»22. Kapitel

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„Sorry, das ich zu spät komme, aber ich musste noch-“

„Spare dir deine billige Ausrede lieber.“

Geschickt wich ich seinen weit ausgebreiteten Armen aus und verschränkte meine vor der Brust. Verwundert ließ mein Gegenüber sie wieder sinken und sah mich erstaunt an. Ohne ihm einen weiteren Blick zu würdigen, öffnete ich die Tür, vor der wir standen und betrat eiskalt die kleine Halle.

Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben, dachte ich mir beleidigt und stellte mich an die Kasse. Ein Luftzug verriet mir, das Zayn mir gefolgt war. Ignoriere ihn einfach, dachte ich mir und zog meinen Geldbeutel aus der Hosentasche.

Zayn versuchte sich währenddessen neben mich zu stellen, doch er wurde von einem wortwörtlich riesigen Mann, der an der anderen Kasse stand, weggedrückt und musste sich wohl oder über hinter mich stellen. Ich ignorierte seine Finger, die zusammen mit gemurmelten Entschuldigungen regelmäßig auf meine Schulter trommelten solange, bis ich dran war.

„Einmal für Carrie bitte. Und könnten sie bitte gucken, das der Platz links und rechts von meinem schon besetzt ist?“

bat ich den äußerst attraktiven Kassierer hinter der Scheibe und schenkte ihm mein schönstes Lächeln. Dieser nickte und warf ein freches Grinsen zurück. Als Reaktion auf die Bitte alleine zu sitzen hörte ich hinter mir nur ein Schnauben.

Schadenfroh gab ich dem Mann den Betrag für die Karte, den er mir nannte und packte dann alles weg. Eigentlich hätte er mir die Karte überhaupt nicht verkaufen dürfen, da ich erst siebzehn, der Film aber ab achtzehn war. Glück gehabt, dachte ich mir und tapste davon, um Zayn den Weg frei zu machen.

Dieser stürzte sich sofort nach vorne und begann auf den jungen Mann einzureden, dass er nicht doch irgendwie einen Platz neben mir ergattern könnte. Langsam folgte ich dem Geruch von Popcorn, der zu mir herüber schwang.

Wo mein bester Freund dabei blieb war mir herzlich egal. Schließlich hatte ich zwei gute Gründe sauer auf ihn zu sein und die würde er auch spätestens dann erfahren, wenn er mir hinterher kommen würde. Kaum hatte ich daran gedacht hörte ich eine Stimme hinter mir.

„Rachel, jetzt warte doch mal!“

Instinktiv blieb ich augenblicklich stehen, was immer passierte, wenn mich jemand rief. Cool bleiben, sprach ich mir selbst zu und drehte mich zu Zayn um. Dieser war inzwischen bei mir angekommen und schnaufte tief durch.

„Was ist mit dir los?“

fragte er und fuhr sich aufgeregt durch die dunklen, dichten Haare. Seine Augenbrauen trafen sich in der Mitte seiner Stirn, erwartungsvoll glitten seine Hände tief in die Hosentaschen der dunkelblauen Jeans.

„Bist du etwa sauer auf mich?“

Oh nein, ich tue nur so, hätte ich am liebsten geantwortet, doch ich hielt es gerade noch zurück. Während er sich dort wie ein begossener Pudel hinstellte und sich verhielt, als wären wir bei unserem ersten Date, verschränkte ich meine Arme ein zweites Mal vor der Brust und reckte eine Augenbraue scharf in die Höhe.

„Was denkst du denn bin ich?“

rief ich und verzog das Gesicht, um meine Wut stärker zum Ausdruck zu bringen. Ich hörte, wie Zayn einmal schwer schluckte. Er wusste, dass es meistens nicht sonderlich gut für ihn aussah, wenn ich wütend war. Um mich zu besänftigen hob er seine Hände aus den Taschen und hielt sie ergeben in der Höhe.

„Zuerst hast du nichts Besseres zu tun, als dich heute in Sport von Liam provozieren zu lassen und dann lässt du mich verdammte vierzig Minuten hier draußen in der Kälte warten?! Man lässt ein Mädchen nicht vor einem Kino warten und vor allem nicht seine beste Freundin!“

Gegen Ende meines Satzes wurde ich so laut, das sich sämtliche Leute in unserer Hörweite zu uns herumdrehten. Mit geröteten Wangen schlug ich mir die Hände vor den Mund. 

Wieso kannst du nicht ein einziges Mal die Lautstärke deiner Stimme kontrollieren, schimpfte mein Unterbewusstsein und brachte mich nur noch dazu noch mit knalligen Wangen die Blicke der andere Besucher auf mich zu ziehen.

„Ich habe doch schon gesagt, das es mir leid tut, aber ich musste meine Schwester noch vom Sport abholen und dann kam der Bus nicht und-“

„Bitte spare es dir doch einfach.“

unterbrach ich ihn scharf und machte auf dem Absatz kehrt. Eigentlich hätte es ein schöner Abend nur mit uns beiden werden sollen, doch so wie es aussah hatte ich ihn gerade ruiniert.
Wütend stapfte ich in die Richtung des Kinosaales. Der Film würde in ein paar Minuten anfangen und ich wollte auf keinen Fall die Werbung verpassen. Schließlich war sie für mich das Beste an einen Kinobesuch. Ohne mich vorher mit Popcorn oder anderes süßes Zeug zu versorgen steuerte ich auf die dunkle Tür zu.

„Jetzt warte doch mal!“

Und wieder brachte Zayn mich dazu auf der Stelle stehenzubleiben. Mit einem verächtlichen Schnauben drehte ich mich zu ihm um und wartete nur darauf bis er anfing sich entweder zu entschuldigen oder sich zu rechtfertigen.

„Kannst du mir mal sagen was in letzter Zeit mit dir los ist?“

Ohne die Verunsicherung zu zeigen, die ihn beherrschte, trat er ein weites Stück auf mich zu und blieb unmittelbar vor mir stehen. Es war egal wie merkwürdig wir uns manchmal verhielten, trotz allem hatten wir Respekt vor den jeweils anderen. Und der kam hier gerade zum Vorschein. Zayn war zielsicher, jedoch zurückhaltend.

„Was soll mit mir sein?“

fragte ich nun etwas überrascht und klammerte meine Hände an den Griff meiner Handtasche fest. Was soll denn mit mir los sein, fragte ich mein anderes Gewissen und wartete etwas ungeduldig auf eine effektive Antwort. Eigentlich war die Frage an mich selbst sinnlos gewesen, da ich ein paar Sekunden später eine ausreichende Antwort bekam. Und vielleicht war diese etwas zu ausführlich gewesen.

„Andauernd hast du Stimmungsschwankungen und regst dich über so kleine, unnötige Sachen auf. Und warst du selbst dabei und hast gehört was Liam mir gesagt hat?! Nein! Hättest du es mitbekommen, dann hättest du nicht anders reagiert. Also rede nicht von etwas von dem du keine Ahnung hast!“

Zayns Gesicht hatte nun die Farbe von glühender Lava angenommen. Wow, dachte ich nur sichtlich beeindruckt, soviel hat er ja noch nie an einem Stück gesagt. Aber glücklicherweise fiel mir sofort ein Argument zum kontern ein.

„Ich kann ja auch nichts von euren andauernden pubertierenden Gestreite wissen, wenn du so ein verdammtes Geheimnis daraus machst!“

konterte ich mit viel zu hoher Stimme, die ich immer hatte, wenn ich mich über etwas aufregte oder meine Nervosität vertuschen musste. In dieser Situation war es eher der erste Grund. Meinem besten Freund entfuhr ein lautes, bitteres Lachen.

„Das geht dich einen feuchten Dreck an worum es zwischen mir und ihm geht, Rachel.“

informierte er mich nun etwas ruhiger, jedoch mit einem ernsten Unterton in der rauchigen Stimme. Diesmal war ich diejenige, die laut schnaubte.

„Wenn du so darüber denkst, dann kannst du mir doch nicht unterstellen, das ich nicht über Sachen reden soll von denen ich keine Ahnung habe! Ich habe ein verdammt gutes Recht zu erfahren was zwischen euch mal passiert sein muss, das ihr euch gegenseitig so behandelt.“

Während ich sprach verfolgte ich mit meinen Augen wie sich sein Körper wieder anspannte. Ich konnte mich nicht daran erinnern, dass wir schon einmal einen Streit in diesem Maße gehabt hatten.

„Und weißt du was?“

führte ich meinen Satz beinahe schreiend fort.

„Was?“

blaffte er verächtlich zurück und trat einen gefährlichen Schritt auf mich zu. Unwirklich kam es mir so vor, als hätten seine sonst so liebenswerten, braunen Augen einen dunkleren Farbton angenommen.

„Manchmal wünschte ich mir, dass wir uns nie kennen gelernt hätten!“

warf ich ihm unüberlegt an den Kopf und starrte ihn dann an. In Zayns Augen erloschen sämtliche Emotionen genauso wie das Licht einer Lampe, wenn man sie ausschaltete. Entsetzt schlug ich mir die Hände vor den Mund. Hatte ich das gerade wirklich gesagt? Ich öffnete meinen Mund, um mich zu entschuldigen und diese gelogene Aussage zurückzunehmen, doch er machte mir einen gewaltigen Strich durch die Rechnung.

„Und ich... ich hasse dich.“

sagte er eiskalt und ohne auch noch mit der Wimper zu zucken drehte er sich um und schlurfte seelenruhig auf die inzwischen wieder geschlossene Tür zu, die in den Kinosaal führte.

„Bitte nimm das zurück.“

flüsterte ich gerademal so laut, dass nur er es verstehen konnte. Es war egal was sich je zwischen uns beiden abgespielt hatte, noch nie hatte einer von uns diese drei Wörter gesagt. Noch nie. In ganzen siebzehn Jahren Freundschaft.

Zayn drehte sich nicht ein einziges Mal zu mir herum. Als wäre nichts passiert öffnete er die Tür, nur um kurz darauf darin zu verschwinden.

Mein Herz hörte für einen Moment auf zu schlagen. Wie festgefroren stand ich an dieser Stelle, komplett unfähig mich zu bewegen. Und das sich Tränen einen Weg aus meinen Augen suchten konnte ich ebenfalls nicht verhindern. Mit verschleierter Sicht starrte ich auf den Punkt, wo er vor kurzem noch gestanden hatte.

Ich hasse dich. Ich hasse dich, ich hasse dich.

Immer und immer wieder schallten diese drei Wörter, die wahrscheinlich gerade unsere Freundschaft beendet hatten in meinem leeren Kopf umher. Er hasste mich. Der wichtigste Mensch in meinem ganzen Leben hasste mich.


*


Ziellos stolperte ich in eine Seitenstraße und suchte mir den Weg durch die spärlich beleuchteten Häuserreihen hindurch. Durch die Tränen in den Augen konnte ich noch weniger erkennen, weswegen ich einmal stolperte und hinfiel, jedoch sofort wieder aufstand und weiterlief.

Verzweifelt wischte ich mir die salzigen Tropfen weg, doch es kamen immer wieder welche nach. Ich hätte nie gedacht, dass wir beide uns jemals solche Worte gesagt hätten. Natürlich war mein Satz auch nicht gerade der netteste gewesen, doch dass er sofort dieses Wort in den Mund genommen hatte, hätte ich nicht erwartet. Und das er dann noch seelenruhig im Kino verschwunden war hatte die ganze Sache noch getoppt.

Schniefend ging ich um eine Ecke und wollte wieder auf die Hauptstraße zurück kehren, als mich zwei laute Stimmen davon abhielten. Verwundert hielt ich inne, da mir beide mehr als bekannt vorkamen.

Vorsichtig drehte ich mich um und suchte zuerst Schutz im Dunkeln, bevor ich mir die Situation näher ansah. Und als ich sah wem die zwei Stimmen gehörten blieb mir wortwörtlich die Luft im Hals stecken.

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt