Hope I 19 I

20 6 14
                                    


«O... kay.»

Ganz ehrlich, ich bin stolz auf mich. Ich bin nicht ausgeflippt, obwohl er mir gerade eröffnet hat, dass ich mehr oder weniger zwangsverheiratet wurde. Aber... meine Stimme hört und fühlt sich in diesem Moment so kratzig an; ich bezweifle, dass ich überhaupt schreien könnte.

«Okay!?», Dávid starrt mich dezent geschockt an, «Wie, okay?!» «I...ich...», ich hole tief Luft, es ist verdammt anstrengend, zu reden. Warum auch immer. Das ist gerade aber auch wirklich mein kleinstes Problem. «Ich...» Doch schon wieder wird mir der Mund zugehalten. Dávid fährt sich nervös mit der Hand durch die Haare, sodass sie in alle Richtungen abstehen. Und, so nett das bei den Typen im Film auch immer aussieht, mir ist er mit Haaren, die nicht elektrisch vom Kopf abstehen, ehrlich gesagt lieber. Ihn kümmert es überhaupt nicht.

«So wird das nichts.», er macht einen Satz nach hinten, greift sich irgendetwas und steht schon wieder vor mir, «Du solltest nicht sprechen, du hast in den letzten Stunden zu viel geschrien und deine Stimmbänder gestresst.» Mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck drückt er mir sein Smartphone in die Hand. «Fass dich bitte kurz.»

Entgeistert starre ich auf den schwarzen Kasten in der Hand, bis ich verstehe, was er meint. Und dann fange ich so schnell an zu schreiben, dass schon das erste Wort drei Rechtschreibfehler enthält. Gott segne die Autokorrektur. Nach nur wenigen Sekunden halte ich Dávid das Handy wieder unter die Nase.

Washington?

Während er liest, zieht er die Nase kraus, dann huscht sein Blick unauffällig hinter mich. Erst dann setzt er zu einer Antwort an. «Washington ist... mein Bruder.» Fragend ziehe ich meine Augenbrauen hoch. Doch plötzlich regt sich etwas in meinem Blickfeld. Eine Hand taucht direkt vor meinen Augen auf, winkt mir zu. Irritiert mustere ich sie. Die Situation ist verdammt komisch. Aber anstatt darauf einzugehen nehme ich wieder das Handy, tippe das nächste Wort.

Ace?

Dávid's Stirn kräuselt sich ein wenig, seine Wangen färben sich rosa. «Er ist... mein Bruder.» Und wieder winkt die Hand mir zu.

VERHEIRATET???

Ich glaube, auch Dávid bemerkt, dass ich so langsam meine Geduld verliere. Schuldbewusst zieht er die Schultern hoch, fixiert irgendeinen Punkt an der Wand. «Du bist natürlich nicht verheiratet.. Aber ich weiß einfach nicht, wie ich es sonst nennen soll.»

???

Er bewegt sich gerade auf verdammt dünnem Eis. «Hör zu. Lass es mich erklären, ja?», ich starre ihn wortlos an, «Als wir im Speisesaal waren. Da konntest du niemanden sehen, richtig?» Ich nicke irritiert. Was hat das denn jetzt damit zu tun? «Und dann hast du den... Typen gesehen, der dich hierher gebracht hat und plötzlich kam es zu der Entladung und dann konntest du alle sehen, ja?», wieder nicke ich, «Danach hattest du extreme Rückenschmerzen. Die kamen von deinem Mal. Es hat sich ausgebreitet und es... bedeckt jetzt deinen ganzen Rücken und zum Teil auch deine Arme.» Entgeistert blicke ich in seine blitzenden Augen, die unruhig hin und her huschen. «Das hat es noch nie gegeben. Und in dem Moment, in dem ich es gesehen habe, obwohl es gar nicht existieren dürfte, ist mir plötzlich klar geworden, wie tief deine Verbindung zu der Seelenlosen wirklich war. Du konntest außer uns niemanden sehen, weil nur wir uns dir absichtlich gezeigt haben. Denn eigentlich können wir von Seelenlosen überhaupt nicht wahrgenommen werden. Dann konntest du plötzlich alle anderen sehen, weil der Teil Seelenhüter in dir sich bei dem Anblick von deinem Bündnispartner für den Moment durchgesetzt hat. Aber der seelenlose Anteil hat sich gewehrt, das hat die Schmerzen verursacht. Auf Dauer hätte dich dieser Prozess umgebracht. Und dann.. war mir plötzlich alles klar, ich wusste, was passieren musste, und ich habe dafür gesorgt, dass es passierte. Zusammen mit meinem Bruder habe ich die Seelenlosen-Prägung neutralisiert. Dabei bist du irgendwann bewusstlos geworden. Aber erst, nachdem du mir das Handgelenk gebrochen, Ace das Knie ausgekugelt und dir selbst die Nackenwirbel angeknackst hast. Deswegen darfst du dich auch nicht bewegen.» Er lächelt mich an. Er lächelt mich wirklich an. Perplex wandert mein Blick zu seiner Hand, die in einem weißen Gips steckt. Verdammte Scheiße. Ich will mich umdrehen, will endlich sehen, wer sein Bruder ist. Die Erinnerung an ihn im Speisesaal und später auf dem Flur ist ein einziger verschwommener Fleck. Doch schon bei der kleinsten Regung schließen sich seine Arme wieder fest um meinen Oberkörper, fixieren mich, so dass ich mich kein bisschen bewegen kann. Wenn Blicke töten könnten, wäre Dávid jetzt bloß noch Asche und Staub.

«Aber Hope...», er sieht schon wieder verdammt schuldbewusst aus, «Das war noch nicht alles... Nachdem du dein Bewusstsein verloren hast, ist etwas mit euch beiden passiert, womit ich einfach nicht rechenen konnte. Es tut mir so verdammt leid, ich wollte das wirklich nicht, es ist einfach passiert.» Meine Hände fangen an zu zittern, so nervös macht er mich. «Wir haben dich zwar von der Seelenlosen gelöst, aber nicht ganz ohne Verluste. Sie hat einen Teil von dir, einen Teil deiner Seele... mitsichgerissen. Und dann... dann seid ihr beide einfach... miteinander verschmolzen... Du trägts jetzt einen Teil seiner Seele in dir, er einen Teil deiner. Wenn einer von euch leidet, leidet der andere mit. Was du denkst, spielt sich gleichzetig auch in seinem Kopf ab. Und andersrum. Wenn du dich erholt hast und wieder mehr Energie in dir hast, wirst du jeden einzelnen seiner Gedankengänge mitverfolgen können, ergal, wie weit ihr voneinander entfernt seid. Und genauso ist es, wenn du eine Verletzung hast. Wenn du dich schneidest, blutet seine Hand wie deine. Ihr habt keine Chance, alleine zu überleben. Ihr werdet den anderen ab sofort mehr brauchen als Flüssigkeit und Nahrung.»

Ich schlucke schwer. Das kann doch alles überhaupt nicht sein. Das ist alles bloß ein verrückter Traum. Es muss ein Traum sein. Und doch ist es keiner.

«Wer ist dein Bruder?», für diesen kurzen, geflüsterten Satz bringe ich all meine restliche Kraft auf. Für einen Augenblick leuchtet Verwunderung in seinen Augen auf, dann mustert er mich jedoch mit festem Blick.

«Ace. Eigentlich Washington. Er hat dich vor der Seelenlosen gerettet.»

In diesem Moment gehen mir zwei Dinge durch den Kopf. Erstens: Wieso zur Hölle fällt mir erst jetzt auf, wo ich seinen Namen schon einmal gehört habe. Zweitens: Es ist wieder da. Das Verlangen. Eigentlich war es nie weg. Aber jetzt, da es mir wieder bewusst wird, trifft es mich mit doppelter Wucht.

Und dann höre ich seine Stimme. In meinem Kopf. «Verdammte scheiße.» Und ich bin mir nicht sicher, ob es sein Gedanke ist, oder mein Gedanke, den er bloß reflektiert hat.

Jap. Chaos ohne Ende.

Hope II SeelenhüterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt