, dass Ace noch immer irgendwo da draußen ist, aber unsere Verbindung wird von Tag zu Tag schwächer. Wir müssen uns beeilen...«

Nur eine kleine Weile später sitzen wir zu viert in einem kleinen Raum, der vollgestopft mit Büchern und Computern ist. Die Schriftsammlung ist beeindruckend, aber längst nicht so groß, wie ich sie mir nach James' Schilderrungen vorgestellt habe. Fragend sehe ich an. »Das hier ist nur ein Bruchteil der Sammlung.« »Und wo steht der Rest?« »Überall auf der Welt verteilt. Es gibt viele Einrichtungen, die so sind wie unsere, und jede hat einen kleinen Teil bei sich. Aber jede einzelne der Seiten wurde mediatisiert, so dass wir auch von hier aus darauf zugreifen können.« Erleichtert atme ich auf, auch wenn die Masse damit nicht ihren beängstigenden Touch verliert.

Nach stolzen fünf Stunden, in denen wir ununterbrochen gesucht haben, in der Hoffnung, einfach nur irgendwas zu finden, machen wir eine Pause. Es ist wie die Suche nach einer unsichtbaren Nadel in einem gigantischen Heuhaufen.

»Was, wenn wir es nicht schaffen, ihn zu retten?«, spricht Dávid das aus, was wir uns alle die ganze Zeit über fragen. »Dann müssen wir uns damit abfinden, dass wir alles getan haben, was wir konnten, es aber einfach nicht gereicht hat. Manchmal muss man einfach akzeptieren, dass es einen Plan gibt, dem wir alle folgen, auch wenn wir ihn vielleicht nicht immer für gut befinden. Entweder, wir finden etwas, oder, es gibt nichts, was wir finden können.« Mich überrascht, wie fest Klaras Stimme klingt. Und ich beneide sie darum, dass sie auf ihren Glauben vertrauen kann. Ich kann das nicht.

»Woher stammen die ganzen Sachen eigentlich?«, bemüht, ein unbeschwertes Gesicht zu machen, wende ich mich an James, »Ich meine, das kann doch unmöglich alles von den Hütern stammen, oder? Zumal teilweise so abwertend von uns gesprochen wird, dass ich nicht wirklich glauben kann, dass es jemand aus unseren Reihen geschrieben hat...« »Naja...«, James'Blick wandert zu Klara, die allerdings nur mit den Achseln zuckt, »Eigentlich dürften wir dir das gar nicht erzählen, weil du deine Ausbildung noch nicht abgeschlossen hast, aber...« Jetzt bin ich neugierig. Wirklich neugierig. »Wir sind nicht die einzigen, die in das ganze anormale Zeug verwickelt sind. Es gibt noch eine andere Organisation, eine menschliche... Sie haben keinen wirklichen Namen, aber sie tauchen immer dann auf, wenn die Gefahr besteht, dass die Menschen mitbekommen könnten, dass es uns gibt. Es ist zwar selten, aber manchmal kommt es vor, dass wir in aller Öffentlichkeit kämpfen müssen, oder dass einer von uns die Nerven verliert und ausflippt, das ist dann ihre Aufgabe. Sie denken sich halbwegs glaubwürdige Geschichten aus und helfen und dabei, die Ereignisse zu vertuschen. Außerdem werden junge Hüter, deren Verwandlungsprozess gerade erst begonnen hat, immer von einem von ihnen bewacht und begleitet.«, er sieht mich vielsagend an, »Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch du begleitet wurdest, vor allem, weil du, selbst nachdem dein Körper begonnen hat sich zu verändern, noch lange in deinem alten Leben gelebt hast. Das kann ihnen überhaupt nicht entgangen sein. Sie wissen zwar lange nicht alles über uns, das wollen sie auch überhaupt nicht, aber sie wissen mehr als genug...«

Ich weiß mehr als du, aber längst nicht so viel, wie du dir von mir erwartest.

Ich atme zitternd ein und wieder aus. Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Und Luke scheint ja wohl der einzige zu sein, der überhaupt etwas weiß.

»Luke...«

Jup. Bin im Urlaub, es sind durchgehend fast 40° und das war das letzte Chap, das ich schon vorgeschrieben hatte.

Hope II SeelenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt