»26. Kapitel

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 „Wie lange bist du ungefähr weg?“

Resigniert sah ich dabei zu, wie mein Vater den Griff seines Rollbaren Koffers umklammerte und die Haustür öffnete.

„Nur für drei Tage.“  

antwortete er und lächelte mich munter an. Als ich es nicht erwiderte, sondern nur noch tiefer zwischen die Kissen auf meinem heißgeliebten Sofa versank, verschwand es wieder.

„Du kennst das doch schon, Schatz.“

meinte er und ließ seinen Koffer wieder los. Mit ein paar Schritten war er auf mich zugeschritten und hatte sich neben mich auf die Sofalehne gesetzt.

„Du bist immer weg, Dad. Da kann ich auch gleich zu Mum ziehen, sie ist wenigstens öfters zuhause als du.“

murrte ich und wickelte die flauschige Wolldecke etwas fester um meinen Körper. Mit einem ernsten Blick sah mein Vater auf mich herunter. Mit demselben Ausdruck sah ich zu ihm hoch. Obwohl er es nie im Leben freiwillig zugeben würde, wusste er, dass ich Recht hatte. Seit meine Eltern sich vor ein paar Jahren hatten scheiden lassen, und er das Sorgerecht für mich gewonnen hatte, kam es mir so vor, als wäre meine Mutter für mich gestorben.

Ich durfte sie höchstens alle drei Jahre mal in ihrem kleinen Haus in Südfrankreich besuchen. Unsere Beziehung zueinander war nicht die beste, weswegen ich hoffte, dass sich das in den nächsten Ferien ändern würde. Dann würde ich nämlich zu ihr fahren und eine Woche dort verbringen.

Vielleicht konnte ich dort auch endlich mal auf andere Gedanken kommen. Und nicht immer an Zayn und an das Erlebnis vorhin zu denken.

Mit einer abweisenden Handbewegung bedeutete ich dem Mann neben mir, dass er mit einem guten Gewissen gehen konnte. Bevor er aufstand, beugte er sich zu mir herunter und drückte mir einen fetten Kuss auf die Stirn.

„Ich bin keine fünf mehr.“

beschwerte ich mich halbherzig und wischte mir einmal mit der flachen Handfläche über die Stelle, die er gerade mit seinen Lippen berührt hatte. Sichtlich amüsiert über meine Reaktion erhob er sich und kehrte zu der weit geöffneten Tür zurück. 

Früher war es selbstverständlich gewesen, das er sich mit einem Kuss auf die Wange verabschiedet hatte, aber nach den Jahren war mir diese kleine Geste nur noch unangenehm. Vor allem, wenn er das vor meinen Klassenkameraden machte.

„Es ist alles eingekauft, aber wenn es nicht reicht, dann-“

„Liegt etwas Geld in der Kommode in deinem Schlafzimmer, ich weiß.“

vollendete ich den angefangenen Satz auswendig und zog mir die Kapuze meines Pullovers über den Kopf. Zweifelnd, ob er mich in meinem momentanen Zustand wirklich alleine lassen sollte, legte mein Vater die Stirn in Falten und nahm dann wieder seine Reisetasche.

„Bis Freitag dann.“

rief er mir von der Tür aus zu und tastete anschließend kurz seine Jackentaschen ab, um zu prüfen, ob er auch alle seine Ausweise dabei hatte. Als er anscheinend alles gefunden hatte, trat er hinaus und zog die Tür hinter sich zu.

„Bis dann.“

erwiderte ich etwas leiser und hoffte, dass er es noch gehört hatte. Dann hörte ich, wie die Tür wieder in das Schloss fiel. Endlich. Erleichert atmete ich einmal kräftig aus und versteckte meine Arme unter den kuschelig, warmen Stoff meiner Decke. 

Es war nicht so, dass ich mich in der Anwesenheit meines Vaters unwohl fühlte, aber momentan war mir einfach nicht gut und ich wollte einfach nur alleine sein. Oder mit jemanden reden, aber mein Vater war ja soeben zum Flughafen aufgebrochen.

Rock meWo Geschichten leben. Entdecke jetzt